Wolnzach
Wichtige Weichenstellung

Nach Auszug der langjährigen Mieter: Markt Wolnzach möchte das alte Bahnhofsgebäude kaufen

10.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:04 Uhr
  −Foto: historische Aufnahme, Trouboukis

Wolnzach - Es steht leer.

Seit die Mieter ausgezogen sind, die lange Jahrzehnte dort wohnten, fristet ein markantes Gebäude eher ein trauriges Dasein: der alte Bahnhof. Noch, denn der Markt Wolnzach möchte das Gebäude erwerben und steht deshalb in Verhandlungen mit der Bahn.

Der alte Bahnhof. Jahrzehntelang haben dort Mieter gewohnt, das ehrwürdige Gebäude so gut es ging in Schuss gehalten. Gerne saßen sie in dem kleinen Gärtchen vor dem Bahnhofsgebäude, plauderten mit Vorbeikommenden, während ihr kleiner Hund kläffend umhersprang. Er spielte sozusagen die Hauptrolle bei einem dramatischen Zwischenfall, in dessen weiterer Folge die Mieter sich schlussendlich eine neue Bleibe suchten: Am 13. Dezember 2018, einem Donnerstag, brannte es im Bahnhofsgebäude, ein Ölofen im Erdgeschoss hatte sich entzündet. Während die Mieter in Sicherheit waren, galt der kleine Hund zunächst als vermisst. Atemschutzträger der Freiwilligen Feuerwehr Wolnzach fanden schließlich das Tier - sehr zur Freude seiner Besitzer.

Viele weitere Geschichten könnten die Mauern des Bahnhofsgebäudes erzählen. Von dampfenden Loks, scheppernden Schranken, von Hut tragenden Männern und barfüßigen Kindern, die laut lachend viele einfahrende Züge begleiteten - oder auch davon, dass der Bahnhof heute dort steht, wo einst kranke Menschen versorgt wurden. Alten Aufzeichnungen zufolge musste nämlich das einstige Leprosenheim abgerissen werden, damit ein standesgemäßes Bahnhofsgebäude in Wolnzach gebaut werden konnte. Standesgemäß musste es alleine deshalb schon sein, weil Wolnzach für seinen Gleisanschluss kämpfen musste. Gegen Widerstände von oben, gegen Widerstände von Nachbarn, aber auch gegen Widerstände aus eigenen Reihen: Als im April 1861 die bayerische Regierung dem Landtag einen Gesetzesentwurf über eine "Ausdehnung und Vervollständigung der bayerischen Staatsbahn" übergab, sorgte schon der Streckenverlauf für Aufruhr. Eingeplant war die Strecke München-Ingolstadt-Treuchtlingen mit einer Linienführung über Pfaffenhofen-Pörnbach-Reichertshofen: "Dagegen protestierten die Märkte Wolnzach und Geisenfeld und erreichten durch zähe Verhandlungen eine Verlegung der Strecke über Rohrbach mit einer Haltestelle Wolnzach-Bahnhof", so geht aus einem in deutscher Schreibschrift verfassten Originaltext aus vergangener Zeit hervor. Desweiteren ist da zu lesen, dass eine Nachbarkommune zwar auch gekämpft, aber verloren hatte: "Die spezielle Petition Geisenfelds, die Trasse an ihrem Markt vorbeizuführen, hatte keinen Erfolg. "

