Pfaffenhofen
Heiliger Sebastian statt Antibiotika

19.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:13 Uhr
Kurator Frieder Leipold zeigt eine Wetterfahne mit dem Abbild des Heiligen Johannes Nepomuk, der vor allerlei Wassergefahren schützen sollte. Das Stück ist Teil der kleinen Ausstellung im Rathausfoyer. −Foto: Kraus

Die kleine aber feine Ausstellung "Himmlische Helfer im bäuerlichen Wirtschaftsjahr" im Pfaffenhofener Rathaus zeigt ausgewählte Exponate aus dem ehemaligen Mesnerhaus-Museum. Kurator Frieder Leipold will dabei die praktischen Hintergründe der bäuerlichen Heiligenverehrung aufzeigen - und die stiefmütterlich behandelte Sammlung religiöser Kunst wieder ins Gespräch bringen.

Herr Leipold, ist das Thema Volksfrömmigkeit nicht arg bieder für einen Beitrag zu den eigentlich kurzweiligen Paradiesspielen?

Frieder Leipold: Nein. Diese Ausstellung dreht sich gar nicht um Frömmlerei - im Gegenteil! Im einstigen bäuerlichen Leben hatten die Heiligen vielmehr einen ganz konkreten Zweck: In einer Zeit ohne Versicherungen, Antibiotika oder Agrarwissenschaften ging es bei ihrer Verehrung um die blanke Existenz. Und nicht darum, dass die Hallertauer besonders brav und fromm gewesen sind.

Und was hat Joseph Maria Lutz als Namenspatron der Paradiesspiele damit zu tun?

Leipold: Diese Ausstellung soll ein kleiner Blick ins Paradies sein: Man wird selbst zum Brandner Kaspar und wirft einen Blick in den Heiligenhimmel. Dabei wollen wir aber verdeutlichen, dass dieser Himmel in einem krassen Kontrast zur Lebensrealität der bäuerlichen Gesellschaft vergangener Jahrhunderte steht. Und so reichen die gezeigten Stücke vom Mittelalter über den Barock bis ins frühe 20. Jahrhundert.

Wie spielt das bäuerliche Wirtschaftsjahr hinein, das der Schau ihren Namen gibt?

Leipold: Die Ausstellung umfasst sechs Figuren, die für die vier bäuerlichen Jahreszeiten stehen: die Keimzeit, die Wachstumszeit, die Erntezeit und schließlich die Zeit des Zehrens, in der man von der eingefahrenen Ernte leben muss. Wir wollen zeigen, dass die wichtigen Feiertage und Patrozinien immer auch auf wichtige Terminen im bäuerlichen Wirtschaftsjahr fallen.

Und wie sieht diese Zuordnung konkret aus?

Leipold: Der gezeigte "Schmerzensmann" aus dem 15. Jahrhundert zum Beispiel steht für Ostern, also für die Keimzeit, in der aus Korn wieder neues Leben entsteht. Für die Zeit des Wachstum zeigen wir einerseits eine Holzskulptur des Heiligen Florian als Patron gegen Dürre, andererseits einen Johann Nepomuk, der als Brückenheiliger vor Überschwemmungen schützt. Sein Bildnis aus Blech hat unten einen langen Sporn - es war nämlich einmal die Wetterfahne der Arlmühle. Dann haben wir das Gnadenbild der bekannten Muttergottes aus Altötting: Sie steht in Verbindung zum Hochfest Mariä Himmelfahrt im August - also genau in der Zeit, in der die Ernte eingefahren wird. Eine Verbindung, die zum Beispiel im Jetzendorfer Frautag bis heute lebendig ist. Für den Winter steht ein beschädigten Johannes Evangelist, der um Weihnachten sein Patrozinium hat. Er ist der Weinheilige, weil um diese Zeit die Gärzeit um ist und das erste Mal der frische Wein getrunken wird - einst wie bei einer Art Abendmahl im Haushalt. Ebenfalls für diese Jahreszeit steht der Heilige Sebastian, dessen Patrozinium im Januar gefeiert wird - also in einer Zeit ohne Grünfutter, in der das Vieh nicht raus aufs Feld durfte. Für die Bauern war das damals eine angespannte Situation: Wird ein Tier krank, können sich alle anstecken. Das schlimmste Vorstellbare war, dass das Pferd als wichtigstes Arbeitstier stirbt. Das zeigt ein überlieferter Spruch: "Weiber sterm bringt koa Verderm. Ross varegga ko Baurn daschregga." Da soll Sebastian als Seuchenheiliger helfen. Wir zeigen einen Wachsabguss aus einer Model des Café Hipp.

