Wissenschaft
Grenze zum Weltraum: Uni Augsburg untersucht „Schlaglöcher“ im All

09.08.2024 | Stand 09.08.2024, 5:00 Uhr |

Im Airglow-Bild sind die durch die Schwerewellen verursachten Muster zu erkennen. Foto: Universität Augsburg/DLR

Etwa 80 bis 120 Kilometer über der Erdoberfläche wird die Luft so dünn, dass dieser Höhenbereich oft als Grenze zum Weltraum bezeichnet wird. Dennoch habe diese Atmosphärenschicht eine enorme Bedeutung, erklärt Michael Bittner von der Universität Augsburg, einerseits für den Flug von Satelliten und andererseits für das Erdklima. Gemeinsam mit der Universität Bern und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) untersucht die Uni Augsburg diesen Grenzbereich nun genauer.

Gigawatt heißt das gemeinsame Projekt, das eine bestimmte Sorte von Strömungen genauer unter die Lupe nimmt, die sogenannten atmosphärischen Schwerewellen. Diese entstehen häufig in den unteren Luftschichten und entwickeln sich von dort bis in über 100 Kilometer Höhe fort – ähnlich wie Meereswellen, nur dass sie nicht nur horizontal, sondern vor allem auch vertikal verlaufen. Im Grenzbereich zwischen Atmosphäre und All brechen die Schwerewellen und verursachen dabei chaotische Verwirbelungen, die Auswirkungen auf das Klima haben. „Die Wellen stellen gewissermaßen die Weichen für die großen erdumspannenden Strömungssysteme“, sagt Bittner, der Professor für Atmosphärenfernerkundung an der Universität Augsburg ist. Zu den Strömungssysteme gehören etwa die hochliegenden Windsysteme, die den Luftaustausch zwischen den Polen der Erde steuern, so der Wissenschaftler. In Klimamodellen werde die Wirkung von Schwerewellen aber „nur sehr ungenau abgebildet“. Ein Grund: Zwar sei die Ausbreitung und Brechung der Wellen physikalisch gut verstanden. Die Gleichungssysteme, die diese Prozesse beschreiben, seien aber so komplex, dass sie sich auch mit den schnellsten Supercomputern nicht lösen lassen.

Radarsysteme sollenWellen aufspüren

Forschende behelfen sich daher mit Näherungen, um den Werdegang der Wellen zu modellieren. „Damit diese Modelle ein realistisches Ergebnis liefern, muss man sie aber mit möglichst exakten Ausgangsdaten füttern“, erläutert Bittners Mitarbeiter Patrick Hannawald. Man müsse also wissen, wo sich die Wellen aktuell befinden und wie sie sich verhalten.

Doch bislang sei es nur sehr schwer möglich, die Wellen in der Grenzschicht zwischen Atmosphäre und All aufzuspüren, beschreibt Hannawald. Die beteiligten Arbeitsgruppen möchten die Schwerewellen mit verschiedenen Methoden exakter sichtbar machen. „Dazu werden wir zusammen mit unseren Projektpartnern in den deutschen und schweizer Alpen Radarsysteme installieren und zugleich optische Kameras aufbauen“, sagt Hannawald. Die Beteiligten nutzen ein Phänomen, das als Airglow bekannt ist. Die Moleküle in der oberen Atmosphäre werden durch die energiereiche Strahlung der Sonne angeregt, so dass sie permanent schwach leuchten. Vom Weltall aus ist dieses Glühen mit bloßem Auge zu sehen. Mit den Kameras soll das auch vom Boden aus möglich werden.

Bereiche mit einem höheren Luftdruck leuchten dabei besonders stark. „Aus den Intensitätsmustern lässt sich daher auf den Verlauf der Wellen schließen“, erklärt der Augsburger Wissenschaftler. So werden in den Aufnahmen oft charakteristische Strukturen sichtbar. Wenn die Wellen brechen, hinterließen sie zudem in den Fotos eine Art „Gischtspur“, sagt Hannawald.

Diese Ergebnisse seien nicht nur für die Klimaforschung relevant, sondern auch für einen ganz anderen Bereich. „Momentan nimmt die Zahl der Satelliten im erdnahen Orbit rasant zu“, sagt Bittner. „Die Flugkörper haben aber nur eine begrenze Lebensdauer – irgendwann fliegen sie immer niedriger und niedriger und stürzen schließlich ab.“

Satelliten rasen in die„Schlaglöcher“

Wenn sie bei diesem Prozess mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde in die oberste Atmosphärenschicht eintauchen, werden sie erheblich abgebremst. „Gerade in den Bereichen, in denen die Schwerewellen brechen, werden die Satelliten so stark durchgeschüttelt wie ein Auto auf einer Piste mit Schlaglöchern“, beschreibt Bittner. Das sei einer der Gründe, warum die Bahn der Flugkörper sich bislang nicht gut vorhersagen lasse. Von den Gigawatt-Ergebnissen erhoffen sich die Forscher daher auch in diesem Bereich Fortschritte. Vielleicht werde es auf dieser Basis irgendwann möglich sein, Satelliten am Ende ihrer Lebenszeit gezielt abstürzen zu lassen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Swiss National Science Foundation (SNSF) fördern das Projekt in den kommenden drei Jahren mit insgesamt 1,2 Millionen Euro.

AZ


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