Damit stand der Halt Rohrbach, der seinerzeit noch Wolnzach-Bahnhof hieß. Der Ort Wolnzach selbst allerdings musste noch ein paar Jahre länger auf seine Anbindung warten, erste Gespräche dazu sollen 1888 stattgefunden haben und im Oktober 1891 gab es Begehungen, um die Haltepunkte auf der Strecke Wolnzach-Bahnhof-Mainburg festzulegen. Schwierig damals wie heute: die Frage der Finanzierung. Alleine die Grunderwerbskosten beliefen sich nach ersten Schätzungen auf über 164000 Mark, "Realitätenbesitzer" Hammerschmid bot sich als Finanzier an, knüpfte dies jedoch an eine Bedingung: Die Trasse von Wolnzach-Bahnhof nach Wolnzach-Markt sollte zwingend über Burgstall und nicht - auch das war damals im Gespräch - über Lohwinden führen. Die Lohwinden-Route allerdings scheint seinerzeit der Favorit des Wolnzacher Magistrats gewesen zu sein, denn Bürgermeister Josef Aichbichler versprach im Falle einer solchen Linienführung eine Wolnzacher Beteiligung von rund 20000 Mark, für die Linie über Burgstall wollte man nur die Hälfte bereitstellen. Die Trasse über Burgstall, so die Begründung, würde zu viele Gewerbetreibende schädigen. Schaden fürchteten übrigens auch zahlreiche Landwirte wegen der anstehenden Gleisarbeiten: Wertvolle Wiesen und Weiden würden verloren gehen oder auseinander gerissen werden und das Vieh unter vorbeifahrenden Zügen leiden. Diese Bedenken gab es so oder so - und am Ende fiel die Entscheidung zugunsten der Burgstaller Trasse - und sehr zum Leidwesen des damaligen Magistrats unter Führung von Bürgermeister Aichbichler.

Am 1. August 1893 nahm die Eisenbahnbausektion ihre Arbeit auf - sie tat das aus der Wolnzacher Knabenschule (heute Haus des Marktes), wo sie sich im zweiten Stockwerk eingerichtet hatte. Noch vor Wintereinbruch 1894 wurde die erste Teilstrecke Wolnzach-Bahnhof und Wolnzach-Markt in Betrieb genommen: Am 4. Dezember fuhr der erste Zug im Markt ein und stoppte vor dem damals ebenfalls neu errichteten Bahnhofsgebäude. Wie damals für kleinere Bahnstationen für einen Ort in der Größe Wolnzachs üblich, so war das Gebäude ursprünglich mit nur einem Obergeschoss gebaut worden, das heutige zweite Obergeschoss wurde erst nachträglich aufgestockt.

Unverzüglich gingen die Gleisbauarbeiten danach weiter in Richtung Mainburg, denn man versprach sich große wirtschaftliche Vorteile durch diese Verbindung; bereits 1895 konnte das erste Teilstück frei gegeben werden. Knapp 20 Jahre später erfolgte auch die Freigabe der Lokalbahn Wolnzach-Bahnhof-Geisenfeld.

Der Siegeszug des Automobils beendete schließlich die Ära der Lokalbahnen - und damit auch die Bedeutung des Wolnzacher Bahnhofs: Der letzte Schienenbus stoppte hier 1969, das Bahnhofsgebäude ließ von da an nur mehr äußerlich seine einstige Bedeutung erahnen.

Mieter zogen ein und blieben viele Jahre. Jetzt, wo sie ausgezogen sind und das Gebäude leer steht, möchte der Markt Wolnzach das Gebäude kaufen, nachdem das direkt daneben stehende rote Backsteinlager ja bereits seit über neun Jahren im Eigentum des Marktes ist. "Da wir unseren neuen Kindergarten auf dem dahinter liegenden Bolzplatz neu bauen möchten, könnten wir ganz anders agieren, wenn uns das Bahnhofsgebäude gehören würde", so Bürgermeister Jens Machold (CSU) dazu.

Während die Bahn selbst auf Anfrage unserer Zeitung darauf verweist, sich zu Immobilienangelegenheiten generell nicht zu äußern, bestätigt der Markt Wolnzach, dass man wegen des Bahngebäudes seit längerem "in Verhandlung" stehe. Man hoffe sehr, dass das Bahnhofsgebäude in absehbarer Zeit tatsächlich Eigentum des Marktes werde.

WZ

Karin Trouboukis