Pfaffenhofen
Kleinkinder brutal verletzt oder aus dem Hochbett gefallen?

Freispruch für 27-Jährigen: Gericht in Pfaffenhofen kann dem Freund der Mutter die Tat nicht nachweisen

24.09.2020 | Stand 02.12.2020, 10:30 Uhr
Kindesmisshandlung? Pfaffenhofener Amstgericht spricht 27-Jährigen frei. −Foto: Anspach/dpa

Pfaffenhofen - "Es krampft einem den Magen zusammen, wenn man diese kleinen Mädchen sieht", sagt Amtsrichterin Katharina Laudien. Auf den Fotos in der Gerichtsakte sind deren Gesichter rot geschwollen und übersät mit Hämatomen, eines der Mädchen hat einen Schnuller im Mund. Dem Mann, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, die Kinder so zugerichtet zu haben, kann das Gericht die Tat nicht nachweisen. Er wird freigesprochen.

 

Damit endet ein Prozess, der vor einem dreiviertel Jahr, am 19. November, begonnen hatte. Die Richterin hatte die Verhandlung damals ausgesetzt und Nachermittlungen gefordert; weitere Zeugen sollten vernommen und Handys ausgelesen werden. Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis brachte keine Klarheit. Die Zeugen widersprachen sich, auch wenn Laudien in ihrer Urteilsbegründung feststellte, keinen Anhaltspunkt gefunden zu haben, "dass gelogen wurde". Feststehe lediglich: Der Angeklagte hat die beiden Kleinen betreut, "und dann ist irgendetwas mit den Kindern passiert - aber da hört es mit der Gewissheit auf".

Andreas N., 27, (alle Namen geändert) hatte vor rund zwei Jahren Marie P. kennengelernt. Beide verband dasselbe Schicksal: Sie waren alleinerziehend, Andreas N. hatte eine Tochter im Kindergartenalter, die Töchter seiner Freundin waren zwei und drei Jahre alt. Schon nach wenigen Tagen zog Marie bei Andreas ein. Sechs Wochen später, an Heiligabend in der Früh, kam es zum ersten Streit: N. glaubte gesehen zu haben, dass Marie seine Tochter weggeschubste. Er schlug ihr ins Gesicht, entschuldigte sich, man vertrug sich wieder. Vier Wochen später, an einem Sonntagmorgen, dann der Eklat: Marie P. wollte ausschlafen, aber ihre Kinder hatten volle Windeln, N. machte sie sauber, er war genervt, weil die Mädchen wiederholt den Kleiderschrank ausräumten. Dann brachte er seine Tochter zu einem Kindergeburtstag.

Was jetzt passiert, dafür gibt es weder Zeugen noch Indizien: "Die Kinder", sagt Marie P., "kamen weinend auf mich zugelaufen, eine Gesichtshälfte war blau." Sie habe Andreas gefragt, was da passiert sei. "Er hat zugegeben, dass er die Kinder gewatscht hat, weil sie nicht auf ihn gehört haben." N. dagegen beteuert vor Gericht: "Ich habe die Kinder nicht angefasst. Als ich die Wohnung verließ, sahen sie noch nicht so aus." Abends war das Paar bei den Eltern von Andreas N. eingeladen, eine größere Familienfeier. Ob sie denn von den Anwesenden auf den Zustand der Kinder angesprochen worden wäre, fragt die Richterin. "Nein, darüber wurde nicht geredet."

Schwer vorstellbar, und deshalb hat Laudien die Gesellschaft als Zeugen vorgeladen. Der Vater von Andreas N. will bei einem der Mädchen einen blauen Fleck an der Stirn bemerkt haben, aber der sei wohl entstanden, weil das Kind tags zuvor gegen eine Glastür gerannt sei. Nein, sagen auch andere Beteiligten, man habe nichts Auffälliges bemerkt. Deutlicher allerdings werden sie in ihrer Meinung über Marie P.: "Mein Hund", sagt einer der Verwandten von Andreas N., "hat eine gute Menschenkenntnis." Marie habe er angeknurrt. Als Beweis, dass sie lügt und möglicherweise sie ihre Kinder geschlagen hat und Andreas dafür die Schuld in die Schuhe schiebt, taugt der Hund als Zeuge allerdings wenig.

Die Verhandlung entwickelt sich zu einem Verwirrspiel: Warum besucht Marie die Verwandtschaft ihre Freunds und tut so, als sei nichts passiert? Warum sagt sie der Erzieherin im Kindergarten, die Kinder seien aus dem Hochbett gefallen? "Ganz emotionslos", erklärt die Sozialpädagogin, "hat sie das mitgeteilt. Das war schon sehr außergewöhnlich." Und warum verletzen sich dann beide "ganz zufällig" an derselben Gesichtshälfte? Warum fotografiert sie ihre Kinder erst sechs Tage später und geht dann zur Polizei, um ihren Freund anzuzeigen? Warum schickt sie ihm noch zwei Stunden zuvor und auch kurz nach der Vernehmung aufs Handy mehrfach die Nachricht "Ich liebe dich", ergänzt mit Herzchen?

Vor allem aber: Warum geht sie erst neun Tage später mit ihren Töchtern zum Kinderarzt? Schwer nachzuvollziehen. "Ich war schockiert", rechtfertigt sich Marie P. jetzt vor Gericht, "ich hatte extreme Angst, mit den Kindern völlig allein auf der Straße zu stehen."

Sie hat sich eine Anwältin genommen, die sie vertritt. "Rational ist das nicht zu erklären", sagt sie, "wieso Frauen Männer noch lieben, die ihnen Gewalt angetan haben." Das Phänomen kenne sie aus ihrer Arbeit in Frauenhäusern. Sie bittet das Schöffengericht, ihrer Mandantin zu glauben, gesteht der Richterin allerdings für die Urteilsfindung zu: "Ich möchte nicht in der Haut der Vorsitzenden stecken."

Katharina Laudien urteilt nachdem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten". Vom Vorwurf, die Kinder geschlagen zu haben, spricht sie ihn frei; die Ohrfeige, die er Marie verpasst hat, muss er mit 2000 Euro, 40 Tagessätze à 50 Euro, abbüßen. Viel Geld, aber der Angeklagte, so die Richterin, habe eine deutliche schwächere Person geschlagen und das auch noch vor kleinen Kindern. Als Vorbild habe er da völlig versagt. Andreas N. nimmt noch im Gerichtssaal das Urteil an.

PK