Jetzendorf/Vierkirchen
Die Pannen-Killer

Das IT-Unternehmen MicroNova entwickelt mit 260 Spezialisten Test-Software, die Autos sicherer macht

11.06.2018 | Stand 25.10.2023, 10:27 Uhr
"Das ist ein Passat": Vorstandsvorsitzender Orazio Ragonesi vor der technischen Simulation eines Mittelklassewagens. −Foto: Foto: Herchenbach

Jetzendorf/Vierkirchen (PK) Zwischen Maisfeldern und Äckern, dort, wo Autofahrer hinter Bulldogs herzockeln müssen und deshalb Muße haben, barocke Kirchen mit Zwiebeltürmen zu betrachten, hat ein Software-Entwickler ein Unternehmen aufgebaut, das technisch in der Premium-Liga mitspielt: Den 260 hochspezialisierten IT-Experten des Systemhauses MicroNova vertrauen sich weltweit agierende Automobil-Hersteller wie VW, Porsche oder Audi an, Automobilzulieferer wie Bosch, Continental oder ZF in Friedrichshafen sowie Telekommunikations-Giganten wie Vodafone und Telefónica.

1987 hat der Jetzendorfer Josef W. Karl das Unternehmen quasi im Keller seines Wohnhauses gegründet. Als es dort zu eng wurde, erwarb er - nach einem Miet-Zwischenstopp in Dachau - ein paar Kilometer weiter in Vierkirchen am Unterfeldring ein modernes Bürohaus, das allerdings in den letzten Jahren auch aus allen Nähten platzte. Jetzt ist gleich gegenüber ein hochmodernes Bürogebäude für 120 Mitarbeiter entstanden, das derzeit bezogen wird.

Was die Software-Spezialisten so treiben, liest sich auf der Firmen-Homepage so: "MicroNova bietet Lösungen rund um den Test elektronischer Steuer- und Regelkomponenten: Vom Hardware-in-the-Loop(HiL)-Prüfstand über bewährte Software-Lösungen zur Testautomatisierung ..." Wer bitte soll das verstehen? "Dieses Profil ist ja auch für unsere Kunden gedacht", erklärt der Vorstandsvorsitzende der AG Orazio Ragonesi, 41. "Aber tatsächlich arbeiten wir am High-End der Komplexitätskette." Und zwar in vier Bereichen: Telekommunikation, Gesundheitswesen, IT-Management sowie Kfz als größte Sparte, "Testing Solutions" heißt das im IT-Jargon.

Um zu verstehen, was da passiert, erzählt Ragonesi eine Anekdote: Ein leitender Angestellter eines Automobilkonzerns ("spielt ja keine Rolle, wer das war") ist mit dem Prototyp eines Autos unterwegs, neben ihm sitzt sein Assistent. Als es anfängt zu regnen, setzt der Sensor die Wischer in Betrieb. Der Boss fährt rechts ran, weil er draußen irgendetwas nachschauen will, bleibt aber sitzen, weil sein Kollege ihm erst aus dem Kofferraum den Schirm holen will. Aber der Kofferraum lässt sich nicht öffnen. Defekt? Nein! Die Fahrzeug-Elektronik hat registriert: Es regnet, der Fahrerplatz ist besetzt, warum also sollte ich den Kofferraum freigeben?

Um solche Pannen zu verhindern, engagieren die Konzerne MicroNova. Deren Experten bekommen Steuergeräte, die in einem Auto verbaut sind. Allein bei einem Mittelklassewagen können das bis zu 70 sein. Diese Geräte steuern nicht nur die Wischer, sondern auch den Motor, die Außenspiegel, die Heizung, Radio, Navigation - schlicht alles, was ein Auto ans Laufen bringt. Zusätzlich bekommen die Software-Spezialisten die Modelldaten. Daraus bauen sie ein Testsystem, das Komponenten oder das ganze Auto simuliert. "Das", sagt Ragonesi und zeigt auf eine vier Meter breite Wand, "ist ein Passat." Zu sehen sind metallene Kästen mit Reglern, Schaltern, Leuchtdioden, einzig die aufmontierten Rücklichter und die Außenspiegel könnten den Laien auf die Idee bringen, dass diese Installation etwas mit Auto zu tun hat. Tatsächlich aber braucht es weder eine Karosserie, Reifen oder Sitze, um eine Autofahrt zu simulieren. MicroNova hat dazu eine Software entwickelt. Die führt nicht nur alle Steuergeräte zusammen, sondern testet sie auch in Extremsituationen, wenn also beispielsweise der Motor überdreht wird. Über 500 Parameter berücksichtigt das Programm, und das tausendmal pro Sekunde, bei Bedarf 24 Stunden am Tag. Das einzige, was fehlt, ist der Fahrer. Welche Fahrfehler dem unterlaufen können, das simuliert ebenfalls die Testautomatisierung. Das setzt natürlich voraus, dass sich vorher jemand Gedanken darüber gemacht hat, was alles schief laufen könnte, um dies dann zu programmieren. Flapsig gesagt: MicroNova hilft, dass das Auto den Fahrer versteht. Der Schritt zur künstlichen Intelligenz ist dann nur noch ein kleiner.

