Rohrbach
"Keiner weiß, was dieser Irre als nächstes vorhat"

Gerhard Mann aus Rohrbach gibt ukrainischen Kriegsflüchtlingen in der Republik Moldau eine Bleibe - Situation eskaliert immer weiter

28.02.2022 | Stand 04.03.2022, 3:34 Uhr
Auf der transnistrischen Seite der Grenze bieten Moldauer Bürger den ukrainischen Flüchtlingen neben Essen und Trinken auch kostenlose Fahrten und Unterkünfte an. −Foto: Mann

Chisinau/Rohrbach - Die Flut von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine hat Chisinau erreicht, die Hauptstadt der Republik Moldau. Nur 40 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, lebt dort der Rohrbacher Gerhard Mann. Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin vergangene Woche den militärischen Überfall auf die Ukraine angeordnet hat, teilt der 36-Jährige seine Zwei-Zimmer-Wohnung inzwischen mit neun Kriegsflüchtlingen. "Die Situation eskaliert ständig weiter", berichtet Mann aus dem Krisengebiet. Noch sei es in Chisinau eher ruhig. "Aber vor allem die Leute aus Odessa, das nur 200 Kilometer entfernt ist, werden immer mehr."

Der Rohrbacher hat viele Kontakte zu Bekannten in der Ukraine. "Die Grenzübergänge sind überlaufen. Die Wartezeiten betragen bis zu 24 Stunden. Die Staus sind 80 Kilometer lang", erzählt der Rohrbacher. Da Männer zwischen 18 und 60 Jahren die Ukraine nicht verlassen dürfen, spielen sich im Land erschütternde Szenen ab. "Ich habe Schilderungen erhalten, teilweise von Diplomaten, die immer gefasst sind. Ihnen merkt man an, welche Dramen sich abspielen." Freunde aus Kiew können die Stadt nicht verlassen. "Sie harren in U-Bahn-Stationen aus, um den Bomben zu entgehen."

In Manns kleiner Wohnung in Chisinau leben derzeit neun Flüchtlinge mit ihm zusammen. Viele Mitbürger tun es ihm gleich. "Sie stellen ihre Häuser oder Wohnungen zur Verfügung", sagt er. Freunde haben eine Squashhalle in ein Matratzenlager umgebaut. Betten und Decken sind in Moldau heiß begehrt. Die Regale in den Supermärkten sind noch voll. "Allerdings geht uns der Platz zum Schlafen aus", berichtet er.

Alleine in der Region um Odessa leben so viele Ukrainer wie Menschen in ganz Moldawien, erläutert Mann. Und jene, die aus Kiew und anderen Landesteilen fliehen, müssen ebenfalls untergebracht werden. Dass er so viele Menschen in seiner Wohnung beherbergen könnte, habe er selbst nicht gedacht. 40 Flüchtlingen konnte er bereits eine erste Bleibe vermitteln - den meisten davon in Bukarest. Wie es weitergeht, weiß er selbst nicht. "Es ist schön, dass viele helfen ohne Gedanken zu verschwenden", sagt er. Das Anpacken helfe auch über die eigene Angst hinweg. "Wir haben hier einfach keine Zeit zum Nachdenken. Wir haben zu viel zu tun. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so."

Angesichts der verheerenden Gesamtlage sei das Unterbringen der Kriegsflüchtlinge nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt der Rohrbacher. "Denn keiner weiß, was dieser Irre als nächstes vorhat", ergänzt er mit Blick auf Putin. Was Mann jetzt am wichtigsten bräuchte, wäre entweder mehr Platz oder mehr Zeit. Am besten ein Tag mit 30 Stunden. "Beides geht von Deutschland aus schlecht", scherzt er. Ein Spendenkonto gebe es nicht. "Wir helfen als reine Privatpersonen", sagt er. Wer ihn unterstützen möchte, müsse sich an seine Eltern wenden. Die sind in Rohrbach unter Telefon (08442) 7188 erreichbar - und sie wissen über alles Bescheid, was ihr Sohn in Moldau leistet.

ZUR PERSON

Gerhard Mann ist 36 Jahre alt, ein gebürtiger Rohrbacher, war lange in der Jugendarbeit des SV Fahlenbach engagiert - und entschied sich vor zwölf Jahren dazu, seinen Lebensmittelpunkt ins moldawische Chisinau zu verlegen. Der gelernte Fachinformatiker kündigte damals seinen Job als Programmierer, um ein Freiwilliges soziales Jahr anzutreten. Bei einem Jahr ist es aber nicht geblieben, inzwischen ist ein Dutzend Jahre daraus geworden.

Mann arbeitet in Chisinau an einer privaten Sprachschule, wo er Englisch für Jugendliche und Erwachsene unterrichtet. Nebenbei arbeitet er mit einer Ehrenamtsgruppe zusammen, die bedürftigen Familien und Senioren kleine Freuden bereitet. Die Geschenke, Spielsachen und Kinderkleidung erhält er teilweise von alten Freunden aus der Gemeinde Rohrbach.

Nebenbei ist der 36-Jährige ein echter Weltenbummler. Bei seinen Reisen schießt der Hobbyfotograf zahlreiche Bilder, die er bei seinen Reisevorträgen präsentiert und mit Anekdoten untermalt. Mit diesen Einnahmen unterstützt er wiederum Hilfsbedürftige in der Republik Moldau.

era