Geisenfeld
"Herz fürs Zweirad" schlägt langsam stärker

Geisenfelder Gruppe holt ersten Platz bei Klimaschutzaktion - und trotzdem sehen Radler noch sehr viel Luft nach oben

12.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:28 Uhr
Radeln macht Spaß: Für diese Ausflugstruppe aus Manching war das Geisenfelder Rathaus der "Place to be". Beim Stadtradeln waren die Gastgeber aber nicht zu schlagen. Die Geisenfelder Gruppe holte bei der ersten Teilnahme gleich die Topplatzierung. −Foto: Petra Maier

Geisenfeld - Auf den ersten Blick ist Geisenfeld wohl eher keine Radlstadt. Dem "Herz fürs Zweirad" steht nicht nur die räumliche Nähe zum Autobauer Audi entgegen - und damit die berufliche Verbundenheit vieler Bürger mit dem Automobil. Sondern auch die Tatsache, dass die großen Verkehrstrassen durch die Stadt zwei bedeutende Bundesstraßen und eine vielbefahrene Staatsstraße sind, auf denen im Normalfall mehr Laster als Radler unterwegs sind.

 

Und trotzdem scheinen sehr viele Geisenfelder ihre Radl immer mehr zu schätzen. Klares Indiz für diesen Trend war die überragende Teilnahme an der Klimaschutzaktion "Stadtradeln". 56 Geisenfelder sind in den drei Aktionswochen miteinander 15734 Kilometer gestrampelt - und haben damit als stärkstes Team im ganzen Landkreis die Topplatzierung erreicht. "Mit einer solchen Resonanz und Beteiligung habe ich nicht gerechnet", zieht Christian Klafke sein Fazit. Er habe zwar geahnt, dass sich einige starke Teilnehmer in den Reihen der Geisenfelder befinden würden. Beste Beispiele dafür waren allen voran Thomas Rungweber mit über 1500 Kilometern, Klafke selbst mit 976 Kilometern, aber auch Reinhard Bachmaier (910), Ralf Possinger (787) oder Miek Michielsen (763). Hinter diesen Top Fünf der Stadtradeln-Debütantentruppe radelte aber auch die große Masse beachtlich viel. "Im Schnitt 281 Kilometer - und das hat mich wirklich überwältigt", sagt Klafke.

Der Ehrgeiz hat also nicht nur Thomas Rungweber gepackt - ihn aber besonders. "Ich bin in den drei Wochen täglich nach Ingolstadt in die Arbeit gefahren", berichtet er. So habe er viele neue Strecken kennengelernt und sei beeindruckt gewesen, wie großartig Radwege sein können. "Leider sieht es um Geisenfeld nicht so gut aus", fügt er an. "Eine asphaltierte Strecke bis Königsfeld wäre wünschenswert." Der bestehende Weg sei eine Zumutung für ältere Mitbürger.

Getragen wurde das Geisenfelder Team von zwei politischen Gruppierungen, die sich auch abseits der Straße nahestehen: von der Initiative Lebendiges Miteinander (ILM) und den Unabhängigen Sozialen Bürgern (USB). Aber auch die Stadtverwaltung, die Stadtkapelle und das Jugendzentrum waren mit Untergruppen beteiligt. Und immerhin 22 "neutrale" Geisenfelder schlossen sich der Aktion ebenfalls an. "Ich hoffe, das werden nächstes Jahr noch viel mehr", sagt Klafke, der das Stadtradeln, obgleich selbst bei der ILM engagiert, vollkommen überparteilich angeht. Es sei ihm gar nicht schwer gefallen, die vielen Mitstreiter zu aktivieren. Etwas Werbung in der Zeitung und in den sozialen Medien, dazu ein wenig Mundpropaganda und seine persönlichen Kontakte. "Das war es schon. Es ist fast von allein gelaufen", berichtet er. Rückenwind habe der Aktion mit Sicherheit die Corona-Situation und die zunehmende Sensibilisierung beim Thema Klimaschutz verliehen.

Das zeige sich auch auf Landkreisebene, wo die Zahl der Teilnehmer im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent nach oben geschnellt sei, ergänzt Klafke. Das starke Abschneiden des Geisenfeld-Teams sei natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass die ganze Stadt in einem großen Team angetreten ist. Auf Kommunen bezogen waren die Städte Pfaffenhofen und Vohburg sowie die Gemeinde Gerolsbach nämlich sogar noch weit stärker - sowohl bei der Teilnehmerzahl als auch bei den geradelten Kilometern. Das spiele laut Klafke aber ohnehin keine große Rolle. Grundsätzlich sollte sich jeder als Gewinner fühlen, der teilgenommen hat. "Vor allem diejenigen Teilnehmer, die die Aktion wirklich zum Anstoß genommen haben, ganz bewusst das Auto stehen zu lassen und stattdessen mit dem Rad zu fahren." Die wahren Gewinner seien aber wahrscheinlich einerseits das Klima und andererseits die Gesundheit der Teilnehmer, führt er weiter aus.

