Pfaffenhofen
Dirndl mit Persönlichkeit

Viel zu schade zum Wegwerfen: Patricia Reichensdörfer arbeitet kreativ alte Dirndl auf

23.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:39 Uhr
Schöne, alte Dirndl: Patricia Reichensdörfer arbeitet alte Kleider auf, die sie auf Flohmärkten oder bei Haushaltsauflösungen entdeckt hat. −Foto: Albert Herchenbach

Pfaffenhofen (PK) Dirndl haben keine Namen. Allenfalls Modellbezeichnungen: "Edelweiß, Größe 38-42." Oder: "Alpenglühen, auch in Übergrößen." Die Dirndl von Patricia Reichensdörfer hängen ebenfalls anonym auf der Stange. Dabei hätte jedes einzelne einen ganz individuellen Namen verdient, weil jedes eine Persönlichkeit ist.

Denn diese Kleider, mitunter drei, vier Generationen alt, könnten nicht nur Geschichten erzählen, Patricia Reichensdörfer hat zu jedem Dirndl auch eine ganz eigene, kreative Beziehung.

Die 28-Jährige hat vor zwei Jahren in der Alten Kämmerei, dem "Kreativquartier" an der Frauenstraße 36, den Projektladen "FranzXaver-Dirndl" aufgemacht. Neben und über ihr haben Künstler, Musiker und Kulturschaffende ihre Ateliers, die ihnen die Stadt für eine symbolische Miete zur Verfügung stellt. Aber was haben Dirndl mit Ölgemälden, Skulpturen und Graffitis zu tun? Die Klammer heißt "Kreativität". Denn Patricia Reichensdörfer arbeitet alte Kleider auf, die sie auf Flohmärkten oder bei Haushaltsauflösungen entdeckt hat. Inzwischen bringt ihr auch die Kundschaft zur Öffnungszeit samstags zwischen 10 und 17 Uhr ungefragt die Dirndl in den Laden: "Das hat die Oma getragen, aber nur an Festtagen. Ist doch zu schade zum Wegwerfen." Ja, sagt dann Patricia, finde ich auch. Sie beeindruckt die traditionelle Schneiderkunst: Wenn etwa die Taille in unzählige kleine Falten gelegt und in stundenlanger akribischer Handarbeit "gestiftelt" wurde. Heute gibt's dafür sündteure Maschinen. Und weil sie zugegebenermaßen gern "ratscht", lässt sie sich die Geschichte der Oma und ihrem Dirndl erzählen. Sie betastet den Stoff, schaut sich die Nähte an, den Reißverschluss, dreht das Kleid auf links. In ihrem Kopf läuft jetzt wie ein Schwungrad der kreative Prozess ab: "Was könnte ich daraus machen? Damit man es heute tragen kann." Und vor allem: Damit es einen Wert behält. Der Saum zum Beispiel ist durchgenäht wie bei einer Jeans. Den wird sie auftrennen und das Kleid mit einem Blindstich säumen. Die Knöpfe? Plastik. Die ersetzt sie durch silberfarbene Metallknöpfe. Irgendwer hat an Omas Dirndl mal die Brustabnäher aufgetrennt und schief wieder zusammengenäht. Da wird sie rangehen müssen. Was sie ganz sicher nicht machen wird: das Kleid aufbrezeln mit Rüschen, Schleifen oder Pailletten. "Ein Dirndl war früher Arbeitskleidung, so wie es heute die Jeans ist." Und deshalb trennt sie Puffärmel ab - "das trägt heute ohnehin keiner mehr". Kann leicht sein, dass sie zehn Stunden Zeit investiert, um das Kleid dann für vielleicht 120 Euro zu verkaufen. "Reich", sagt sie, "werde ich davon nicht. Es deckt die Kosten. Ist mein Hobby."