Letztlich sind die MicroNova-Leute Meister der Kommunikation: Sie sorgen dafür, dass sich alle verbauten Teile nicht nur miteinander verstehen, sondern aus diesen "Gesprächen" auch noch die richtigen Schlüsse ziehen und die dann umsetzen. Besonders deutlich wird das in der zweiten Sparte, die MicroNovaTelco Solutions nennt: prozessgesteuerte Software-Lösungen für den Netzausbau von Telekommunikations-Unternehmen. Der Vorstandsvorsitzende erklärt das so: "Wenn Sie unterwegs sind und mit Ihrem Handy telefonieren, bewegen Sie sich von einer Funkzelle zur nächsten. Die erste sagt dann der zweiten: Achtung, ich übergebe dir gleich ein Gespräch. Bei Großereignissen wie etwa dem Oktoberfest, wo Zehntausende Leute gleichzeitig Unmengen an Gesprächen führen, SMS und Fotos verschicken, bauen die Unternehmen zusätzlichen Funkmasten auf, die miteinander verbunden werden müssen. Das machen die Mobilfunkanbieter mit Hilfe unserer Software."

Für solche Aufgaben braucht man die richtigen Leute; Mitarbeiter, die sich in ein Problem hineindenken, kreativ Szenarien entwickeln, Lösungen ausarbeiten und dabei so penibel sind, dass sie auch die größte Unwahrscheinlichkeit ins Kalkül ziehen. Zum Beispiel ist ein Informatik-Studium wünschenswert, "aber", sagt Ragonesi, "es ist eine Hilfswissenschaft. Unsere Leute müssen sich in ein Problem hineinversetzen können, sie müssen auch wissen, wie ein Funkturm oder ein Motor funktionieren. Sie müssen für ein Thema brennen." Das, was in den Zeugnissen der Bewerber steht, meint der Chef, ist erlernbar. "Wir aber wollen wissen: Was treibt den Menschen an, woran hat er Spaß? Wir brauchen Leute, die offen sind." Die Mischung macht's: Computer-Spezialisten arbeiten bei MicroNova mit visionären Freigeistern zusammen, Alte neben Jungen. Aus 22 Nationen kommen die IT-Experten. "Wir brauchen frischen Wind und Erfahrung." Bestes Beispiel ist der 55-jährige Franz Dengler, Mitarbeiter der ersten Stunde, den sie ehrfurchtsvoll "das Superhirn" nennen. Da brüteten mal mehrere Mitarbeiter schon seit Stunden vor einem Rechner an einem Problem. Und dann kam zufällig Dengler vorbei, der sich einen Kaffee geholt hatte, schaute auf den Bildschirm, der nur aus Zahlen, Zeichen und Ziffern bestand, "aber nur aus den Augenwinkeln", beteuert Ragonesi. Und dann sagt dieser Dengler: "Das kann so nicht funktionieren, das geht so" - und die Lösung war richtig.

Bei aller High-End-Technik und der fast schon atemberaubenden Expansion - in Deutschland gibt es sieben und in Tschechien zwei Standorte - ist MicroNova bodenständig geblieben. Gründer Josef W. Karl, 67, der vor zweieinhalb Jahren in den Aufsichtsrat gewechselt ist, hat für alle Investitionen niemals eine Bank in Anspruch genommen und auch in der Finanzkrise keine Leute entlassen müssen. Sein IT-Unternehmen ist im Familienbesitz, und dort soll es auch bleiben. Der Gründer legt größten Wert darauf, dass sich die Mitarbeiter wohl fühlen: Zur Altersversorgung zahlt die Firma ihren Mitarbeitern die Hälfte der Prämie, flexible Arbeitszeiten sind selbstverständlich. "Wir leben von der Kreativität unserer Mitarbeiter und deren Lust am Arbeiten", sagt Ragonesi. "Das ist unser Kapital."
 

Albert Herchenbach