Wolnzach
Premiere für das Amper-Kino

Eine von oben angeordnete Sperrung ist auch im seit 1922 bestehenden Wolnzacher Lichtspielhaus neu

19.05.2020 | Stand 02.12.2020, 11:20 Uhr
Schon als die Bilder laufen lernten, gab es in Wolnzach ein Kino, gegründet im Jahr 1922 von den Großeltern des bald 85-jährigen Seniors Max Amper. −Foto: WZ-Archiv

Wolnzach - Knisternde Schwarz-Weiß-Filme mit Klaviergeklimper damals und modernste Digitaltechnik inklusive Soundsystem heute; nach dem Zweiten Weltkrieg amerikanische Filme, die keiner verstand; so manches Pärchen, das sich auf den Kinosesseln fand, während sich andere bei laufender Filmvorführung trennten. Das ehrwürdige Lichtspielhaus der Familie Amper gibt es seit 1922 in Wolnzach - und viel hat es schon erlebt. Dass ihm eine Sperrung vorgeschrieben wird, wie jetzt in Coronazeiten, das ist für den Betrieb, der mittlerweile in vierter Generation geführt wird, jedoch Premiere, eine mit aktuell noch ungewissem Ausgang: Wann Kinos wieder öffnen können, ist noch nicht geklärt, wie es danach weitergeht ebenso wenig.

"Dass sie uns zugesperrt haben, das gab es noch nie." Max Amper ist bald 85 Jahre alt. Er hat das Kino von seinen Eltern übernommen, die wiederum die 1922 von ihren Eltern Quirin und Magdalena ins Leben gerufenen Lichtspiele mit großer Leidenschaft betrieben. In guten wie in schlechten Zeiten, eben auch im Krieg. Da musste man sich entsprechend einrichten, erinnert sich der heutige Senior. Denn als vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg endete, war es gut, wenn man nicht Parteimitglied war. So durfte im Amper-Kino nach 1945 der Projektor weiter laufen - auch, wenn die Filme so ganz anders waren als das, was vor dem Krieg über die Wolnzacher Leinwand flimmerte. "Amerikanische Filme waren das", so der Senior. "Da hat keiner ein Wort verstanden." Da halfen auch die deutschen Untertitel nicht wirklich. Aber egal. Der Betrieb lief, so wie immer.

Heute tut er das nicht. Seit dem 17. März ist das Wolnzacher Kino zu, Sperrung coronabedingt verordnet, Ende derzeit nicht in Sicht. "So eine Situation hatten wir wirklich noch nie." Max Amper als Sohn des jetzigen Seniors und seine Frau Monika sind heute die Chefs im Kino, führen die Familientradition in vierter Generation weiter, wobei die fünfte Generation schon in den Startlöchern steht und eifrig im Betrieb mitarbeitet. Normalerweise. Aber Corona hat auch vor dem Amper-Lichtspielhaus nicht Halt gemacht - der Schnitt, um in der Filmsprache zu bleiben, kam unvorhergesehen, unerwartet, der Filmriss greift tief. Wie das alles ausgeht, ist noch nicht absehbar.

Filmstarts gecancelt, darunter der neue James Bond auf Ende des Jahres verschoben. Die Verleiher im Unsicheren, alles, was dran hängt, inklusive. Ein weiterer Industriesektor am Wackeln. Welche Filme wann verfügbar sind, wo die Werbung dazu ja gar nicht angelaufen ist und sich dementsprechend die Neustarts irgendwo stapeln wie früher die Filmrollen vor den Projektoren - Fragezeichen über Fragezeichen.

Sicher ist, dass von den 1734 Kinos im gesamten Bundesgebiet viele wanken. Die Branche spricht aktuell von wöchentlichen Umsatzverlusten in Höhe von rund 17 Millionen Euro. "So gesehen, geht es uns ja noch gut, da brauchen wir eigentlich ja nicht jammern", sagt der jetzige Wolnzacher Kinochef Max Amper. Das Haus gehört der Familie, es gibt also keinen Vermieter, der trotz Einnahmeausfalls auf pünktliche Pachtzahlungen drängt wie anderswo. Zudem ist das Amper-Kino ein reiner Familienbetrieb, in dem jeder eingespannt ist: die Senioren mit ihren drei Kindern, deren Ehepartnern und deren Familien inklusive.

