Wolnzach
Ohne Beine in ein besseres Leben

24-Jähriger lässt sich beide Beine amputieren

18.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr
Es geht ihm besser als je zuvor, sagt Maxi Schwarzhuber aus Wolnzach, der sich seine Füße amputieren ließ. Zuvor plagten ihn Schmerzen. −Foto: Trouboukis

Wolnzach (WZ) Es klingt unglaublich: Ein junger Mann von 24 Jahren lässt sich beide Beine amputieren und hat nach der Operation nur einen Gedanken: „Jetzt beginnt mein neues Leben.“ Unserer Zeitung hat Maxi Schwarzhuber aus Wolnzach seine Geschichte erzählt.

„Auf ins neue Leben.“ So hat sie geheißen, die Whatsapp-Gruppe, mit der Maxi Schwarzhuber seine Freunde vom Krankenbett aus auf dem Laufenden hielt. Wie es ihm ging, hat er ihnen geschrieben. Gelacht hat er, wenn schwarzhumorige Kommentare von ihnen kamen wie „Jetzt kannst immer als Pirat gehen“. Mit ihnen gewitzelt hat er über etwas, das für Außenstehende schier unfassbar klingt. Denn der junge Mann aus Wolnzach, für den die Lederhose praktisch Arbeitskleidung und die Trompete Handwerkszeug ist, hat sich vor Kurzem beide Beine ab dem Unterschenkel amputieren lassen. Am 14. Februar, Valentinstag. Nicht ganz freiwillig, aber doch unbedingt auf eigenen Wunsch.

Seine Beine haben ihn gequält, 22 Jahre lang. Seit damals, als er als Zweijähriger vom Mittagsschlaf aufwachte – und plötzlich nicht mehr gehen konnte. Als er den Ärzten Rätsel aufgab und niemand bis heute so genau weiß, was ihm eigentlich widerfahren ist. Die Auswirkungen aber bekam er sehr deutlich zu spüren: „Ich hatte einfach keine Kontrolle über meine Füße“, erzählt er.

„Der Kopf macht viel aus. Ich hatte das Problem ja vorher, nicht nachher.“

Maxi Schwarzhuber

 

Etwas besser wurde es, als ihm ein Onkel – ein Schuster der alten Schule – feste Schnürstiefel aus Leder machte, die die Kinderknöchel fest umschlossen. Nicht schön, dafür hilfreich. Aber dann, ab und zu, da wollte er auch toben wie die anderen Kinder. Wie an jener denkwürdigen Geburtstagsfeier mit schwerwiegenden Folgen: „Alle sind da barfuß gelaufen und Maxi wollte das halt auch“, erinnert sich seine Mutter, als wäre es gestern gewesen. Neun war der Bub damals. Und wer trat in einen Nagel? Genau. Nur, dass die Wunde eben nicht heilte, wie bei anderen Kindern. Sie blieb eine Wunde, entzündete sich immer wieder, heilte niemals zu. Die Folge: dauernde Schmerzen an der offenen Stelle, weil beim Gehen immer wieder Druck ausgeübt wurde.

Die ersten Schienen bekam Maxi in der Grundschulzeit angepasst, für Mama Johanna war das zunächst eine Erleichterung: „Wir wussten ja gar nicht, dass es so etwas gibt, mussten uns alles selbst erfragen.“ Aber an diese ersten Schienen hat Maxi keine so guten Erinnerungen: „Die waren einfach nix.“ Immer wieder hatte er solche Schmerzen, dass er gar nicht mehr auftreten konnte und sich im Rollstuhl fortbewegen musste. Im Rollstuhl saß er auch, als er als 14-Jähriger dann endlich Schienen eines anderen Herstellers angepasst bekam. „Ein Quantensprung“, sagt Mama Johanna – und auch eine überraschende Erkenntnis für sie und ihren Mann Hans. Maxi konnte nämlich plötzlich frei stehen, ohne sich zu krümmen oder irgendwo festhalten zu müssen: „Da haben wir erst gemerkt, wie sehr er in dieser Zeit gewachsen war.“ Stehend hatten sie ihren ältesten Sohn ja schon seit Wochen nie mehr gesehen. Maxi arrangierte sich mit den neuen Schienen, kam einigermaßen zurecht. Wenn er auch immer wieder auf Krücken oder Rollstuhl zurückgreifen musste. Denn zur offenen Stelle am rechten Fuß – die Folge des Nageltritts – kamen auch weitere Eiterherde am linken Fuß, Folgen der Druckstellen. Aber aufhalten konnten auch sie den lebenslustigen jungen Mann nicht: Er zog sein Leben durch, lebte auf in seiner Musik, pachtete sich einen Acker, den er leidenschaftlich bestellt, startete vor drei Jahren zu einem Trip durch Neuseeland. Einer großen Tour, fast ausschließlich war er mit dem Fahrrad unterwegs, neun Monate lang. „Mit einem normalen Auto kann er ja nicht fahren“, meint die Mama lapidar. „Nur mit Handschaltung.“ Also hat er halt das Rad genommen.

