Pfaffenhofen
Hilfe statt Strafe

Angeklagte bekommt wegen schwerer Schicksalsschläge nur einen Denkzettel

15.11.2018 | Stand 25.10.2023, 10:33 Uhr

Pfaffenhofen (PK) Weil sie sich am Konto ihres Arbeitgebers bedient hat, muss eine 20-Jährige in Pfaffenhofen vor Gericht. Ihr schwieriger Lebensweg bewahrt sie am Ende vor einer harten Strafe.

Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner, mag sich Sarah M., 20, (Name geändert) gedacht haben. Als Auszubildende in einer Anwaltskanzlei überwies sie vor einem Jahr vom Konto ihres Arbeitgebers exakt 3822,22 Euro an ihren Vermieter, um ihre Mietschulden zu bezahlen. Jetzt musste sie sich deshalb vor dem Jugendschöffengericht Pfaffenhofen verantworten.

"Nicht schön", begrüßte sie Amtsrichter Ulrich Klose im Sitzungssaal 109, "dass wir uns schon wieder sehen." Wohl wahr: Erst vor einem Jahr war sie verurteilt worden, weil sie als Aushilfe in einem Spielsalon über 5000 Euro für sich abgezweigt hatte. Viermal ist Sarah M. wegen Eigentumsdelikten bereits vorbestraft. Klein und zierlich sitzt sie mit einer Mischung aus Reue, Trotz und Verzweiflung auf der Anklagebank. "Was hätte ich denn machen sollen?", sagt sie. "Ich hatte ja keine andere Möglichkeit. Ich wäre doch sonst auf der Straße gelandet."

Klose versteht das nur sehr bedingt: "Schon mal was von Wohngeld gehört?" Offenbar nicht. "In welcher Traumwelt lebt ihr eigentlich?", wettert der Richter. "Ich kann doch keine Wohnung annehmen, wenn ich weiß, dass ich die Miete nicht bezahlen kann." Ob Sarah M. die fast 4000 Euro inzwischen zurückgezahlt habe? Nein, hat sie nicht. Klose schüttelt verständnislos den Kopf: "Wenn ich schon so einen Mist gemacht habe, dann muss ich mich doch bemühen, den Schaden wiedergutzumachen." Aber von irgendwas müsse sie doch leben, rechtfertigt sich Sarah. "Ich gebe mein Geld doch nicht zum Spaß aus." Ihr steigen die Tränen in die Augen: "Ich habe so viele Baustellen..."

Eine davon ist die Beziehung zu ihrem Vater. Die Eltern hatten sich getrennt, als sie noch ein kleines Kind war, was Sarah offenbar ziemlich aus der Bahn geworfen hat. Zwischen den Eltern, berichtete die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, wurde sie hin und her geschoben, sie litt an Essstörungen. Und dass sie in der Schule eher schlecht war, ist dann wohl die logische Konsequenz. Vor drei Jahren warf ihr Vater sie dann raus. "Immer wieder versuche ich", sagt Sarah M. niedergeschlagen, "mit meinem Vater Kontakt aufzunehmen, aber das klappt nicht." Und dass sie jetzt straffällig geworden sei, weil sie keinen anderen Ausweg wusste, daran, sagt sie, sei ja eigentlich ihr Vater schuld.

Der Vater werde hier ganz sicher nicht auf die Anklagebank gesetzt, erwidert der Richter. Und es sei ja auch nicht der richtige Weg, sich darauf hinauszureden, wer einem alles nicht helfe. Ihr Vater sei doch unterhaltspflichtig, erklärt Klose. Sarah M. zuckt die Schultern. "Wenn ich ihn darauf ansprechen würde, dann hätte ich ja noch mehr Ärger, das will ich nicht."

Die Staatsanwältin erkennt die Verzweiflung der 20-jährigen Angeklagten. Eine Strafe bringe nichts, sagt sie und beantragt, Sarah M. einem Betreuer zu unterstellen, bei dem sie sich einmal pro Woche melden müsse, und eine psychotherapeutische Behandlung, die Sarah allerdings ohnehin schon begonnen hat.

Dem schließt sich der Verteidiger an. Seine Mandantin brauche ein Urteil, das sie unterstützt und in den richtigen Zug setzt. "Ja", sagt Sarah M. in ihrem Schlusswort, "ich brauche Unterstützung." Allein schaffe sie es nicht.

Das Schöffengericht setzt in seinem Urteil eine Strafe zur Bewährung aus und gibt ihr einen Bewährungshelfer mit auf den Lebensweg. "In drei Monaten sehen wir uns wieder, dann besprechen wir den Bewährungsplan", sagt Klose.

Das Geld muss sie zurückzahlen - wann, steht allerdings in den Sternen. Denn derzeit versucht Sarah M. an einer weiterführenden Schule, die Berufschancen zu optimieren.

Albert Herchenbach