Pfaffenhofen
Hilflose Senioren abgezockt?

Betreuerin muss sich vor Gericht wegen Untreue verantworten - Prozess auf sieben Tage angesetzt

19.03.2019 | Stand 25.10.2023, 10:29 Uhr
Wegen des Verdachts der Untreue muss sich eine Betreuerin vor Gericht verantworten. −Foto: dpa

Pfaffenhofen (PK) Ein grelles Schlaglicht auf die Situation von hilflosen Senioren und professionellen Betreuern wirft ein Prozess vor dem Pfaffenhofener Schöffengericht. Wegen Untreue angeklagt ist die Chefin eines inzwischen geschlossenen Betreuungsbüros im Landkreis.

Silvia M., 57, (Name geändert) soll laut Anklageschrift fünf Senioren um 21121,99 Euro Euro gebracht und die Arg- und Hilflosigkeit ihrer Klienten ausgenutzt hat, um sich selbst zu bereichern. Tatsächlich hat sie immer wieder Geld von den Konten der Senioren auf ihr eigenes und das ihrer Tochter überwiesen.

Für eine Heimbewohnerin soll sie mit deren Geld einen Fernseher, Musik-CDs und einen Funkwecker gekauft haben, aber die Sachen sind verschwunden. Ihrem Stiefsohn soll sie die Ferienwohnung einer Betreuten am Chiemsee verkauft und anschließend die Hälfte des Eigentums auf sich überschreiben haben. Einem Handwerker aus Osteuropa habe sie mit Hausmeister- und Bauarbeiten am Haus eines Klienten beauftragt, der im Pflegeheim lebt, aber der habe die Leistung nicht erbracht; vielmehr soll sie selbst auf ihrem Computer die Rechnungen geschrieben und gefälscht haben. Und eine Mietwohnung soll sie nicht gekündigt haben, obwohl die Bewohnerin schon längst im Pflegeheim war. Schaden für die Seniorin: 2760 Euro. In 28 Fällen, wirft ihr Staatsanwalt Gerhard Reichel vor, habe sie das Vertrauen ihrer Klienten missbraucht und deren Vermögensinteressen geschädigt, und das "gewerbsmäßig". Strafrechtlich ist das Untreue in besonderes schwerem Fall und Urkundenfälschung. Für den Prozess vor dem Schöffengericht sind insgesamt sieben Verhandlungstage angesetzt.

Silvia M., schlank, zierlich, hört sich regungslos die Vorwürfe an, die der Staatsanwalt vorträgt. 2016 haben die Strafverfolger mit den Ermittlungen begonnen, die Erkenntnisse füllen dicke Aktenordner. Aber schon vorher war die Angeklagte ins Räderwerk der Justiz geraten - aus ähnlichen Gründen. 100 meist pflegebedürftige Senioren hat sie im Auftrag der Amtsgerichte betreut. Was bedeutet: Sie hat Vollmacht über deren Konten und kann für sie Geschäfte abwickeln.

Die Angeklagte überlässt es erst einmal ihrem Verteidiger, für sie zu reden. Folgt man seinem Vortrag, in dem er akribisch jeden einzelnen Anklagepunkt aufgreift, gewinnt man einen ganz anderen Eindruck. Zusammenfassend: Wenn Berufsbetreuer unkompliziert für ihre Klienten Probleme lösen wollen, dann ist die Gefahr sehr groß, sich juristisch auf extrem dünnes Eis zu begeben. Da brauchte etwa eine Seniorin eine Nagelschere, die alte war verbogen. Und außerdem Futter für die Katze. Solche - und auch höherwertige - Einkäufe hat Silvia M. oft aus eigener Tasche vorgestreckt und sich das Geld dann vom Konto ihrer Klienten auf ihres überwiesen. Den Vorwurf des Staatsanwalts, das sei unüblich und warum sie nicht mit der EC-Karte ihrer Betreuten einkaufe, kontert sie: Sie könne doch nicht mit hundert Karten unterwegs sein und sich alle PIN-Nummern merken. Und warum dann in einigen Fällen die Beträge auf dem Konto ihrer Tochter gelandet seien? Die war minderjährig, sagt die Angeklagte und hatte keinen Zugriff auf das Konto. Den sollte, räumt sie ein, allerdings auch nicht das Finanzamt haben.

