Ilmmünster
Mit Vollgas zurück ins Leben

Nach einem schweren Unfall will Christian Haslauer aus Ilmmünster wieder aufs Motorrad steigen

19.11.2018 | Stand 23.09.2023, 5:00 Uhr
Tina Blum
Das geht doch mit links: Christian Haslauers rechter Arm ist gelähmt. Mit einer Spezial-Orthese übt er auf seinem Mountainbike, damit er bald wieder auf sein Motorrad steigen kann. −Foto: Haslauer

Ilmmünster (PK) Christian Haslauer aus Pfaffenhofen ist eine Kämpfernatur. Vor über drei Jahren hatte er einen schweren Motorradunfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hat. Sein rechter Arm ist seitdem gelähmt. Deswegen den Kopf in den Sand zu stecken, ist für ihn keine Option. Er kämpft sich zurück ins Leben. Unzählige Operationen und Therapien später plant er, wieder aufs Motorrad zu steigen.

Es ist 9 Uhr morgens. Christian Haslauer aus Ilmmünster öffnet die Wohnungstür des Neubaus. Sie ist schwer, als würde man das Tor einer Lagerhalle öffnen - man muss sich mit dem gesamten Körpergewicht reinstemmen. Haslauer lacht und drückt sie mit der linken Hand auf. Zur Begrüßung streckt er einem ebenfalls die linke Hand entgegen. Der rechte Arm hängt in einer Schlaufe, er kann ihn nicht bewegen, weil die Nerven abgerissen sind. Vor über drei Jahren, am 4. Juli 2015, hatte Christian Haslauer einen schweren Motorradunfall, der ihn beinahe das Leben kostete.

Noch etwas verschlafen reckt sich Bullterrierdame Keks auf der Couch. Ein kurzer Blick, dann dreht sich die Hündin wieder um und döst weiter. Hinter dem Sofa, direkt vor der Balkontür steht ein Motorrad: "Meine Lady steht im Wohnzimmer", sagt Haslauer und lächelt. Es ist das Bike, mit dem er damals verunglückte. Das sieht man der Maschine jedoch nicht an. Auf Hochglanz poliert thront sie beinahe im Wohnzimmer des 31-Jährigen. Dass er damals beinahe gestorben wäre, dafür könne sein Motorrad schließlich nichts.

Das Motorradfahren ist nicht nur ein Hobby für ihn. Auch beruflich ist er Zweiradmechaniker, der Vater hat eine Werkstatt in Scheyern - dort arbeitet auch Haslauer. Mittlerweile jedoch nur noch in Teilzeit: "Ich brauche die restliche Zeit für meine Therapien", sagt er. Was ist damals passiert?

Bei einem Hobby-Rennen ist er mit 120 Sachen auf einen anderen Teilnehmer draufgefahren. Weitere fünf Fahrer wurden ebenfalls schwer verletzt. "Ich hatte an dem Tag schon ein schlechtes Gefühl und wollte eigentlich gar nicht mitfahren", sagt Haslauer. Da er keine Zeit für das vorangehende Zeittraining hatte, musste er von einer ungünstigen Position weit hinten starten. Bei einem der vorderen Teilnehmer kam es zu einem Fehlstart, was Haslauer von hinten nicht erkennen konnte. Es kam zur Kollision. "An den Unfall selbst erinnere ich mich nicht. Das ist alles weg." Als er im Krankenhaus zu sich kam, war sein Kiefer zertrümmert, sein Nasen- und Jochbein sowie einige Rippen waren gebrochen, der Nerv am rechten Arm durchtrennt, die linke Hand ebenfalls gebrochen. Die Zeit nach dem Unfall war nicht einfach: "Ich habe mich gefragt, ?Warum bin ich nicht gestorben?' " Gute Freunde haben sich von ihm abgewendet, seine Freundin hat mit ihm Schluss gemacht. Sein Kurzzeitgedächtnis funktionierte nicht mehr so gut wie vor dem Unfall. Doch statt sich aufzugeben, kämpfte er. In dieser Zeit sei er viel allein gewesen, habe über sein Leben nachgedacht und beschlossen, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. "Ich bin auf die Trailrunning- und Skitourenläuferin Gela Allmann aufmerksam geworden", sagt Haslauer. Allmann war bei einem Fotoshooting auf einem Berg in Island insgesamt 800 Meter in die Tiefe gestürzt. Beinahe verlor sie ihr Bein, kämpfte sich durch unzählige Rehas wieder ins Leben. Das motivierte Haslauer, sich selbst nicht aufzugeben.