Seine Beine trugen ihn aber nicht so weit durch Neuseeland, wie er das wollte: „Irgendwann ist eine Schiene gebrochen und dann war klar, dass das nicht mehr lange geht“, weiß er noch genau. Die Tour auf die Südinsel schaffte er nicht mehr, die Schmerzen waren zu groß, der Verbrauch an hoch dosierten Schmerzmitteln ebenfalls. Es ging ihm auf die Nieren, buchstäblich.

„Richtig schlecht sah er oft aus“, so die besorgte Mama in ständiger Sorge um ihren Sohn. Ganz schlimm war es vor zwei Jahren, als er mit Freunden einen Bootsausflug unternahm, die Füße viel zu lange auf dem nassen Bootsboden stehen hatte. „Das hat ausgeschaut, unvorstellbar.“ Unvorstellbar waren auch die Entzündungswerte, so schlimm dass es wirklich Spitz auf Knopf stand um den damals 22-Jährigen.

Aber Maxi kämpfte sich wieder zurück, machte einfach weiter, spielte Trompete, Horn oder Tuba, was halt gerade gefragt war. Und das Engagement für sechs Wochen USA heuer im Januar in Disneyworld, das nahm er natürlich auch mit. „Es ging mir gut, als ich am 1. Januar losfuhr“, sagt Maxi. „Ich hatte auch eine Mordsverpflegung dabei.“

Aber die sollte er nicht aufbrauchen können, denn recht schnell verschlechterte sich sein Gesundheitszustand: „Es ging mir so schlecht, dass ich im Rollstuhl zur Bühne und auf Krücken hinauf bin.“ Das Auftreten war die Hölle, die Heimreise ein Muss. Daheim blieb er im Rollstuhl, wartete auf den schon vereinbarten Termin in der Murnauer Spezialklinik Mitte Februar – und hielt es dann doch nicht so lange aus: Hals über Kopf fuhr ihn einer seiner beiden Brüder mitten in der Nacht ins Krankenhaus, weil die Eltern ausgerechnet da ein Wochenende nicht daheim waren. Ein Souvenir brachte der Bruder von dieser Fahrt heim: Er wurde in der Münchner Innenstadt geblitzt. Aber das nur nebenbei.

Maxi im Krankenhaus hatte da ganz andere Probleme, für ihn ging alles plötzlich ganz schnell. Als der Arzt kam und sagte: „Also nehmen wir beide am Dienstag ab“, da widersprach Maxi nicht. Zu lange hatte er diesen Gedanken auch schon im Kopf gehabt, viel geredet mit seiner Familie. Der Moment, als er zum ersten Mal die Decke zurückschlug und die beiden Stümpfe sah – für ihn „ganz normal“. Und die offene Stelle? „Die ist jetzt auch weg, wie meine Füße.“ Amputiert an der „optimalen Stelle“, wie Maxi fachmännisch erklärt. Viel hat er gehört von vielen Ärzten in vielen Jahren. Daher weiß er: „Bei einer geplanten Amputation kann die beste Schnittstelle festgelegt werden, anders als beispielsweise bei einem Unfall.“ Und die beste Stelle liegt ein gutes Stück unterhalb des Knies, aber genau so weit über dem Knöchel, dass noch genug Muskelfleisch bleibt, mit dem man den Stumpf praktisch abpolstern kann. Ganz locker erzählt er das, schnallt sich die eine Prothese ab und zeigt die betreffenden Stellen. „Ich habe damit kein Problem“, bemerkt er erstaunte Blicke. „Mir geht es jetzt einfach viel besser als vorher.“

Seine Füße, die waren am Ende für ihn nur noch „Teile seines Körpers, die unnötig durchblutet wurden.“ Und das genau sieht er als seinen großen Vorteil: So eine Amputation, das ist auch für ihn „heftig, weil endgültig“. Und die beiden Nächte vor der Operation im Dreierzimmer in der Murnauer Klinik die waren auch hart, keine Frage. Aber: „Der Kopf macht viel aus. Ich hatte das Problem ja vorher, nicht nachher.“ Daher die rapide Wundheilung an beiden Stümpfen, daher die schnelle Verschmelzung mit seinen Prothesen, mit denen er völlig unauffällig Fuß vor Fuß setzt.

Übrigens sind es genormte Füße, Schuhgröße 42/43. „Jetzt kann er sich endlich auch normale Schuhe kaufen, das hatte er ja vorher nie“, freut sich die Mama. „Und drücken tut ihn auch nix.“ Und trotz aller Freude über das neue, schmerzfreie Leben ihres Sohnes trägt sie als Mutter doch schwer an der Amputation, muss sich immer die Tränen aus den Augen wischen, wenn sie darüber redet. „Es ist halt einfach so, dass etwas fehlt.“

Ganz anders als Maxi, für den seine Prothesen gleichbedeutend sind mit einem Neuanfang, den er jetzt so richtig genießen möchte – ohne Schienen, ohne Rollstuhl, ohne Krücken, dafür aber in großen, sicheren Schritten und dem ihm ganz eigenen Humor.

Unangenehme Fragen wegen seiner Beine? Gibt es nicht. Manchmal, da wird er neugierig gefragt: „Bist du der mit den Füßen?“ Dann antwortet er schelmisch: „Nein, der ohne.“ Seine Entscheidung zur Amputation hat er nicht bereut, auch weil er heute weiß: Es ist ja alles gut gegangen. Sehr gut sogar.