Pfaffenhofen
Für Lehrer im Landkreis gibt es zum Thema Islamismus weder Maulkörbe noch klare Vorschriften

Pädagogisch frei

22.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:35 Uhr
Schülerinnen mit Kopftuch im Unterricht, so wie hier an einer Berliner Schule, gibt es natürlich auch im Landkreis Pfaffenhofen. Die Probleme halten sich hier allerdings in Grenzen. Im Unterricht werden nicht nur der Islam generell, sondern auch extreme Ausprägungen, die bis hin zu terroristischen Anschlägen führen können, in verschiedenen Fächern behandelt. −Foto: Thissen, dpa

Pfaffenhofen - In Frankreich köpft ein Islamist einen Lehrer, der im Unterricht Mohammed-Karikaturen behandelte. In Berlin droht ein Schüler muslimischen Glaubens seiner Lehrerin mit Enthauptung, sollten sich für die Familie Konsequenzen aus der Nicht-Teilnahme seiner Eltern am Elternabend ergeben. Was trauen sich angesichts dieser Brutalität Lehrer noch Kritisches zum Thema Islam zu sagen?

 

Ein Riesenthema ist es nicht, wie die Recherche an einigen weiterführenden Schulen im Landkreis ergab. Ob "Islamismus im Rahmen des Unterrichts eine Rolle spielt und thematisiert werden, kann ich Ihnen nur begrenzt beantworten, weil ich dazu meine Lehrkräfte en Detail befragen müsste. Ich gehe aber klar davon aus, dass alle Kolleginnen und Kollegen die Fachlehrpläne vollumfassend erfüllen", gibt sich Sabine Billinger, die Rektorin der Realschule Geisenfeld zugeknöpft. Dietmar Boshof, Rektor des Schyren-Gymnasiums Pfaffenhofen, kann ebenfalls nur wenig sagen, versichert aber: "Die Behandlung des Themas liegt ganz im pädagogischen Freiraum unserer Lehrer. Wir verhängen da weder Maulkörbe noch geben wir eine Richtung vor." Sowohl im Religionsunterricht als auch im fächerübergreifenden Komplex "Politische Bildung" werde der Islamismus gewiss thematisiert - und auch bei der Reflexion des Zeitgeschehens im Fremdsprachenunterricht würden die islamistischen Anschläge ganz sicher eine Rolle spielen und darüber diskutiert, so Boshof weiter. Eines könne er außerdem mit Sicherheit sagen: "Es haben sich bei uns noch keine Eltern beschwert, dass in dieser Richtung irgendwas nicht passen würde."

Mit Christian Heller geht der Rektor des Hallertau-Gymnasiums Wolnzach davon aus, "dass das in den entsprechenden Fächern - Geschichte, Sozialkunde und Französisch - aufgegriffen wird. Meinungsfreiheit ist immer wieder ein Thema. Aber bei 80 Lehrkräften kann ich nicht verlässlich Auskunft geben über die jeweiligen Unterrichtsinhalte." Wie um die Harmonie an seiner Lehranstalt zu unterstreichen, berichtet Heller von einer Schülerin, "die bis zum Abitur ein Kopftuch getragen hat, aber meines Wissens nicht vom Sportunterricht befreit werden wollte". Allerdings gibt der Rektor offen zu: "Wir sind hier wohl noch eine Insel der Seligen, was solche Probleme betrifft."

Das ist sicher kein unwesentliches Argument, muslimische Parallelgesellschaften sind im Landkreis - noch - kein Thema. Aber Nazi-Anschläge und Hetzjagden gegen farbige Schüler - zum Glück - auch nicht. Trotzdem verkünden viele Bildungseinrichtungen im Landkreis bereits am Eingang in großen Lettern, dass es sich hier um eine "Schule gegen Rassismus" handelt. Und wer von den Pädagogen wissen möchte, welche Projekte, Initiativen und Unterrichtsinhalte es bei ihnen gegen Rechtsextremismus gibt, der wird mit Infos zugeschüttet. Von wem politische Gewalt ausgeht, ist augenscheinlich nicht ganz unwesentlich bei der Frage, welchen Stellenwert sie in der öffentlichen Debatte spielt.

Dabei geht unter Bayerns Lehrern längst die Angst vor gewaltbereiten Muslimen um, wie Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, gegenüber der Welt zugibt: Sie wisse von vielen Kollegen, die aus Angst vor Anfeindungen und anderen negativen Konsequenzen auf eine kritische Behandlung des Themas Islam im Unterricht verzichten, so Fleischmann.