Was nur die halbe Wahrheit ist. Denn Patricia Reichensberger ist Nachhaltigkeit wichtig: Warum etwas wegwerfen, was noch einen Wert hat? Früher durchlief Kleidung einen Zyklus: Aus dem Sonntagsdirndl wurde ein Alltagskleid, dann wurde es bei der Stallarbeit aufgetragen und schließlich an seinem zerschlissenen Lebensende in den Fleckerlteppich gewebt. Bäuerlich Tradition. Die hat ihr Vater Franz Xaver Kraus vorgelebt, ein gelernter Metzger, der auf einem Bauernhof kurz vor Ingolstadt großgeworden ist. Als er seine Frau kennenlernte, ist er mit ihr nach Pfaffenhofen gezogen, hat umgesattelt, eine Fahrschule gegründet und ein Bauernhaus gebaut. "Ich fand's als Kind schrecklich", sagt Patricia, "ständig hatte ich von den Holzbalken Spreißel in den Fingern." Sehr individuell sei ihre Familie, die kleine Patricia hätte lieber wie ihre Freundinnen modern gewohnt. In diesem Bauernhaus gab's einen kleinen Schrank, in dem die Mutter Dirndl aufbewahrte, auch die von der Oma und sogar der Uroma. Die 28-Jährige erinnert sich: "Mit 15 bin ich mit Schulfreundinnen zur Wiesn gefahren. Und weil ich nicht aus der Reihe tanzen wollte, hab` ich zum ersten Mal eine Dirndl angezogen, das von meiner Uroma." Sie fiel dennoch auf. Denn eine Klassenkameradin fragte: Kommt das aus China? Sie hatte den Stehkragen bemerkt. Das war's dann für Patricia mit den Dirndln. "Aber dann kommt die Zeit", sagt sie, "wo man seine Individualität entdeckt und sich fragt: Wo komme ich her? Was ist vor meinem Leben passiert?" Kein Zufall, dass Sie Wirtschaftspsychologie und Soziologie studiert hat. Inzwischen hat sie den Masterabschluss in der Tasche. Thema ihrer Arbeit: "Berufliche Allokationsmechanismen - Eine Analyse der Personalauswahl in deutschen Unternehmen verschiedener Größe." In diesem Bereich - Personalentwicklung - sucht sie einen Job.

Bei ihrem Studium in Bamberg ist quasi als Nebeneffekt eine weitere Erkenntnis gereift: "Ich habe meine Heimatverbundenheit entdeckt." Was für sie Heimat ausmacht, fasst Patricia in einem Satz zusammen: "Man kommt in einen Biergarten, alle Tische sind besetzt, und man fragt: Ist da noch ein Platzerl frei?" Und dann rücken alle zusammen und reden fröhlich miteinander. Das passt zu ihr. Sie redet gern ("Manche meiner Kunden kommen einfach nur zum Ratschen in meinen Laden") und lacht viel. Das könnte daran liegen, haben ihr Freunde gesagt, dass sie gern Spaghetti mit Parmesan isst. In dem Käse sei ein Inhaltsstoff, der glücklich macht. Kasein? Nee, irgendwas mit X. Glüxin? Ach, Schmarrn.

Das Nähen hat sie sich selbst beigebracht, wenn's knifflig wird, holt sie sich Rat bei zwei befreundeten Maßschneiderinnen in Manching. Die fertigen inzwischen nach ihren Entwürfen ihre eigene Dirndl-Kollektion, die sie - ebenso wie ihren Laden - nach ihrem Vater benannt hat: FranzXaver-Dirndl. Das Firmenlogo ziert ein Hirschkopf, Symbol für ihre Naturverbundenheit. Auf die reine Handarbeit legt sie genauso großen Wert wie auf die Herkunft des Materials, das sie verarbeitet: Die Stoffe kommen aus Bayern, auch die Zutaten. Ihre Kundinnen schätzen das. Und sie freut sich, wenn Kundinnen es zusätzlich schätzen, ein ganz individuelles Dirndl erworben zu haben. Eines mit Geschichte und Persönlichkeit. So wie das Dirndl ihrer Uroma, das mit dem angeblich chinesischen Stehkragen. Es ist inzwischen das Lieblingskleid von Patricia Reichensdörfer.