Warum ziert trotz der Bedeutung der Heiligen die Schwarze Madonna das Plakat der Ausstellung?

Leipold: Die Kopie der Muttergottes von Altötting als "Covergirl" ist mir wichtig: Sie zeigt, dass die Leute hier einst sehr wohl ein Interesse an Exotik hatten. Dass das Original der Schwarzen Madonna schwarz ist, ist aber eigentlich ein Zufall: Sie war einst in Stoffen gekleidet und so sind nur Hände und Gesicht durch den Ruß von Kerzen und Ölleuchtern nachgedunkelt. Von den Leuten wurde das aber sehr wohl als afrikanisch gedeutet. Und spätere Abbildungen wurden absichtlich so bemalt. Über die Religion hatten die Bayern also durchaus einen Blick in die Welt hinaus.

Warum ist über die gezeigten Stücke ist, wie über viele Kunstgegenstände der Mesnerhaus-Sammlung, relativ wenig bekannt?

Leipold: Es ist ja weniger eine Sammlung, als vielmehr ein Sammelsurium. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die armen Holledauer mit dem Anschluss an die Eisenbahn vor 150 Jahren plötzlich zu reichen Hopfenbauern wurden. Mit dem Geld wurden um 1900 viele Kirchen neu ausgestattet - und viele barocke und zum Teil noch gotische Kunstgegenstände galten plötzlich als "oids Graffe", das man entsorgen wollte. Zum Glück gab es Leute wie Schwester Trifonia vom Spital, die das als Frevel sahen. Sie zog mit ihrem Leiterwagerl umher und sammelte die Kunstgegenstände ein. Die Stücke sind also eher eine Rettungsaktion für Kulturgut als eine systematische Sammlung.

Die Ausstellung erinnert etwas an das Politikum vor sieben Jahren, als es um die Neukonzipierung des Museums ging...

Leipold: Stadtarchivar Andreas Sauer und ich haben damals vorgeschlagen, die Sammlung mit einer klaren Idee zu erschließen. Bei uns waren Stadtgeschichte, Wallfahrtsgeschichte und das bäuerliche Wirtschaftsjahr die roten Fäden. Daraus ist aber nichts geworden. Was jetzt aber temporär im Rathausfoyer ausgestellt wird, ist quasi die eingedampfte Essenz unserer damaligen Idee für die Zukunft des Mesnerhaus-Museums.

Bekanntlich kam es anders: Das Mesnerhaus ist wegen Brandschutzmängeln geschlossen, das Museum zu Grabe getragen. Welche Hoffnung haben Sie als Liebhaber der Sammlung für die Zukunft?

Leipold: Wenn es um das Museum geht, reden die Leute meistens über etwas, das sie gar nicht richtig kennen. Der Bevölkerung ist überhaupt nicht bewusst, welche Exponate es gibt. Und deshalb ist es ein wichtiger Schritt, diese Stücke zumindest wieder temporär zu zeigen, sie ins Gespräch zu bringen und eine Diskussion zu starten. Das könnte der Anfang einer ganzen Reihe solcher Ausstellungen sein.

Also ginge es auch ohne Museum im Sinne eines Gebäudes?

Leipold: Man darf ein Museum nicht nur als Ort mit Mauern verstehen, hinter denen Kostbarkeiten verborgen sind. Es geht stattdessen darum, die Sammlung zu nutzen, um über unsere gemeinsame Vergangenheit ins Gespräch zu kommen.

Das Gespräch führte

Michael Kraus.


Zur Person: Heimatforscher Frieder Leipold (41) aus Pfaffenhofen ist studierter Historiker und Kunsthistoriker, Mitglied im Heimat- und Kulturkreis und bekannt für seine Recherchen zur Schlacht bei Pfaffenhofen 1745.