Pfaffenhofen
Mutmacherin für die SPD

Nahles-Konkurrentin Simone Lange baut die gebeutelten Pfaffenhofener Genossen wieder auf

02.12.2018 | Stand 25.10.2023, 10:33 Uhr
Simone Lange präsentiert gemeinsam mit SPD-Kreischef Markus Käser die Bekanntmachung über die Gründung der SPD-Sektion am 1. Dezember 1918 im Hotel Moosburger Hof. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen (PK) Nicht aufgeben, kämpfen! Die Rede der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, die gegen Andrea Nahles als SPD-Parteivorsitzende angetreten war, kam für die wahlgebeutelten Pfaffenhofener Genossen, die im Rathaus-Festsaal ihren 100. Geburtstag begingen, einer Frischzellenkur mit Eigenblut gleich.

Markus Käser, SPD-Kreis- und Ortsvorsitzender, hatte die 42-Jährige zu einem Impulsvortrag "Sozialdemokratie wagen" eingeladen. "Wenn's mein Terminkalender hergibt, nehme ich solche Termine gern an", verriet Lange, die im Moosburger Hof übernachtete - dort, wo vor 100 Jahren die Sozialdemokraten die "Sektion Pfaffenhofen" gründeten. Was nach dem Absturz der Partei für Käser kein Grund für eine bombastische Feier ist. Vielmehr wollen die Genossen ein ganzes Jahr lang mit Aktionen und Vorträgen besonders auch von "kritischen Geistern" die Gründung begehen. Der Comic-Pop-Künstler Sebastian Schwamm wurde gebeten, Stationen des Partei-Jahrhunderts auf einem gigantischen Triptychon darzustellen, das optimalerweise einmal im Bürgerpark aufgestellt werden solle.

An die 100 Gäste, darunter auch Bürgermeister Thomas Herker und viele Stadträte, unterbrachen Langes Vortrag immer wieder mit begeistertem Applaus. Die Schleswig-Holsteinerin redete ohne Manuskript; aber argumentativ messerscharf und mitreißend. Auf dem männerdominierten politischen Parkett hat sie sich gegen Widerstände und im ersten Wahlgang gegen drei männliche Konkurrenten durchgesetzt, "nach 770 Jahren Stadtgeschichte die erste Frau an der Spitze des Flensburger Rats", erklärte Lange, um dann auf das mangelnde Demokratieverständnis der SPD-Spitze zu kommen. Als sie den Hut um den Parteivorsitz in den Ring warf, hätten viele das als Majestätsbeleidigung betrachtet, sie als "Parteirebellin" und "Spalterin" beschimpft. "Dabei bin ich nicht gegen Andrea angetreten, sondern habe einfach auch kandidiert." Eigentlich hat sie nur das gemacht, was Willy Brandt 1969 in seiner Regierungserklärung ankündigte: Mehr Demokratie wagen.

Die vermisst auch der ehemalige Zweite Bürgermeister Willihard Kolbinger: "Seit Jahrzehnten bestimmen Parteifunktionäre über unsere Köpfe hinweg. Jahrelang sind wir von Münchner und Ingolstädter Abgeordneten majorisiert worden. Das sind ähnliche Verhältnisse wie in der katholischen Kirche." "Mischt euch ein", entgegnete Lange, die allerdings auch erfahren hat, wie zäh der Partei-Apparat ist. Es sei bitter zu erleben, wie der politische Konkurrent, die CDU, es gerade vorexerziere, indem sie mehrere Kandidaten ins Rennen um den Parteivorsitz schickt. In den aktuellen Umfragen habe die Partei wegen dieses demokratischen Akts zwei Prozentpunkte dazugewonnen, behaupten die Demoskopen.

"Es kann doch nicht sein", so Lange, "dass die Parteispitze bei Sachentscheidungen wie der Groko die Mitglieder befragt, bei Personalentscheidungen aber nicht." Das sei wie beim Handball. In ihrer Landeshauptstadt wurde der THW Kiel 20-mal Deutscher Meister. "Das Erfolgsgeheimnis ist das Teamspiel; auch die Ersatzbank wird mit einbezogen. Vor allem aber: Wer siegen will, muss den Ball abgeben." Das vermisst sie offensichtlich bei Nahles und Co. Käser sieht das ähnlich: Nach dem Desaster der Bayernwahl sei dem Vorstand nichts anderes eingefallen als den Parteitag vorzuziehen, ansonsten würden alle weitermachen wollen - "so wie bisher".

Für die Gastrednerin keine Option: Sie ist nicht nur gegen die Groko, sie will auch Schröders Agenda ändern. "Wenn ich zur Parteivorsitzenden gewählt werde", habe sie bei ihrer Tour durch die Ortsvereine erklärt, "werde ich mich für die Agenda 2010 entschuldigen." Ausgelacht worden sei sie damals von der Parteispitze - "von denselben Leuten, die heute sagen, die Agenda müsse weg". Nein, sie müsse angepasst werden. Das Prinzip erst fordern, dann fördern müsse genau umgekehrt werden. "Nicht erst fragen: Bist du bedürftig? Von Sozialdemokraten erwartet man etwas anderes." Lange ist überzeugt: "Die deutsche Gesellschaft tickt sozialdemokratisch." Sie ist eine Anhängerin des Grundeinkommens. Und wenn sie gefragt wird, wie das bezahlt werden solle, verweist sie auf die Sozialausgaben: In diesem Jahr werde die Billionen-Grenze geknackt.

Alles gut und schön, wirft Stadtrat Steffen Kopetzky ein, "aber die Leute glauben uns nicht mehr, dass wir das, was wir versprechen, auch halten. Wie holt man verlorenes Vertrauen zurück?" Lange: "Auf allen Parteiebenen Transparenz einfordern." Das Delegierten-Prinzip will sie abschaffen: Jedes Mitglied soll mitentscheiden. Und: "Wir müssen Mut zum Streit und zur Selbstkritik haben." Sie sei gegen Nahles unterlegen, "weil ich nicht gut genug war. Ich hätte mehr geben müssen." Käser: "Simone, du hast uns Mut gemacht." Die Genossen müssten heute wie damals Parteigründer August Bebel denken und handeln: revolutionär - und sich nicht mit den Verhältnissen abfinden.

Albert Herchenbach