Pfaffenhofen
Das zweite Leben

Der steinige Weg aus der "Hölle der Ungewissheit" – Teil III der PK-Serie über Organspenden

11.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:30 Uhr

 

Pfaffenhofen (PK) Die Nöte der Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, ist für einen gesunden Menschen nur mit Mühe nachzuempfinden. Dass aber die „Hölle der Ungewissheit“ auch die Angehörigen mitreißt, das hat Annemarie Abeltshauser hautnah erlebt.

Der Pfingstsonntag 2007 wird der Pfaffenhofenerin daher immer unvergesslich bleiben, denn „da begann das zweite Leben meines Mannes“. Der hatte in der Nacht vom 26. auf den 27. Mai die ersehnte neue Leber erhalten.

Schon 1990 hatten Ärzte bei Hans Abeltshauser eine Leberzirrhose diagnostiziert. Langsam aber stetig verfiel das Organ, das Immunsystem war nicht mehr in der Lage, den Körper vor Eindringlingen zu schützen. „Die Abstände zwischen grippalen Infekten wurden immer kürzer, der Verlauf der Erkrankungen immer heftiger“, erinnert sich seine Ehefrau. Die Nachricht der Ärzte im Klinikum Großhadern, dass man ihren Mann auf die Warteliste für eine neue Leber gesetzt hat, war ein Hoffnungsschimmer.

Am Samstag vor Pfingsten, genau um 20.45 Uhr kam der erlösende Anruf: „Es ist soweit“. Hoffen und Bangen hielten sich da die Waage bei den Eheleuten. Denn schon eine Woche zuvor war eine Transplantation knapp gescheitert, weil das ausgesuchte Organ aus medizinischer Sicht eben doch nicht passte.

An dem denkwürdigen Pfingstsamstag „waren wir von einer Bergtour mit Freunden zurückgekommen“, erinnert sich die 52-Jährige. Ihr Mann hatte gerade einen der immer selteneren guten Momente im Krankheitsverlauf genossen. Auf dem Rückweg hatte sie ihn schon fast flapsig fragen wollen, „ob wir nicht einfach mal in Großhadern halten und fragen, ob die schon was haben“. In diesem Augenblick habe sie gedanklich völlig ausgeblendet, dass das sehnsüchtig erwartete Organ „ja von einem Menschen stammt, der an diesem Tag sein Leben verliert“, gesteht sie. Diese Haltung sei einfach „der pure Selbstschutz, wenn man sich aus Sorge an jeden Strohhalm klammert“.

Wenige Stunden später wurde es nun tatsächlich ernst. Schnell war der Patient für die OP vorbereitet „und weg war er“. Zeit für eine Abschiedsszene blieb da nicht. Eine lange Phase angespannten Wartens folgte. Obwohl die Schwestern auf der Station F 8 ihr ein Bett hinstellten, war „an Schlaf natürlich nicht zu denken, aber irgendwie hatte ich die innere Gewissheit, dass alles gut werden würde“, erinnert sich die Mutter dreier Kinder.

Gestärkt hat sie ihr fester Glaube an Gott und an ihren persönlichen Schutzheiligen. In der Gewissheit, der würde es schon richten, habe sie „einfach meine Sorgen in die Hand von Pater Rupert Mayer gelegt“ und nur positive Gedanken zugelassen: Dass der Hans ja in einer relativ stabilen Phase seiner Erkrankung operiert wird und dass er sich sicher nicht wird unterkriegen lassen, wo doch das erste Enkelkind unterwegs ist.

Gegen zehn Uhr kam dann die Nachricht: „Sie dürfen zu ihm, es geht ihm gut“. Der sprichwörtliche Stein fiel da von der Seele. „Ich war unbeschreiblich glücklich“, beschreibt sie die Emotionen angesichts eines geliebten Menschen auf der Intensivstation, der „zwar noch ein bisschen glasige Augen hatte, aber sich sogar mit mir unterhalten konnte“.

Die nachfolgenden Wochen pendelte Annemarie Abeltshauser zwischen Zuhause, Großhadern und ihrer Arbeitsstelle im Landratsamt hin und her. Froh um einen festen Alltagsrhythmus, der sie „vorm Grübeln bewahrte“. Und dankbar für drei Söhne und eine Schwiegertochter, die sie „unheimlich unterstützen“ und Freunde, die sie als „seelische Mülleimer missbrauchen durfte“.

In den Monaten danach gab es „ein Wechselbad der Gefühle nach dem anderen“. Phasen der Genesung wechselten mit wiederkehrenden gesundheitlichen Problemen. Einmal verursachen entzündete Gallengänge Fieber und Schmerzen, dann ist ein Krankenhausaufenthalt wegen mehrerer Abszesse auf der Leber nötig.

Nach zwei Jahren relativer Ruhe dann erneut ein Rückfall – wieder die Gallengänge. Das Weihnachtsessen des Jahres 2009 – „einfache Schnittchen, nicht aufwendig, aber unter den besonderen Umständen dennoch lecker“ – fand auf der Station F 8 statt und markierte schließlich die Wende. Von da an kehrt Normalität ein. Der Meister ist wieder in seinem Elektrobetrieb tätig, die Arbeit macht ihm viel Freude und er kann sogar seine geliebten Bergtouren wieder machen. Bei ein paar der vielen Medikamente, die er nehmen muss, konnte er die Dosis schon reduzieren. Und natürliche Vitamine lassen seine Stoffwechselwerte auf Bestmarken klettern, so ist die Ehefrau überzeugt. „Dass er die Geburt seiner Enkel erleben dürfte, das hätte mein Mann vor fünf Jahren nicht zu träumen gewagt“, weiß sie und freut sich, wie er, dass die beiden Knirpse nun zu den vielen Schätzen ihres gemeinsamen „zweiten Lebens“ gehören.