Aber die jetzigen Betreiber Max und Monika haben investiert, haben gerade einen zweiten Saal angebaut und damit bewusst auf eine Zukunft des Kinos in Wolnzach gesetzt. Und das in einer Zeit, zu der andernorts das Kinosterben allenthalben Schlagzeilen machte. "Wir haben uns bewusst für dieses Kino entschieden, wollen weitermachen und den Leuten etwas bieten", sagen Monika und Max Amper. Nach dem Anbau des zweiten Saales war für heuer die Sanierung des ersten Saales geplant - unter anderem mit neuem Soundsystem, LED-Beleuchtung, farblich frischem Innengestaltung mit zum Beispiel knallrotem Vorhang vor der riesigen Leinwand, moderner Toiletteanlage. Eine Renovierung, die eigentlich anders terminiert war: "Wir wollten das auf die Zeit der Fußball-Europameisterschaft legen, weil da ja weniger Leute kommen", erzählt Monika Amper. Jetzt habe man die Arbeiten vorgezogen, um die Corona-Zwangssperrung irgendwie sinnvoll nutzen zu können.

98 Sitze in einem, 153 im anderen Saal, also viel Platz. Getrennte Eingänge, Toiletten sowohl im Foyer als auch im Saal. Gedanken über ein Hygienekonzept haben sich die Ampers schon gemacht, sind überzeugt, dass sich da alles umsetzen ließe, was verlangt wird. Nur wissen sie noch gar nicht, wann sie das initiieren sollen, weil eine Kinoöffnung noch in den Sternen steht. "Wir haben keine Information, auf die man sich verlassen kann", sagt Max Amper junior. Gäbe es einen Termin, dann wären damit aber längst nicht alle Fragen beantwortet: "Wir müssten dann wahrscheinlich alte Filme spielen", so der Kinochef. Denn hunderte gecancelter Filmstarttermine könnten nicht so einfach nachgeholt werden. "Wir hoffen, dass die Leute dann auch wirklich kommen, wenn wir irgendwann wieder aufsperren dürfen."

Die Wahrscheinlichkeit dafür ist groß. Denn dass die Gäste das Wolnzacher Kino vermissen, das spüren die Ampers, bekommen immer wieder entsprechende Rückmeldungen. Damit wenigstens ein wenig Kinoatmosphäre durch die Elsenheimerstraße wabert, haben sie sich etwas einfallen lassen und bieten alle zwei Wochen samstags ihr "Popcorn to Go" an, frischer Maissnack im Rieseneimer, das coronakonform ausgegeben wird und daheim verzehrt werden kann. Diesen Samstagabend ist es wieder so weit; um kalkulieren zu können, muss man sich dafür anmelden, Infos stehen auf der Kino-Homepage.

"Das kommt gut an", sagt Max Amper - und gibt zu, dass die Aktion nicht so ganz uneigennützig ist. Denn das gibt gerade ihm so ein ganz kleines bisschen das Gefühl der Normalität, die er seit über 50 Jahren gewohnt ist: Er ist nicht nur mit dem Kino, sondern direkt darin aufgewachsen. Freie Wochenenden, freie Abende - kennt er nicht, will das auch nicht, zumindest nicht immer: "Ich habe gar nicht gewusst, wie lang so ein Abend sein kann", sagt er - und erntet dafür einen Seitenblick seiner Frau. Aber einen verständnisvollen. Denn längst ist auch sie genauso mit dem Betrieb verschmolzen, wie das die ganze Familie ist. Das Kino bestimmt die Tagesabläufe - und eine auferlegte Sperrung wie jetzt zeigt Auswirkungen: Das wirft in diesem Fall nicht nur das berufliche, sondern auch das private Leben komplett durcheinander. "So viel spazieren gegangen wie jetzt bin ich noch nie", gesteht der Kinochef.

Wie lange er das noch kann beziehungsweise muss? Aktuell gibt es dazu keine Information, keine Planungssicherheit für die Kinobetreiber und die gesamte Branche. Es heißt also warten. Und hoffen. Darauf, das er bald kommt, "The Day after", der Tag danach, an dem sich der Kinovorhang endlich wieder öffnen darf.

WZ