Hirnsberg
Eine Linde erzählt

Der kürzlich verstorbene Alois Kohlhuber hat dem Baum am Ortsrand von Hirnsberg eine Stimme gegeben

14.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:14 Uhr
Sie hat viel erlebt, die Linde am Ortsrand von Hirnsberg: Der kürzlich verstorbene Alois Kohlhuber hat dem stummen Zeugen eine Stimme gegeben und lässt ihn Geschichte(n) erzählen. −Foto: Zurek

Hirnsberg (PK) Bäume spielten früher oft eine zentrale Rolle für das soziale Leben eines Ortes. Heute ist es vor allem die ältere Generation, die durch ihre Erzählungen die Bedeutung der Bäume für die Dorfgemeinschaft lebendig werden lassen kann. Der kürzlich verstorbene Alois Kohlhuber aus Wolnzach war einer von ihnen. Er hat einem dieser stolzen Riesen eine Chronik gewidmet - erzählt in Versen.

In dem Text ergreift mal der Dichter, mal die Linde das Wort. Kohlhubers Verbundenheit mit der Linde im Ortsteil Hirnsberg hat einen guten Grund. "Ich bin auf dem Hof nur 50 Meter von ihr entfernt geboren", erzählte der 93-Jährige noch kurz vor seinem Tod. Der Agrar-Ingenieur (FH), der einst an der landwirtschaftlichen Berufsschule in Pfaffenhofen unterrichtete, hat als Kind noch "die Lindenblüten gepflückt und an den Ästen geschaukelt, die bis tief runter gehangen sind". In seinem Gedicht erinnert sich der langjährige Vorsitzende des Imkerverbands, wie es in allen Zweigen "summt und brummt" und wie er dieser "Symphonie" nach des Tages Müh' im Grase liegend lauscht.

In seiner Jugend sei die Winterlinde auch am Abend ein beliebter Treffpunkt gewesen. "Mein Onkel hat unter ihrem Blätterdach öfter seine Ziehharmonika ausgepackt und gespielt", erinnerte sich Kohlhuber an Zeiten, als das Dorf sein Trinkwasser noch von der Quelle oberhalb des Baums bezog. Dort, wo die stolze Sommerlinde wächst, die aber seiner Schätzung nach "nur rund 300 Jahre" unter der Rinde hat.

Der "Dorfbaum" hingegen ist seines Erachtens mindestens 500 Jahre alt. Als vor Jahren der jüngere Teil des Doppelstamms wegbrach, habe er an diesem bereits 375 Jahresringe gezählt. Warum die betagte Dame nach dem Deutsch-Französischen Krieg auch "Hüter-Linde" genannt wurde, verrät sie in des Dichters Versen: "Ein Schweinehirt kam auch dazu. Mit einer Ziege, einer Kuh. Erhielt von Bauern etwas Land. So auch den Grund, auf dem ich stand".

Erlebt hat Kohlhuber noch, wie Bauern die Erde zu Füßen des Baumes ausgegraben und auf die Felder transportiert haben. Zum sogenannten "Mergeln" - man habe geglaubt, die in dieser Erde vorhandenen Mineralien täten dem "ausgemergelten" Boden gut. Sogar die Wurzeln des Baums wurden dabei teilweise abgeschlagen "und das hat ihm zu schaffen gemacht, er neigte sich". Die ausgehobene Grube ihrerseits diente zur Entsorgung von Abfällen. "Da kam alles rein, was kaputt war, sogar Pferdegeschirre", erzählte Kohlhuber. Das frei gelegte Wurzelwerk mit seinen vielen Nischen diente Hühnern zur Eiablage - wo sie die Kinder des Dorfs aufsammelten. "In die kleine Höhle unterhalb des Stammes konnte man sogar reinklettern, wenn man mutig war", erinnerte sich Kophlhuber an seine Kindheit.

Für Kohlhuber bedeutete die Linde "ein Stück Heimat". Und da ist er nicht der einzige. Seine einstige Nachbarin fände es "ewig schad" wenn der Baum gefällt werden müsste - einmal wäre es fast soweit gewesen. Denn die Linde steht nah an der Ortsverbindungsstraße nach Osterwaal und einige Anwohner fürchten, sie könne irgendwann umstürzen und schwere Schäden verursachen. Noch aber steht sie stolz und im vollen Laub - aber leider stumm.

Kohlhuber hat ihr noch vor seinem Tod eine Stimme gegeben. Erzählt von Zeiten, als noch Frohn und Zehnt die Bauern drückten, als Krieg, Hunger und Pest das Land heimsuchten, erinnert an Flüchtlinge, die Schutz suchten im Dorf. Und er lässt die Linde beklagen, dass es nach dem Sturm zur Jahrtausendwende hieß: "Der Baum ist nur noch Brennholz wert, es lohnt sich nicht, hier viel zu tun, am besten schneiden wir ihn um". Glücklicherweise fand die 1966 unter Schutz gestellte Linde Unterstützer, wurde kräftig zurechtgestutzt und hielt ihr lyrisches Versprechen: "Bis einige Jahre sind vergangen, will ich mit voller Krone prangen".
 

Maggie Zurek