Pfaffenhofen
"Ich schäme mich so sehr"

Frührentner wegen räuberischer Erpressung, Bedrohung und Beleidigung zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt

29.07.2020 | Stand 25.10.2023, 10:34 Uhr
Eine goldfarbene Justitia-Figur steht vor Aktenbergen, die sich auf einem Tisch stapeln. −Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild

Pfaffenhofen/Manching - Als das Schöffengericht sich zur Urteilsberatung zurückzieht, senkt Walter B., 60, (Name geändert), auf der Anklagebank den Kopf, legt die Hände ineinander, schließt für wenige Minuten die Augen und bekreuzigt sich dann.

 

Ob das Gebet geholfen hat, ist Ansichtssache: Wegen räuberischer Erpressung, Bedrohung und Beleidigung wird er zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Aber immerhin: Damit ist er knapp einer Haftstrafe entgangen.

Vor drei Wochen war schon einmal gegen Walter B. verhandelt worden (PK berichtete), der Prozess ging allerdings in die Verlängerung, weil der Angeklagte nicht glauben wollte, dass er vor einem Jahr auf dem Barthelmarkt im Vollrausch einen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes als "scheiß Türken" beschimpft und gedroht hat, ihn abzustechen. Das könne gar nicht sein, verweigerte der Angeklagte am ersten Verhandlungstag ein Geständnis. Viele Jahre habe er mit Türken eng zusammengearbeitet und in den vergangenen Jahren regelmäßig seinen Urlaub an der türkischen Riviera verbracht. Deshalb hatte das Gericht den 29-jährigen Security-Mann als Zeugen vorgeladen. Der schildert detailliert, was an jenem Abend passiert ist.

Der Rentner war auf einen Biertisch gestiegen, stieß dabei drei Maßkrüge um, packte einen 24-Jährigen, der mit seiner Freundin auf der Bank stand, am Hemd und forderte ihn auf: "Gib mir eine Maß aus oder ich stech' dich ab. " Der herbeigerufene Sicherheitsdienst versuchte, ihn ins Freie zu komplimentieren, was der 60-Jährige mit aggressiven Beschimpfungen und Bedrohungen quittierte: In zwei Tagen, am letzten Barthelmarkt-Tag, werde er den "scheiß Ausländer" ebenfalls umbringen.

Walter B. hört sich die Schilderung des Zeugen sichtlich bewegt an, erschrocken über sich selbst. Er habe an diesen Abend keine Erinnerung, hatte er dem Gericht erklärt. "Das ist unentschuldbar", wendet er sich an den Security-Mann, "das ist nicht meine Art, das bin ich nicht, es tut mir sehr, sehr leid, ich möchte mich herzlich bei Ihnen entschuldigen. " Ob der 29-Jährige von ihm 150 Euro als Täter-Opfer-Ausgleich annehmen würde? Klar, und die Entschuldigung akzeptiere er auch.

Das Problem von Walter B. ist der Alkohol. Er macht aus ihm ganz offensichtlich einen anderen Menschen, über den der 60-Jährige entsetzt ist. Denn eigentlich sei er sehr hilfsbereit. Schon als Schüler habe er sich für andere eingesetzt, einmal habe er ein Kind vor dem Ertrinken gerettet, als Betriebsrat und Schwerbehinderten-Vertreter habe er sich um die Rechte der Mitarbeiter gekümmert. "Ich bin ein ganz anderer Typ", sagt Walter B. , "als der, von dem in der Anklage die Rede ist. " Seit jenem Abend vor einem Jahr trinke er keinen Tropfen Alkohol mehr, er sei auch schon länger in psycho-therapeutischer Behandlung wegen seiner Depressionen. Den Ausraster schiebt er auf die Mischung von Alkohol, Psychopharmaka, die er nehme, "um ein bisschen fröhlicher zu werden", und auf einen Schicksalsschlag. Kurz zuvor sei sein bester Freund an Krebs gestorben, "so ein lustiger Mensch, wir hatten so viel Spaß miteinander".

Walter B. kommen die Tränen: "Ich schäme mich so sehr", wendet er sich an den Richtertisch, "das können Sie sich gar nicht vorstellen. " "Wir glauben auch nicht", sagt Amtsrichterin Katharina Laudien, "dass Sie ein schlechter Mensch sind. Wir beurteilen nur diese Sache. "

Auch die Staatsanwältin würdigt in ihrem Plädoyer das soziale Engagement des Angeklagten, seine Reue, die Entschuldigung und die Tatsache, dass er keinen Alkohol mehr trinke und in Behandlung sei. Erschwerend allerdings sei seine einschlägige Vorstrafe: Vor fünf Jahren war Walter B. schon einmal auf dem Barthelmarkt im Rausch ausfällig geworden, hatte Polizisten als "dreckige Bullen" beschimpft und versucht, sie zwischen die Beine zu treten, als sie ihn aus dem Bierzelt abführten. Damals war er zu 60 Tagessätzen á 30 Euro verurteilt worden. Jetzt fordert die Staatsanwältin eine Haftstrafe von zehn Monaten auf Bewährung und eine Geldbuße. Die Verteidigerin plädiert auf einen minderschweren Fall, hebt die Reue ihres Mandanten hervor und will es bei einer Geldstrafe bewenden lassen.

Das Schöffengericht folgt der Argumentation der Staatsanwältin, hat aber ein Einsehen: "Das kann auch Menschen passieren", sagt Richterin Laudien in ihrer Urteilsbegründung, "die unter normalen Umständen nichts Böses tun. " Das Gericht verurteilt Walter B. zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen á 40 Euro. Viel Geld für den 60-Jährigen, der seinen Rentenbescheid als Verdienstnachweis mitgebracht hat: Mit 1300 Euro muss er monatlich auskommen.

PK

 

Albert Herchenbach