"So richtig Klick hat es kurz vor Weihnachten gemacht." Haslauer hat sich dann selbst aus dem Krankenhaus entlassen. Er ist der Meinung, dass man nur zu Hause gesund werden kann, nicht im Krankenhaus. Und er brauchte Zeit für sich. Also hat er angefangen seine Gedanken aufzuschreiben. Ein Buch ganz für ihn selbst.

Neben Wasser-, Physio- und Ergotherapie, begab er sich in psychologische Behandlung. "Die haben mir echt geholfen." So habe er gelernt, den Unfall und besonders die Folgen zu verarbeiten. Erkannt, wer die Menschen in seinem Leben sind, die wirklich zählen. Für Haslauer ist es seine Familie: "Meine Eltern und meine Schwester waren immer für mich da, sind mir bei allem beigestanden - und natürlich auch meine Hündin Keks."

Seit gut eineinhalb Jahren trainiert Haslauer die Erste Handballmannschaft der Herren des MTV Pfaffenhofen - trotz Behinderung. Sein Co-Trainer ist Christoph Schneider, ebenfalls aus Ilmmünster. Kennengelernt haben sie sich, als Schneider vor gut einem Jahr im Haus nebenan eingezogen ist. So seien sie ins Gespräch gekommen und hätten festgestellt, dass sie die Leidenschaft für den Mannschaftssport teilen. "Auch wenn wir uns noch nicht so lange kennen, hat sich eine Freundschaft daraus entwickelt", sagt Schneider. Als Haslauer vor Kurzem wieder operiert wurde, sprang er als Trainer ein.

Da sich Schneider jetzt selbst beim Handball verletzt hat, kann er momentan nicht trainieren. Jetzt weiß er, wie es seinem Teamkollegen mit seiner Behinderung auf Dauer gehen muss. "Ich bewundere ihn dafür, wie motiviert er durchs Leben geht", sagt Schneider. Er würde sich selbst vermutlich aufgeben und dem Sport den Rücken zukehren. Haslauer motiviere somit auch ihn. Ehrgeiz - mit diesem Wort würde er Haslauer beschreiben. Außerdem hilfsbereit und ein familiärer Typ. Einer, den man immer anrufen kann, mit dem man über alles reden kann.

Der unbeugsame Kampfgeist und Lebenswille des 31-Jährigen spiegelt sich auch in seinem neusten Vorhaben: Er will wieder aufs Motorrad. Trainiert hat er erstmal auf dem Mountainbike. Eine Spezial-Orthese hält seinen rechten Arm gestreckt. Sie stützt ihn. Die Bremsen und Gangschaltungen des Rads hat er sich bereits auf die linke Seite des Lenkers umbauen lassen. "Mittlerweile bin ich Linkshänder", sagt er. Mit Therapien und hartem Training hat er das gelernt und sein Gehirn "umprogrammiert". Mittlerweile kann der einstige Rechtshänder seine linke Hand genauso benutzen, wie einst die rechte. Seinen Haushalt führt er selbst. Auch Bullterrierdame Keks musste lernen, weniger zu ziehen, damit er den circa 30 Kilo schweren Hund ausführen kann. Im kommenden Frühjahr soll es dann soweit sein. Am Motorrad ist ebenfalls alles "auf links" umgebaut. Unter Druck setzen will er sich selbst jedoch nicht: "Ich will es einfach ausprobieren. Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, gut, wenn nicht, dann eben nicht." Rennen will er jedoch keine mehr fahren - nur hobbymäßig, Ausflüge und kleinere Touren, sagt er.

Wer Christian Haslauer heute trifft, erkennt auf den ersten Blick nicht, dass er einen so schweren Unfall überstanden hat. Die Lust am Leben - auch mit der Behinderung - ist ihm geblieben. Spurlos an ihm vorbeigegangen ist dieses Erlebnis dennoch nicht: "Ich fühle mich zehn Jahre älter." Insofern habe er sich verändert. Seine Leidenschaft für den Motorsport ist ihm jedoch geblieben.
 

Tina Blum