Wolnzach
In guten und in schlechten Zeiten

Eheleute Frey feiern Gnadenhochzeit - Ihr Leben ist geprägt von einer späten Familienzusammenführung

25.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:43 Uhr
Seit 70 Jahren sind Theodor und Helena Frey verheiratet, dazu gratulierten neben Tochter Elisabeth auch stellvertretender Landrat Anton Westner (links) und Bürgermeister Jens Machold (rechts). −Foto: Trouboukis

Wolnzach (WZ) Sie haben ihre Familien verloren und erst nach Jahren wiedergefunden, haben in kasachischen Kohlebergwerken ihre "deutsche Schuld" abarbeiten müssen, aber alles ertragen, weil sie einander hatten: Seit 70 Jahren sind Helena und Theodor Frey verheiratet und feierten am Mittwoch das seltene Fest der Gnadenhochzeit. Als Gnade empfinden sie eine Gabe tatsächlich: "Wir haben immer gehofft und immer an unsere Familie geglaubt", sagt der heute 92-jährige Jubilar.

Seine Frau Helena ist nach einer Bauchoperation gesundheitlich angeschlagen, für diesen besonderen Hochzeitstag aber hat sie sich mit Hilfe von Tochter Elisabeth besonders fein gemacht. Als sie den Raum im von außen mit alten Fotos des Paares liebevoll dekorierten Wohnhaus in Wolnzach betritt, in dem ihr Mann Theodor bereits stellvertretenden Landrat Anton Westner und Bürgermeister Jens Machold mit Erzählungen aus seiner Kindheit und Jugend fasziniert, da gilt sein Blick sofort nur ihr: "Ich habe sie damals gesehen und mich gleich verliebt", schmunzelt er. Ein Gefühl, das bis heute ganz offensichtlich geblieben ist.

Damals. Das erste Kennenlernen liegt schon fast 74 Jahre zurück. Helena war die Tochter eines Freundes, Theodor Freys große Stütze in einem harten Leben. Aufgewachsen im deutschstämmigen Dorf Ryschowo, wo die Familie Frey eine kleine Landwirtschaft betrieb, hatte Theodor als Sechsjähriger den Vater verloren. "Sie haben ihn nachts einfach abgeholt", weiß er nur noch schemenhaft aus Erzählungen. Der Vater kam in ein Gefangenenlager und ließ dort sein Leben.

Den Sommer 1941 verbrachte Theodor bei der Großmutter, "so war das halt damals". Ein verhängnisvoller Urlaub. Denn während er bei der Oma war, wurden seine Mutter und seine beiden Geschwister Erna und Willi gen Westen deportiert. Der 14-Jährige blieb zurück, wurde mit seiner Großmutter in einem Viehwaggon nach Kasachstan verfrachtet, kam nach vier Wochen in Karaganda an. "Sie haben mich gleich ins Kohlebergwerk gesteckt", sagt Theodor. Als 15-Jähriger leistete er Zwangsarbeit, hauste mit der Großmutter in einer Gemeinschaftsunterkunft. Zuviel für die Oma, sie überlebte die Strapazen nicht.

Nach ihrem Tod war Theodor ganz alleine, wusste nicht, ob Mutter und Geschwister noch lebten. Doch dann kam Helena. "Sie war erst 15 und es hat gleich gefunkt", erzählt der heute 92-Jährige. Helena war die Schwester eines gleichaltrigen Freundes, der damals so etwas wie seine einzige Familie war. Ein paar Jahre aber, bis 1949, mussten sie noch warten, als Helena 18 war und er 22, da wurde geheiratet.

Aber von jungem Eheglück war das Paar trotz ihrer tiefen Verbundenheit zueinander weit entfernt, sehr weit. Denn beide lebten in einer Familienbaracke, in der jeweils fünf Familien ein Zimmer zugeteilt bekamen. Immerhin eine kleine Verbesserung zur Gemeinschaftsunterkunft. Das junge Paar schuftete weiter im Kohlebergwerk unter unvorstellbaren Umständen. "Viele Meter tief ist meine Frau gefallen, hat sich alle Knochen gebrochen." Tief bewegt klingt die Stimme des sehr rüstigen Jubilars, als er daran denkt, die Erinnerungen wieder lebendig werden lässt. Doch Helena rappelte sich immer wieder auf, gebar ihrem Theodor in Kasachstan vier Töchter und einen Sohn.

Die eigene Familie. Doch was war mit Mutter und Geschwistern geschehen? Eine Frage, die Theodor nicht losließ, nicht wissend, dass über 5000 Kilometer von ihm entfernt seine Mutter die gleichen Gedanken quälten: Frieda Frey hatte es mit Theodors beiden Geschwistern in den Westen geschafft, in Wolnzach hatten sie schließlich Fuß gefasst. Theodor galt als vermisst, bis ein Russland-Heimkehrer der Mutter die Nachricht brachte: Der Sohn lebt - in Kasachstan. Von da ab erfolgten zahlreiche Ausreiseanträge von Theodor und Helena, ein Umweg über Estland mit den Kindern - und schließlich im Jahr 1974 das große und rührende Wiedersehen mit der Mutter und den Geschwistern in Wolnzach.

"Wir hatten schon ein schweres Leben", wird Theodor kurz nachdenklich, während seine im Rollstuhl sitzende Helena neben ihm versonnen nickt. Aber dann sind die traurigen Gedanken auch gleich wieder weg, zu dankbar sind die beiden für ihren Zusammenhalt, für ihre neue Heimat Wolnzach und für ihre Familie, die gerade in schwersten Zeiten immer zusammen gehalten und an sich geglaubt hat. Auch über tausende Kilometer hinweg.

Karin Trouboukis