Ingolstadt
Sehr unterschiedliche Zeichen gegen Rechts

Nach Verurteilung wegen Hakenkreuz-Foto auf Facebook: 46-Jähriger zieht am Landgericht Berufung zurück

29.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:22 Uhr
"Pfaffenhofen ist bunt": Unter diesem Motto demonstrierten im vergangenen September auf dem Hauptplatz rund 600 Bürger gegen eine Kundgebung der AfD. −Foto: Straßer/Archiv

Ingolstadt/Pfaffenhofen (PK) Am 17. September 2018 sprach der bayerische AfD-Landesvorsitzende Martin Sichert in Pfaffenhofen vor dem Rathaus zu knapp 150 Parteifreunden und Sympathisanten.

Gegen diese Kundgebung hatte sich zuvor in kurzer Zeit ein breites Aktionsbündnis formiert. Gut 600 Bürger demonstrierten unter dem Motto "Pfaffenhofen ist bunt" auf dem Hauptplatz.

Ein damals 45-jähriger Rentner aus dem nördlichen Landkreis Pfaffenhofen fühlte sich von der Anti-AfD-Demonstration, wie er beklagt, "als Böser" diffamiert. Es ärgerte ihn nach eigener Aussage auch sehr, als am 3. September in Chemnitz unter dem Motto "Wir sind mehr" ein von gut 65000 Menschen besuchtes Konzert gegen Rechtsradikalismus stattfand - eine Reaktion auf die Straßenschlachten in der Stadt nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen am 26. August.

Der gegen Rechtsradikale gerichtete Slogan "Wir sind mehr" scheint den Frührentner immer arg zu erzürnen. Um seiner Gedankenwelt Ausdruck zu verleihen, schritt er publizistisch zur Tat. Die hatte jedoch erhebliche juristische Folgen.

Am 18. September 2018 postete er auf seiner Facebook-Seite zwei Fotomontagen. Eine zeigte einen Aufmarsch von Nationalsozialisten. Auf Standarten ist mehrfach ein Hakenkreuz zu sehen, außerdem der Schriftzug "NSDAP" (die Partei Hitlers). Darunter schrieb der Mann (das gibt er zu): "Wir sind mehr. " Das zweite Foto zeigte Sophie Scholl, Mitglied der Münchner Widerstandsgruppe "Weiße Rose", mit einem Gefährten; sie wurden 1943 von den Nazis hingerichtet. Scholls Bild versah der Angeklagte mit dem Spruch: "Wir sind wenig. "

Am 13. Juni dieses Jahres verurteilte das Amtsgericht Pfaffenhofen den heute 46-Jährigen wegen des "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" (denn das Hakenkreuz ist verboten) zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à fünf Euro.

Richter war damals Konrad Kliegl. Er ist seit August Vizepräsident des Landgerichts Ingolstadt. Das musste sich gestern mit dem Fall befassen, weil der Angeklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt hat. Doch die zog er nach gut einstündiger Verhandlung wieder zurück - so wie es ihm Richter Konrad Riedel, Vorsitzender der Berufungskammer, dringend geraten hatte.

Staatsanwalt Frank Nießen hatte zunächst sogar eine Freiheitsstrafe gegen den 46-Jährigen gefordert, weil mehrere Geldstrafen (wegen anderer Delikte) "erfolglos geblieben sind". Denn der Mann lande immer wieder vor Gericht. Doch am Ende stimmte Nießen der "beidseitigen Berufungsrücknahme" zu - "allerdings nur aus verfahrensökonomischen Gründen".

Der Angeklagte wiederholte mehrfach: "Ich bin kein Nationalsozialist! " Er wisse, dass das Hakenkreuz ein verbotenes Symbol sei und habe es nur "in satirischer Absicht verwendet". Auf einer Rechtsberatungsseite im Internet habe er sich informiert, ob er das dürfe. Und sei zu dem Schluss gekommen: ja.

Der Angeklagte bezeichnete sich als "Anhänger des Rechtsstaats" und "libertär", berichtete gestern allerdings auch davon, dass gegen ihn wegen des Verdachts, dem Reichsbürger-Milieu nahezustehen, ermittelt wurde, was er als Schikane der "politischen Polizei" empfinde.

Rechtsanwalt Frank Miksch führte in seiner Erklärung aus, dass sein Mandant "sehr sensibel ist, wenn eine Mehrheit eine Minderheit mundtot machen will" und eine "Diktatur gegen die Minderheit" drohe. Denn so empfinde das der Angeklagte - erst recht nach der Anti-AfD-Demonstration in Pfaffenhofen und dem "Wir sind mehr"-Konzert in Chemnitz. Dort seien "antideutsche Bands wie Feine Sahne Fischfilet aufgetreten". Sein Mandant bleibe dabei: Der Beitrag mit den Hakenkreuzen samt Sophie Scholl sei satirisch gemeint gewesen, "um zum Nachdenken anzuregen".

Richter Konrad Riedel ließ keinerlei Zweifel daran, dass ihn die Einlassung des Mannes nicht überzeugt. "Ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ergibt sich aus den Facebook-Posts gerade nicht! " Eine Distanzierung "muss eindeutig sein". Verwende man dafür ein verfassungsfeindliches Symbol wie das Hakenkreuz, "muss klar erkennbar sein, dass dessen Bedeutung negiert wird". Im vorliegenden Fall werde jedoch "in keiner Weise negiert, was im Nationalsozialismus passiert ist - es reicht nicht! " Ein Beispiel für eine eindeutige und deshalb legale Distanzierung sei die bekannte Darstellung eines Hakenkreuzes, das in einen Mülleimer geworfen wird, erläuterte Riedel. "Es mag schon sein, dass die Fotos satirisch gemeint waren, aber wie soll einer verstehen, dass das Satire sein soll? " Es komme nicht nur auf den Horizont des Angeklagten an, "sondern auch auf den Empfängerhorizont. Was empfindet ein Leser, wenn er das sieht? "

Das Pfaffenhofener Urteil - 450 Euro Strafe - sei "sehr milde gewesen". Er sehe keinen Weg zu Straflosigkeit, sagte Riedel. Es sei vielmehr fraglich, ob es bei diesem milden Urteil bleiben kann. "Aus Fürsorgepflicht, nicht als Drohung" rate er, die Berufung zurückzuziehen.

Das tat der 46-Jährige. Von der Argumentation des Richters überzeugt wirkte er dabei allerdings ganz und gar nicht.

Christian Silvester