Haar
Liegen bleiben ist nicht

Für den Geiselnehmer von Pfaffenhofen und seine Mitpatienten sind die Tage in Haar gefüllt mit Therapien und Gesprächsrunden

17.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr
Fünf Stunden lang hatte die Geiselnahme im Jugendamt nahezu die ganze Stadt in Atem gehalten. Seit seiner Festnahme sitzt der 28-jährige Täter im Hochsicherheitstrakt der Forensik in Haar −Foto: Straßer

Pfaffenhofen/Haar (PK) Der 28-jährige Geiselnehmer von Pfaffenhofen ist nach seiner spektakulären Tat in den Hochsicherheitsbereich der Forensik nach Haar bei München gebracht worden.

Er war am Montag vergangener Woche von der Polizei überwältigt worden, nachdem er fünf Stunden lang eine Mitarbeiterin des Pfaffenhofener Jugendamtes in seiner Gewalt hatte. Wir sind der Frage nachgegangen, wie der Alltag in Haar aussieht.

 

Im Hochsicherheitsbereich der Forensik in Haar leben ausschließlich kranke Straftäter. Unabhängig davon gibt es auch noch eine "normale" Psychiatrie, in die sich gesetzlich unbescholtene Menschen selbst einweisen lassen können.

Die Einrichtung ist Teil des KBO Isar-Amper-Klinikums in Trägerschaft des Bezirks Oberbayern. Es ist die größte Einrichtung dieser Art in Deutschland. Für das Klinikum mit mehreren Filialen in Ober- und Niederbayern arbeiten insgesamt fast 3000 Menschen. Es muss übrigens trotz der aktuell 1700 Betten erweitert werden, denn der vorhandene Platz reicht kaum noch aus. Neue Standorte sind unter anderem in Dachau und Fürstenfeldbruck geplant.

Das Hauptgebäude in Haar wirkt von außen betrachtet übrigens gar nicht wie eine Psychiatrie - also nicht so baulich nüchtern und modern wie etwa die Danuvius-Klinik. Es schaut eher aus wie aus einem alten Edgar-Wallace-Film. Die Fassade aus Naturstein ist von Efeu bedeckt, der Besucher tritt durch ein mächtiges Portal und blickt dabei auf elegante Giebelfenster. Daneben ragt ein Turm in den Himmel.

Der Alltag der Patienten in der Forensik ist klar geregelt, darin unterscheidet sich Haar nicht von anderen Einrichtungen dieser Art in der Bundesrepublik. Parallelen zum klassischen Gefängnis sind durchaus erkennbar, wie Insider berichten: Wecken und Aufstehen ist immer um 7 Uhr, dann heißt es waschen und anziehen. Liegen bleiben ist nicht. Wer nicht nachweislich organisch krank ist und das attestiert bekommt, hat sich dem Tagesprogramm unterzuordnen.

Darben muss allerdings keiner, die kulinarische Versorgung wurde noch nie beanstandet, berichten Mitarbeiter. Das Frühstück umfasst Semmeln, Marmelade, Butter, Wurst und Käse, gewählt werden kann zwischen Tee und Kaffee. Mittags stehen drei verschiedene Gerichte zur Auswahl, darunter auch ein vegetarisches. Abends gibt es meist wieder Brotzeit, auf Wunsch auch eine warme Suppe. Es sollen übrigens nicht wenige Forensikpatienten ganz ordentlich an Gewicht zulegen. Grund neben der üppigen Kost: Verglichen mit draußen ist die sportliche Betätigung nur sehr eingeschränkt möglich, traditionell gearbeitet wie in den normalen Gefängnissen wird so nicht und einige der Patienten bekommen Psychopharmaka. Die aber kurbeln häufig massiv den Appetit an.

Aus Krimis kennt man das Bild, dass die Zimmer in der Forensik immer Videoüberwachung haben. Doch das stimmt so nicht, heißt es aus der Klinik. Nur wenn der Patient sich oder andere gefährden könnte, sei das der Fall. Die moderne Psychiatrie gesteht auch einem psychisch kranken Straftäter das maximal mögliche Maß an Privatsphäre zu. Die Zimmer sind zwar einfach, aber nicht spartanisch eingerichtet, verfügen neben Tisch, Bett, Schrank, Kommode und Stuhl auch über eine eigene Dusche und eine eigene Toilette. Trotzdem gibt es natürlich einen hohen Sicherheitsstandard. Der beginnt bei den Zimmern - massive Türen mit schweren Schlössern, dazu kommen kleine Sichtfenster in der Mitte auf Gesichtshöhe. Jede Station ist nochmals separat gesichert, Türen nach draußen lassen sich nur mit Befugnis öffnen. Und der Außenbereich unterscheidet sich dann optisch kaum noch von einem klassischen Gefängnis.

Der Pfaffenhofener Geiselnehmer darf Kontakt zu anderen Patienten haben, eine Isolierung wird nicht angestrebt. Gericht und Staatsanwaltschaft legen aber fest, wer ihn besuchen darf und wann. Dass Angehörige einfach mal so vorbei schauen wie in einer Klinik, ist ausgeschlossen. Für die Patienten ist der Tag gefüllt mit Einzel- und Gruppentherapien und vielen Gesprächsrunden. Es wird gemalt (sehr beliebt sind Mandalas) aber auch Musik gemacht. Ziel ist ja unter anderem auch, das Aggressionsverhalten zu reduzieren. Auch zeitlich begrenzte Ausgänge an der frischen Luft im überwachten und von außerhalb des Geländes nicht einsehbaren Innenhof sind möglich, bestätigen Mitarbeiter.

In Haar sitzen ja sowohl Patienten, deren Verhandlung abgeschlossen ist und bei denen die Schuldunfähigkeit aufgrund der psychischen Störung bereits fest steht, genau wie solche Personen - Männer sind in der Überzahl - wo genau das erst mal untersucht werden muss.

Die oberste Verantwortung dafür trägt seit etwa einem Jahr als Ärztlicher Direktor der 52-jährige Psychiater Peter Brieger, der unter anderem auch an der Universität in Ulm unterrichtet. Sein Ansatz: "Eine Therapie, die Angehörige mit einbezieht und weniger auf Zwang setzt."