Nicht nur in diesem Fall wackelt der Vorwurf der Untreue. Anstatt für Dienstleistungen, die für ihre Klienten anfielen, immer wieder Firmen zu suchen und zu beauftragen, beschäftigte Silvia M. Minijobber, auf deren Hilfe sie jederzeit zurückgreifen konnte. Einer davon war ein Osteuropäer, der kaum deutsch sprach, erklärt die Angeklagte. Erst recht hatte er Schwierigkeiten, Rechnungen zu stellen. Die aber braucht die Betreuerin natürlich. Deshalb habe sie für ihn die Rechnungen an ihrem PC geschrieben und sich wohl auch seiner Unterschrift bedient. Die Staatsanwaltschaft argwöhnt, dass dieser Handwerker die Dienstleistungen gar nicht erbracht habe. Zeugen sollen an den kommenden Verhandlungstagen das Gegenteil beweisen.

Oder eine Frau aus dem arabischen Raum, die Silvia M. kennengelernt hatte und zur Rundum-Betreuung für eine Seniorin in deren eigenen Wohnung verpflichten konnte. Die wiederum bat Landsleute, ihr beim Einkaufen zu helfen. Ehrenamtlich? Oder gab es ein Entgelt? Und wenn ja, wo sind die Belege?

Der verschwundene Fernseher und die CDs? Die hatte die Angeklagte für eine schwer demente Patientin, die im Pflegeheim lebte, in einem Pfaffenhofener Elektronik-Markt besorgt, nachdem sie sich beim Heimpersonal erkundigt hatte, was denn ihre Klientin so brauche. Bei einer Kontrolle war dann plötzlich dieses TV-Gerät verschwunden, tauchte aber dann, wie sich jetzt herausstellte, bei einer anderen Klientin von Silvia M. im selben Heim auf. Auch für sie hatte die Angeklagte einen Fernseher bestellt, der Auslieferer hatte die Geräte vertauscht. Und der Wecker und die CD-Sammlung? Ist es der Angeklagten anzulasten, dass nach zwei Jahren im Heim nur noch drei auffindbar sind und der Funkwecker verschwunden ist?

Die Ferienwohnung, die sie laut Anklage ihrem Stiefsohn zugeschanzt hat, habe die Seniorin, schon versucht zu verkaufen, bevor sie ihre Klientin geworden sei. Ohne Erfolg, weil sie in einem erbärmlich Zustand gewesen sei. Auch Silvia M. gelang es nicht, sie loszuschlagen. Deshalb habe sie sich beim Amtsgericht erkundigt, ob es ein Problem sei, wenn sie die Immobilie für ihre Klientin an ihren Stiefsohn verkaufe. Offensichtlich nicht.

Und die vergeigte Wohnungskündigung? Die Mieterin, erklärt die Angeklagte, habe nach einer OP nicht ins Heim gewollt, zumal dort ihre Katze unerwünscht war. Und ob sie nach ihrem Heimaufenthalt wieder zurück in ihre alte Wohnung könne, war lange unsicher. Warum also dann voreilig die Wohnung kündigen?

Von Berufsbetreuern wird erwartet, dass sie auch die minimalste Ausgabe für ihre Klienten belegen können. Jedes Trinkgeld, das sie ehrenamtlichen Helfern zustecken, muss nachgewiesen werden. Ob die Angeklagte da sorgfältig genug war, werden Dutzende Zeugen an den kommenden Verhandlungstagen erklären müssen. Den Stein ins Rollen gebracht haben offensichtlich nicht die Erben der zum Teil schon verstorbenen Betreuten. Berufsbetreuer stehen unter behördlicher Aufsicht und sind zur Rechenschaft verpflichtet. Für jede Einsatzstunde bekommen sie im Durchschnitt 33 Euro. Auch das muss akribisch belegt werden. Silvia M. hat aufgegeben. Ihr Büro ist schon länger geschlossen.
 

Albert Herchenbach