Unabhängig vom Stadtradeln stellt sich aber auch ganz allgemein die Frage, wie fahrradfreundlich die Stadt Geisenfeld eigentlich (schon) ist. Klafkes Ansicht ist da sehr zwiegespalten. "Freilich gibt es ordentlichen Nachholbedarf", meint er einerseits. Aber auf der anderen Seite sei der Umstieg aufs Radl jedoch vor allem eine Frage des Willens. "Wenn man das wirklich möchte, findet man auch Nebenstrecken durch Geisenfeld, die sich durchaus gut radeln lassen", räumt er ein.

Schade sei vor allem, dass es nicht von jedem Ortsteil sichere Radlwege zur Stadt gebe. "Warum hört zum Beispiel der wirklich toll asphaltierte Radlweg von Rottenegg kurz vor Geisenfeld auf, asphaltiert zu sein?" An der Stelle müsse man mit dem Rennrad oder auch mit Inlineskates auf die Hauptstraße ausweichen. "Für mich persönlich ist das kein Problem. Aber bei Kindern sieht es mit der Gefahrenlage gleich ganz anders aus", fügt Klafke an. Freilich würde er sich auch wünschen, dass es mehr explizit ausgewiesene Radlstraßen oder zumindest Radlstreifen quer durch Geisenfeld geben würde. "Abseits der Hauptstraßen sicher zu Schulen, zum Rathaus, zu Supermärkten oder Ärzten bequem und sicher mit dem Radl kommen - das wäre natürlich der Idealfall." Ein ganzheitlicher Ansatz beim Mobilitätskonzept wäre da hilfreich, fügt er an. Schließlich hätten in jüngster Zeit die in Mode gekommenen E-Bikes, die die Reichweite vieler Radler gehörig erhöhen, oder sogar Lasten-E-Bikes, die das Einkaufen mit dem Radl revolutionieren, ganz neue Möglichkeiten eröffnet. "Vom sich ändernden Klimabewusstsein der Menschen ganz zu schweigen, die sich eine wirkliche Alternative zum Auto sicherlich zum Teil wünschen."

Radler und Autofahrer gegeneinander ausspielen - das will Christian Klafke trotzdem auf gar keinen Fall. "Wir leben in einer Autoregion, da ist das gegenseitige Leben und Leben lassen ganz wichtig", fährt er fort. Also geht es ihm um Akzeptanz und Rücksichtnahme. "Ich sehe da beide Seiten", ergänzt Klafke. "Auch ich ärgere mich manchmal über die Radler. Aber wie sorglos einige Autofahrer gegenüber den Radlern agieren, ist erschreckend." Da werde mit wenigen Zentimetern Abstand überholt, die Vorfahrt geschnitten, gehupt oder auch mal kurz nach dem Überholen "ganz zufällig mal die Scheibe sauber gemacht". Diese Autofahrer würden häufig vergessen oder unterschätzen, was ein Sturz für einen Radler bedeute. "Autos haben eine gewaltige Knautschzone. Radler haben gar nichts - und verletzen sich bei jedem Sturz in der Regel ganz gehörig." Rücksichtsloses Verhalten würde es auf beiden Seiten absolut nicht brauchen. "Etwas mehr Respekt und Toleranz unter allen Verkehrsteilnehmern - und da schließe ich die Radler ausdrücklich mit ein - würde aus meiner Sicht mehr bringen als jeder Radlweg."

Mit großer Freude hat Bürgermeister Paul Weber (USB) den Erfolg der Stadtradeln-Aktion in Geisenfeld aufgenommen. "Das hat mich begeistert. Vor allem, weil ich das nie für möglich gehalten hätte", sagt er. Den Erfolg sieht er geradezu als Verpflichtung an, den Weg konsequent weiterzugehen, dass die Stadt Geisenfeld immer radlfreundlicher wird. Als konkrete Maßnahmen fallen ihm dazu primär die Schaffung von Radlstellplätzen im Zentrum, der Ausbau des Radwegenetzes rund um die Stadt und eventuell auch E-Ladesäulen für Elektroräder in der Innenstadt ein. "Auch an der Beschilderung können wir arbeiten. Damit könnten wir Radlern von außerhalb Wege durch Geisenfeld abseits der Hauptstraßen zeigen", fügt er an.

Schwierig könnte es hingegen werden, eigene Radlstraßen zu bauen oder von den bestehenden Straßen spezielle Radlstreifen abzuzwacken. "Das wäre zwar schön", meint Weber dazu. "Aber aufgrund des bestehenden Straßennetzes ist es sehr schwierig, da einzugreifen oder neue Strecken zu schaffen."

GZ

Patrick Ermert