Pfaffenhofen
Die Region muss mobiler werden

Kampf den Blechlawinen: Experten diskutieren mit Politikern Verkehrskonzepte

09.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:14 Uhr

Der Hausarzt und Informatiker Siegfried Jedamzik stellte die Möglichkeiten der Telemedizin vor. - Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen (PK) Blechlawinen auf den Straßen, überfüllte Parkplätze an den Bahnhöfen, ein unattraktives Busnetz auf dem Land - um die Verkehrsströme besser zu lenken, trafen sich rund 70 Experten, Bürgermeister, Kreis-, Land- und Stadträte sowie Unternehmer in der Bavaresi-Tenne zu einer Konferenz.

Von anderen lernen und mit ihnen vernetzt zusammenarbeiten, das war das Ziel der Veranstaltung, zu der Irma, die "Initiative Regionalmanagement Region Ingolstadt", sechs Fachleute eingeladen hatte. Sie stellten Projekte aus ihrem Bereich vor. "Mobilität", das klingt erst einmal sperrig, betrifft aber tatsächlich jeden, egal, ob er mit Bahn, Bus oder dem Auto unterwegs ist. Ein großes Thema ist die Vernetzung der einzelnen Verkehrsanbieter. Wer etwa mit Bus und Bahn von Scheyern nach Eichstätt fahren will, muss mehrere Tickets lösen. Ziel ist es, erklärte der amtierende Landrat Anton Westner (CSU), einen Verbundtarif für sämtliche Busverbindungen der Region einzuführen: Eine Fahrkarte, die für die ganze Strecke gilt. Der Start dazu war für diesen Herbst geplant, neuer Termin ist jetzt der 1. September 2018.

Das Problem, erklärte Robert Frank vom Ingolstädter "Zweckverband Verkehrsgemeinschaft", ist auch das EU-Recht. Denn ein Verbundtarif macht für den Fahrgast nur Sinn, wenn das Ticket preiswerter ist als die Summe der einzelnen Fahrkarten. Das aber führt zu Einnahmeverlusten der privaten Busunternehmer. Das Minus wurde von den Kommunen und Landkreisen übernommen. Diese Bezuschussung kollidiert aber seit 2009 mit dem EU-Recht, das Subventionierungen stark reglementiert. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, wird durch bürokratische Hürden blockiert: Der Fahrgast, erklärte Frank, erwartet ein Handyticket vom Start bis zum Ziel. Was keine Spielerei ist: Eine enge Kooperation im öffentlichen Personennahverkehr, so Frank, ist die "Antwort auf Fragen der Zukunft".

Warum solche Probleme dringend gelöst werden müssten, machte auch Andreas Steppberger (FW) klar, Oberbürgermeister von Eichstätt und Irma-Vorsitzender: Die Region Ingolstadt, Eichstätt, Pfaffenhofen und Neuburg/Schrobenhausen sei die wirtschaftlich erfolgreichste Deutschlands, die Arbeitslosenquote europaweit die niedrigste. Dass das kein Selbstläufer ist, wissen vor allem die Unternehmer. Bei Stellenausschreibungen achten die Bewerber auch darauf, wie gut ihr neuer Arbeitsplatz erreichbar ist.

Kathrin Peter vom Regionalmanagement Altmühl-Jura stellte die "Mobilitätsoffensive" für ihre Region vor, ein "klassischer ländlicher Raum" mit einer geringen Einwohnerdichte bei alternder Bevölkerung. Das Busnetz werde überwiegend für den Schülerverkehr genutzt. Ziel sei es, das Mobilitätsangebot "im Sinne einer regionalen Daseinsvorsorge" weiterzuentwickeln. Was zweifellos notwendig ist. Denn wer ohne Auto zum Beispiel sonntags von Dietfurt zum Bahnhof nach Neumarkt will, hat keine Chance: Es fährt kein Bus.

