Wolnzach
Der namenlose Held von Wolnzach

US-Pilot drehte seine abstürzende Maschine 1949 vom Ortszentrum ab - und gab dafür sein Leben

14.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:32 Uhr
Irgendwo bei diesen Hügeln zerschellte das Flugzeug, der Pilot konnte nur noch tot geborgen werden. Die Suche nach seinem Namen läuft. −Foto: Trouboukis

Wolnzach - Ein Funke, der jetzt wieder aufgeflammt ist, als der Spurensuche-Beitrag über die einstigen Wolnzacher Sandbahnrennen auf dem Fußballplatz an der Ingolstädter Straße in der Zeitung zu lesen war: Von einem Flugzeugabsturz war da am Rande die Rede, ein US-Militärpilot soll dabei 1949 sein Leben verloren haben. Dank der noch sehr lebendigen Erinnerung, die ein Leser mit unserer Redaktion geteilt hat, ist jetzt klar: Besagter Pilot hat damals durch heldenhaftes Verhalten eine Katastrophe verhindert - und sein Leben für das zahlreicher Wolnzacher geopfert.

 

Das brennende Flugzeug über ihren Köpfen. Der Rauch der abstürzenden Maschine. Das Geräusch, als sie hunderte Meter hinter dem damaligen Fußballplatz am so genannten "Linderholz", zerschellte. Dann die Nachricht, dass der Pilot nicht überlebt hat. Auch bei Chane Werner, dem langjährigen Vorsitzenden des Motorsportclubs Wolnzach, keimte das alles wieder auf, als er unserer Zeitung von den damaligen Sandbahnrennen erzählte. Bruchstücke, die sich in sein Gedächtnis eingebrannt, ihn aber im zeitlichen Ablauf etwas getrogen haben. Denn: Tatsächlich gab es einen solchen Absturz, allerdings kam es zu diesem Unglück - das ist mittlerweile gesichert - nicht am Rande eines Sandbahnrennens im Frühjahr, sondern vielmehr im Dezember des Jahres 1949. Genauer gesagt am 8. Dezember 1949, als auf dem Platz die Rot-Weißen, die Spieler des TSV Wolnzach, gerade einen Gegner zu Gast hatten.

Der 8. Dezember 1949 war ein Donnerstag. Kein Werktag, sondern das Hochfest der unbefleckten Empfängnis Mariens, das bis 1969 in Bayern - wie übrigens heute noch in Österreich oder Italien - gesetzlicher Feiertag war. Die Geschäfte waren geschlossen, die Schule war zu, die Kinder spielten draußen. Denn dieser Dezembertag war mit Temperaturen um die 10 Grad ungewöhnlich mild, von Schnee noch keine Spur. "Als sonnigen und wohl ziemlich warmen Nachmittag" hat ihn auch Hermann Maier in Erinnerung, für den dieser Tag tiefe Spuren hinterlassen hat - in seinem Bewusstsein und auch in seinem Heimatort Wolnzach, der - davon ist er überzeugt - heute nicht der wäre, der er ist, wenn nicht ein US-Soldat sein Leben für ihn gegeben hätte.

Mit Freunden saß Hermann Maier als Bub damals draußen auf der Wiese, nahe seinem Elternhaus an der heutigen Ingolstädter Straße. Während einen Steinwurf weiter vom Fußballplatz her die Pfiffe des Schiedsrichters und das Anfeuern der Fußballfans zu hören waren, vertrieben sich die Buben anderweitig die Zeit: Sie schauten sich aus westlicher Richtung - also in etwa vom Bahnerberg - nähernden Jets der US-amerikanischen Besatzer zu, die sich scharf am tiefblauen, wolkenlosen Himmel abzeichneten. Sie flogen in enger Formation, hielten Kurs gen Süden. Da geschah es: "Plötzlich brannte bei einem der Flugzeuge das Triebwerk", erinnert sich der Wolnzacher noch, als wäre es gestern gewesen. Selbst das Datum, den 8. Dezember, hatte er noch im Kopf, nicht wissend, dass er damit exakt richtig lag. Ein kleine Zeitungsnotiz sollte ihm später bestätigen, dass dieses Datum keine durch die vielen vergangenen Jahre geformte Fiktion, sondern blanke Realität war.

