Pfaffenhofen
Die Zukunftsmacher von Angkofen

Arsandis-Fachinformatiker sorgen dafür, dass Unternehmen fit für die industrielle Revolution sind

05.08.2019 | Stand 25.10.2023, 10:23 Uhr
Virtuelle Realität: Firmenchef Joachim Loos hat ein Labor komplett digital eingerichtet, Neben ihm der PLM-Berater Jakub Zwierzynski, links steuert der Azubi Niels Hummel mit einer 3D-Brille und Joysticks in jeder Hand die Maschinen Geräte. −Foto: Herchenbach

Angkofen (PK) Digital Engineering, Product-Lifecycle-Management, Virtual Reality - die Zukunft hat schon längst begonnen. Und das ausgerechnet dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: In Angkofen, einem Weiler zwischen Pfaffenhofen und Tegernbach, machen 15 hochspezialisierte IT-Fachleute Unternehmen - sogar bis in die USA - fit für die digitale Revolution.

Wer ein - dem Metier entsprechend - super modernes glas- und chromblitzendes Bürogebäude erwartet hat, staunt: Die Experten von Arsandis, die Industrie-Firmen beraten, Maschinen- und Autobauer wie Porsche oder Auto-Zulieferer, arbeiten in einem oberbayrischen Landhaus. Nachbarn sind Landwirte, hinterm Haus dehnen sich Felder aus. Drinnen arbeitet ein junges Team an Rechnern, an der Wand hängen große Bildschirme; weil es im Erdgeschoss zu eng wurde, hat Firmenchef Joachim Loos, promovierter Mathematiker, das Nachbarhaus angemietet für weitere Büros und einen Konferenzraum. Aber auch dort wird es jetzt knapp. Das Unternehmen will expandieren.

Als Loos sich vor 14 Jahren mit seiner Frau Sylvie in Angkofen niederließ, war von einer eigenen Firma noch keine Rede. Die beiden hatten sich in London kennengelernt, wo der 52-Jährige für ein internationales High-Tech-Unternehmen arbeitete. Nach beruflichen Stationen in europäischen Großstädten sehnten sich beide nach oberbayrischer Idylle. Zehn Jahre später gründete Loos ein Beratungsunternehmen, dem er den Namen "Arsandis" gab, "die Kunst der Informationssysteme".

Was die Angkofener so treiben, kann man von der Homepage abschreiben: "Gemeinsam mit unseren Kunden optimieren wir alle Aspekte der Produktentstehung und des Produktservices." Man kann's aber auch ganz praktisch an einem Beispiel erklären: Ein Landwirt muss seinen Traktor reparieren. Er zieht sich eine 3D-Brille über den Kopf und sieht jetzt seinen Bulldog zweimal - das dreidimensionale Computerbild überlagert den echten Traktor. Das Modellbild zeigt ihm, was ausgetauscht werden muss. Mehr noch: Es demonstriert Schritt für Schritt, welche Handgriffe dafür notwendig sind. Und weil alle Teile des Traktors mit Sensoren ausgestattet sind, hat das Computerprogramm rechtzeitig erkannt, was bald ausgetauscht werden muss, weil es seine Verschleißgrenze erreicht hat. Ehe der Traktor stillsteht, hat es selbsttätig das Ersatzteil bestellt. In den USA, wo gigantische Mähdrescher vollautomatisch computergesteuert auf den Great Plains mit ihren zwei Millionen Quadratkilometern Fläche Weizen ernten, ist diese IT-Technik selbstverständlich.

Immer mehr Unternehmen dämmert es, welche Möglichkeiten ihnen "Industrie 4.0" bietet. Da ist etwa ein Süßwarenhersteller, der mit fünf Maschinen, jede kostet rund 1,5 Millionen Euro, Schokoladetafeln herstellt. Fällt eine Maschine aus, senkt das die Produktivität um 20 Prozent - und das möglicherweise über Tage und Wochen.

Abhilfe schafft die IT-Technik. Um es möglichst unkompliziert zu erklären: Alle industriell gefertigten Geräte und Maschinen werden heute als "CAD"-Modelle am Computer entworfen; computerunterstütztes Konstruieren nennt sich das. Anhand dieses Modells entwickeln die Arsandianer ein strategisches Konzept, um diese Maschine über ihre gesamte Lebensdauer zu managen. Das heißt dann PLM, Product-Lifecycle-Management. Es ermöglicht, über das "Internet der Dinge" Maschinen und Geräte miteinander zu verbinden. Das setzt voraus, dass jede Maschine - so wie ja auch jeder normale Internet-Nutzer - eine eigene IP-Adresse hat.

Das klingt alles ziemlich kompliziert, und wer sich jetzt als mittelständischer Unternehmer im Landkreis fragt, ob das jetzt für ihn wichtig ist und ob er das braucht, denn die Firma läuft doch ganz gut, dem sagt Joachim Loos: "Viele Hersteller wissen noch nicht, dass sie ein Problem bekommen, wenn sie jetzt nicht auf den Zug aufspringen." Denn dank dieser IT-Technik lässt sich kostensparender und effizienter produzieren.

Die Frage drängt sich auf: Werden dadurch nicht ganze Berufsgruppen arbeitslos? Monteure, Handwerker, Mechaniker? Ist es nicht genau dieser Effekt, weswegen viele Menschen Angst vor der industriellen Revolution haben und sie ablehnen? "Ganz klar", gibt Loos zu, "die Arbeitsplätze wandeln sich, und manche fallen vielleicht ganz weg. Doch zugleich entstehen viele neue, höher qualifizierte Stellen." Denn irgendwer muss ja die Computer-Programme schreiben, die IT-Komponenten miteinander verknüpfen, und die Maschinen konfigurieren.

Was auch klar ist: Der Firmenchef der Zukunft wird nicht mehr in der Lage sein, alle Fäden in seinem Betrieb in der Hand zu halten. Die Abläufe werden immer komplexer, und sie erfordern hoch qualifizierte Spezialisten. Ohne externe Berater werden Unternehmer möglicherweise keine Zukunft haben.

Aber auf diesen Zug wollen junge Leute noch nicht so recht aufspringen. Loos hat große Probleme, Mitarbeiter zu finden. Diejenigen, die er jetzt hat, kommen aus Hannover, Wunsiedel, Solingen ... ein Neuzuggang immerhin aus Ilmmünster.

Seine Frau Sylvie hat sich bei der Technischen Hochschule in Ingolstadt erkundigt: Nur die Hälfte aller Studienplätze im Fach Informatik ist dort besetzt, wurde ihr gesagt. Die Angkofener hören sich jetzt in China und Indien um.

Dabei, sagt der Firmen-Chef, biete er ein Arbeitsklima, das den Geist eines Familienunternehmens atmet: Auf der großen Terrasse wartet ein Gas-Grill auf eine Party, zwei Fitnessräume stehen zur Verfügung. "Ob wir uns jetzt duzen oder siezen, ist nicht ausschlaggebend," sagt Loos, "wichtig ist, wie man miteinander umgeht."

Das können Azubis, denen Loos ein duales Studium anbietet, und Praktikanten bestätigen. Wie zuletzt Tobias von der Hochschule in Karlsruhe, Adelaide von der Pariser Sorbonne und Christoph von - ja, tatsächlich! - der Realschule Pfaffenhofen.

Albert Herchenbach