Die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs will auch Rudolf Plach erhöhen, Leiter der Unteren Straßenverkehrsbehörde beim Pfaffenhofener Landratsamt. Bus und Bahn sollen besser vernetzt werden, die Fahrpläne zu Bahnhöfen und Einkaufszentren sollen sich noch mehr dem tatsächlichen Bedarf anpassen. Der weitere Ausbau von Ruf- und Bürgerbussen soll auf die individuellen Beförderungswünsche der Bevölkerung eingehen.

Bürgerbusse dagegen sind für den Verkehrswissenschaftler und Städtebauplaner Martin Randelhoff die "Kapitulation des Staates". Unser Verkehrssystem sei ein Relikt auf der Zeit der Industrialisierung. "Es gibt im ländlichen Raum keine Unterversorgung!" Statistisch haben 66 Prozent aller Haushalte zwei Autos. Und warum sollte jemand nicht dafür bezahlt werden, wenn er seine Nachbarn mit zum Bahnhof nimmt? Klingt gut, funktioniert aber kaum, weiß Kreisrat Alois Brummer (CSU) aus Wolnzach. Seit Jahren, berichtete er, versuche er, eine "Mitfahr-App" einzurichten, was natürlich nur Sinn mache, wenn sie über die Grenzen Wolnzachs hinaus greift. Aber genau das sei das Problem: Die Idee finden alle gut, mitmachen will kaum jemand. Es scheitere ja schon im kleinen Bereich. Auszubildende von Audi, erzählt Brummer, treffen sich täglich zur selben Uhrzeit im selben Zug nach Ingolstadt, werden aber jeweils von ihren Eltern zum Bahnhof gefahren. Sich abstimmen? Das scheitere daran, dass ein Elternteil möglicherweise einen Umweg von zehn Minuten fahren müsse, um die anderen Azubis mitzunehmen.

Bedauerlicherweise ein globales Problem: Denn während der Ausstoß von Treibhausgasen in den vergangenen 25 Jahren in vielen Bereich gesenkt werden konnte - durch bessere Isolierung im Gebäudebereich um 40 Prozent, in der Industrie um 34 Prozent - ist er beim Verkehr um zwei Prozent gestiegen. Der Preis für individuelle Bequemlichkeit.

Wie Telemedizin die Straßen entlastet

Digitalisierung, Industrie 4.0 – was das konkret bedeutet, ist nichts weniger als eine Revolution. Erste Ansätze wurden bei der „Fachkonferenz Mobilität“ deutlich. Der Ingolstädter Hausarzt und Informatiker Siegfried Jedamzik stellte die Telemedizin vor als Beispiel vor, Straßenverkehr zu vermeiden: Für Augenuntersuchungen besuchen Ärzte mit den entsprechenden Diagnosegeräten Seniorenheime, die Befunde werden zeitgleich an die jeweiligen Arztpraxen übertragen. Das erspart den Senioren den Weg in die Praxis, der Arzt spart Zeit.Genauso sollen Hausärzte von ihrer Praxis aus Zugriff auf Pflegeakten haben. Da ist es nur konsequent, wenn das automatische Notrufsystem eCall, das ab April 2018 in allen neuen Pkw-Modellen Vorschrift ist, den Rettungsdiensten auch gleich die Daten aus der Krankenakte des Unfallopfers übermitteln könnte.Was wie Science-Fiction klingt, ist für Thomas Bartholomé von der Technischen Hochschule Ingolstadt täglich Brot. Er stellte Projekte wie etwa einen Fahrradhelm, der Gefahren erkennt, vor. Oder Sensoren in Jacken von Kindern, die herannahende Autofahrer warnen, noch ehe sie die Kinder selbst sehen können. Das klingt unheimlich, und deshalb untersucht Bartholomé mit Probanden, wie Menschen auf diese Technik emotional reagieren: Wie verhalten sie sich, wenn sie am Steuer eines Autos sitzen, das automatisch fährt und vom Fahrer nicht beeinflusst werden kann?