Martin Löwe, Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands, wundert dieses zugeknöpfte Verhalten der Rektoren vor Ort nicht. "Bei diesem Thema mauern die Schulen in der Regel. Man möchte nichts sagen, was womöglich nicht die Zustimmung des bayerischen Kultusministeriums findet." Auch die Angst, von gewissen Parteien und gesellschaftlichen Akteuren gleich als islamophob in die rechte Ecke gestellt zu werden, gehört dazu.

Das Ministerium antwortet allerdings sehr ausführlich auf eine Anfrage. "Bei strafrechtlich relevanten Vorfällen an Schulen gilt: In Bayern haben die Schulen unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden zu informieren, sobald konkrete Tatsachen darauf hindeuten, dass eine Straftat bevorsteht", so ein Sprecher von Ressortchef Michael Piazolo (FW). "Wenn Lehrkräfte extremistische Vorfälle, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen, wahrnehmen, greift die Lehrkraft den Vorfall zunächst selbst auf und thematisiert ihn in geeigneter und auf die Klasse beziehungsweise die Betroffenen abgestimmter Weise. Die Beratung mit Kollegen, der Schulleitung und den Eltern ist dann ein weiterer Schritt", heißt es in der Stellungnahme weiter.

Und dann folgen noch zahlreiche Tipps und Hinweise, wie man mit islamistischem Verhalten von Schülern umgehen soll und wo es Hilfe und Beistand gibt. Doch eine klare Aussage, wie und in welcher Form ein Lehrer aktuell den politischen Islam im Unterricht behandeln soll, ob er Kritik an Religionen praktizieren soll und muss - die fehlt in der Mail. Falls die bayerischen Pädagogen angesichts des Schicksals ihres ermordeten französischen Kollegen Samuel Paty sicherheitshalber andere Dinge thematisieren und das Wort Mohammed gar nicht erst in den Mund nehmen - dann scheint das im Kultusministerium niemanden groß zu stören. Wer wollte es den Lehrern also verdenken?

Viele nicht-muslimische Schüler gehen sowieso bereits sicherheitshalber auf Tauchstation, wenn in ihren Klassen der Anteil frommer muslimischer Klassenkameraden hoch ist. "Schweinefleischfresser" ist eine Beschimpfung, die nicht wenige von ihnen zu hören bekommen. Die Schulen sind bei diesem Thema ohnehin bereits auf dem stillen Rückzug, um Strenggläubige nicht zu verärgern. "In den nächsten Jahren wird das Schweinefleisch immer weiter von den Speiseplänen in Kitas und Schulen verschwinden", sagte die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Ulrike Arens-Azevêdo, zur Westdeutschen Allgemeinen. Neben ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen habe dies vor allem religiöse Ursachen.

Auch das ist sicher noch kein Thema in der Hallertau, die Leberkässemmel darf vorerst weiter verspeist werden. Aber in München haben viele Schulen Schwein längst von der Speisekarte genommen, was etwa Christian Schmidt (CSU), der frühere Landwirtschaftsminister, heftig kritisiert. Massiver Zuzug und stärkere ÖPNV-Anbindung des Umlands werden dieses Aspekt in naher Zukunft also wohl auch in den Schulen im Speckgürtel der Landeshauptstadt auf die Tagesordnung bringen.

Die allgemeine politische Lage im Zusammenhang mit dem militanten Islam wird derweil immer gefährlicher. Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass es mittlerweile rund 150 gewaltbereite Islamisten in Bayern gibt - doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren. Insgesamt liege die Zahl politisch radikaler Islamisten, die in Bayern leben, bei rund 760, sagte der Präsident des Landesamts, Burkhard Körner, der Nürnberger Zeitung. Mit Vorfällen wie dem Terroranschlag in Wien sei auch im Freistaat jederzeit zu rechnen.

Der Jugendpsychologe und Autor Ahmad Mansour warnt in Bild, dass es nicht ausreicht, wenn einzelne Lehrer im Unterricht Mut zeigen und erläutern, dass über eine historische Figur wie Mohammed in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft sehr wohl Witze gemacht werden dürfen. Denn nach dem staatlichen Sozialkundeunterricht gingen viele Kinder aus gläubigen Familien in die Koranschulen - und bekämen dort vom Imam zu hören, dass "Lästerungen" über den Propheten zumindest verboten, wenn nicht gar mit dem Tod bestraft werden müssen.

PK

Andre Paul