Im Cockpit der Unglücksmaschine müssen sämtliche Alarmsysteme angegangen sein, wahrscheinlich hätte der Pilot per Schleudersitz noch aussteigen und die unweigerlich verlorene Maschine sich selbst überlassen können. "Die Flughöhe wäre für den Fallschirm wohl ausreichend gewesen", meint auch der Augenzeuge. Der Pilot hätte sein Leben vermutlich retten können. Aber: Ein führerloser, brennender Jet in südlicher Richtung auf Wolnzach? Was gewesen wäre, wenn - daran mag Hermann Maier auch heute, 71 Jahre später, lieber gar nicht denken: "Die Maschine wäre direkt auf den Markt oder zumindest in dicht bebaute Bereiche gestürzt", ist er überzeugt.

Anstatt also eines sich öffnenden Fallschirms beobachteten die erschrockenen Buben damals etwas, was diejenigen von ihnen, die heute noch leben, als echte Heldentat einzuschätzen wissen.

 

Unser Augenzeuge beschreibt die Geschehnisse so: "Der Pilot drehte die brennende Maschine in einer schraubenartigen Abwärtsbewegung aus der Südrichtung nach Osten. Es sah zunächst so aus, als würde das Flugzeug in der Gegend am alten Sportplatz aufschlagen. Sehen konnte ich das von meinem Standort aus nicht mehr deutlich. Aber es war wohl so, dass der Pilot sah, dass auf dem Sportplatz gerade ein Fußballspiel lief. Und so zog er offensichtlich mit letztem Schub über die Naturtribüne hinweg und der Jet schlug am Waldrand in einem landwirtschaftlichen Feld ein. Einige beherzte Erwachsene sperrten die Absturzstelle schnell entschlossen soweit als möglich ab. Es hieß, dass die MGs noch feuerbereit gewesen seien. Der Bruder des getöteten Piloten konnte am nächsten Tag die Absturzstelle nur überfliegen, aber nicht landen."

"Flugzeugabsturz in Wolnzach", stand am Samstag, 10. Dezember 1949, dann im DONAUKURIER zu lesen. Hier der Originaltext der kurzen Zeitungsnotiz: "In den Nachmittagsstunden des 8. Dezember stürzte außerhalb, etwa 400 Meter oberhalb des Sportplatzes, ein amerikanisches Jagdflugzeug ab und zerschellte auf einem Acker. Der Pilot konnte nur noch als Leiche geborgen werden." Eine Zeitungsmeldung, gerade einmal sechs Zeilen lang. Kein Foto, kein Wort über die Unfallursache, geschweige denn davon, dass der Pilot durch das Umlenken seiner trudelnden Maschine vermutlich viele Menschenleben gerettet hat.

In der Nachbetrachtung wundert das auch unseren Augenzeugen nicht, als historisch versierter Forscher meint er, eine Erklärung dafür zu haben; denn es sei in der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg dem amerikanischen Militär vorbehalten gewesen, Untersuchungen durchzuführen und nur das an die Presse zu geben, was geboten schien: "Das Petersberg-Abkommen vom 22. November 1949 lockerte zwar die Besatzungspolitik, aber erst im Herbst 1951 begannen die Verhandlungen über die Ablösung des Besatzungsstatus."

Wer aber war dieser Pilot? Auch der Bub von damals hat viel daran gesetzt, dem Helden von Wolnzach einen Namen zu geben - bislang allerdings ohne Erfolg. Auch diverse Rechercheanfragen unserer Zeitung über US-amerikanische Militärarchive laufen, haben aber - noch - kein Ergebnis gebracht. So bleibt also vorerst nur einmal die Geschichte einer heldenhaften Tat.

Erzählt wurde sie an dieser Stelle, damit zumindest das Handeln des Piloten die gebotene Beachtung erfährt, wenn auch er selbst im Moment noch namenlos bleiben muss.

WZ

Karin Trouboukis