Pfaffenhofen
Der Philosoph und seine scharfen Sachen

Lenz Prütting liebt es, "mit den Händen zu denken" – und fertigt in Göbelsbach Messer-Unikate

18.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:10 Uhr

Foto: Petra Frye-Weber

Pfaffenhofen (PK) Mit seinem dreibändigen rund 2000 Seiten umfassenden Buch über das Lachen, „Homo ridens“, hat der Göbelsbacher Lenz Prütting viel Aufsehen erregt. Zwölf Jahre hat er an dem Mammutwerk gearbeitet, doch neben den philosophischen Recherchen und Betrachtungen war die Arbeit in der heimischen Werkstatt als Ausgleich ganz wichtig. Dorthin zieht er sich zurück und fertigt eigenhändig Messer.

„Mit den Händen denken“ nennt Lenz Prütting diese Tätigkeit, die für ihn selbstverständlich gleichwertig zu der Kopfarbeit ist. Dabei sieht er sich in bester Gesellschaft und begründet seine Einstellung philosophisch. So sei Europa von zwei Traditionen, nämlich der jüdischen und der griechischen, geprägt. Im Judentum sei es selbstverständlich zunächst ein Handwerk zu erlernen und dann die Thora zu lesen. „Jeder, der auf sich hält, beherrscht ein Handwerk und kann lesen“, fasst Lenz Prütting zusammen. Als gleichrangige Herausforderungen sei diese Einstellung in Gestalt des Mönchs vom Christentum übernommen worden.

Im Gegensatz dazu postulierte der Grieche Aristoteles, dass handwerkliche Arbeit von Sklaven und Gastarbeitern zu verrichten und eines freien Menschen unwürdig sei. Nicht zufällig fallen, nach Einschätzung von Lenz Prütting, im 12. Jahrhundert die Wiederentdeckung Aristoteles sowie die Gründung zahlreicher Universitäten mit dem Ausbildungsziel des humanistischen Gelehrten und die Einführung der Zünfte bei den Handwerkern zusammen. „Diese strikte Trennung leistete dem Vorurteil vom Gelehrten mit den zwei linken Händen und dem Handwerker, der nie ein Buch in die Hand nimmt, Vorschub. Das habe ich nie mitgemacht“, betont er.

So absolvierte er nach dem Abitur zunächst in Essen eine Lehre als Bergmann, bevor er anschließend Philosophie und Theaterwissenschaften in Erlangen und München studierte. Nach der Promotion blieb er noch ein Jahr an der Universität, bevor er als Dramaturg in die Theaterpraxis wechselte. Die ersten Stationen waren Ingolstadt und das Münchener Volkstheater, in Augsburg war Lenz Prütting als Chefdramaturg tätig und wechselte mit 60 im wahrsten Sinne des Wortes in den Unruhestand. Neben zahlreichen Übersetzungen von Werken von Molière und Shakespeare widmete er sich der Renovierung des heimischen Bauernhofs in Göbelsbach. 2005, nachdem dieser fertig war, schenkten Ehefrau Doris und Tochter Anna Lenz Prütting einen „Messerbaukurs“. Ein weiterer Kurs für die Lederbehandlung folgte und die heimische Werkstatt wurde entsprechend der Erfordernisse des neuen Hobbys umgerüstet.

Rund 100 Messer sind in den ersten drei Jahren entstanden. Stolz präsentierte er die Früchte seines Schaffens auf dem jährlichen Kunstfest auf dem Bauernhof, die sofort begeisterte Abnehmer fanden. Ein Bekannter konnte Prütting sogar zu einem Kurs überreden. Unter dem Motto „Göbelsbach rüstet auf“ fertigten vier Dorfbewohner unter seiner Leitung ihr eigenes Messer, das bei einem gemeinsamen Essen gleich dem Praxistest unterzogen wurde.

Wie fast überall sind auch für ein gutes Messer hochwertige Materialien und sorgfältige Verarbeitung entscheidend. Bei Spezialanbietern – vorzugsweise aus Skandinavien, da sich dort auch das Messerbauen einer langen Tradition erfreut – bestellt Lenz Prütting Klingen, Edelhölzer, Leder, Schmuckelemente, Bronze- oder Silberbleche für die Deckplatte. Im Prinzip wird beim Messerbauen den bereits fertigen Klingen ein Griff verpasst und so ein individuelles Messer erschaffen. Gleich zu Anfang steht die schwierigste Aufgabe auf dem Programm, dann muss nämlich der „Erl“ gefertigt werden. Das bedeutet, dass das für den Griff vorgesehene Stück Holz, ein Kantel von circa 4x4x40 Zentimetern, in millimetergenauer Arbeit ausgebohrt werden muss, damit anschließend die Klinge haargenau hineinpasst. Ebenso hoch konzentriert wird die Abdeckplatte gefertigt, die zwischen Klinge und Holzgriff steckt. Anschließend wird der Griff grob ausgesägt, geformt und geschliffen. „Wie ein Schaschlik werden nun die einzelnen Teile zusammengesteckt und verklebt, bevor sie über Nacht aushärten“, beschreibt Prütting. Am nächsten Tag wird geglättet und poliert bis das Holz glänzt. Ganz zum Schluss wird das Werk mit einer Tinktur versiegelt. Wie viele andere Messerbauer hat auch Lenz Prütting ein eigenes Spezialrezept entwickelt.

„Natürlich kann man sein Messer noch nach Herzenslust schmücken“, beschreibt der Profi. So stellen manche Griffe wahre Meisterwerke dar, die mit zahlreichen ausgefallenen Schmuckelementen reich verziert sind. „Für mich gilt als Faustformel: Wenn es vorne glänzt, muss es hinten auch glänzen“, erläutert er die ästhetische Grundformel für ein gelungenes Messer. Die reine Arbeitszeit für ein Exemplar beträgt sechs Stunden, dennoch müssen wegen des nächtlichen Trockenvorgangs zwei Arbeitstage einkalkuliert werden. Inzwischen hat Prütting die verschiedensten Messer gebaut, beispielsweise für die Hosentasche oder diverse Brotzeit- und Küchenmesser. Gekaufte Exemplare sucht man im heimischen Bauernhaus in Göbelsbach seit Langem vergeblich.

Daneben kommt aber auch die „Kopfarbeit“ nicht zu kurz. Im Februar hat Lenz Prütting ein weiteres Buch fertig gestellt, in dem er sich mit seiner Familiengeschichte beschäftigt. Nach dem Tod seiner Mutter 1999 fiel ihm ein Konvolut von Texten bestehend aus Tagebuchaufzeichnungen und Briefwechseln seiner Eltern in die Hände. Das kurze Leben seines im Krieg gefallenen Vaters konnte er anhand von Tagebuchaufzeichnungen und dem Briefwechsel mit der Ehefrau, seiner Mutter, nachzeichnen. Für Historiker sind diese Dokumente hinsichtlich der Dichte und Kommentierung eine extrem seltene mentalitätsgeschichtliche Quelle, für Lenz Prütting ist es in erster Linie eine Auseinandersetzung mit seinem Vater, an den er keine Erinnerung hat, und mit der nationalsozialistischen Vergangenheit seiner Familie. Der genaue Erscheinungstermin von „Im Flusse des Ganzen. Mein Vater im Dritten Reich“ ist noch unbekannt.