Pfaffenhofen
Denkzettel für einen Fehler

Gericht: Der "Held von Schrobenhausen" hätte mit seinem Tankwagen nicht mehr weiterfahren dürfen

17.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:44 Uhr
Ein juristisches Ende fand die Beinahkatastrophe zwischen Schrobenhausen und Aresing (oben) vor einem Jahr: Der Fahrer des brennenden Tanklastwagens (unten l.) wurde gestern vom Pfaffenhofener Schöffengericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Sein Verteidiger Claus Dolinski wollte die Einstellung des Verfahrens, das von zahlreichen Medienvertretern (unten r.) verfolgt wurde, erreichen. −Foto: Fotos: Spindler

Pfaffenhofen / Schrobenhausen (SZ) Das Bild vom "Helden von Schrobenhausen" für den Fahrer eines Tankwagens, der vor einem Jahr zwischen Schrobenhausen und Aresing ausgebrannt war, hatte Kratzer bekommen. Einige davon hat das Schöffengericht Pfaffenhofen gestern Nachmittag ausgebügelt. Andere hat es mit einer Geldstraße geahndet.

"Es tut mir leid, was damals passiert ist", sagt Simon G. (Name von der Redaktion geändert) im Sitzungssaal 109 des Pfaffenhofener Amtsgerichts. Er habe eine falsche Entscheidung getroffen, das wisse er heute. "Ich bin froh, dass niemand körperlich etwas passiert ist", fügt der 50-Jährige aus Memmingen noch hinzu.

Unter Vorsitz von Amtsgerichtsdirektor Konrad Kliegl lässt das Schöffengericht gestern die Ereignisse des hochsommerlichen Montags vor genau einem Jahr nochmals Revue passieren, die sich auf der 50,3 Kilometer langen Strecke zwischen der Raffinerie in Vohburg und dem vorläufigen Ende der Tour auf der Staatsstraße zwischen Schrobenhausen und Aresing zugetragen hatten. Eigentlich wollte der Trucker mit etwa 9000 Litern Benzin und weiteren rund 25000 Litern Diesel in seinem Tankauflieger nach Röthenbach ins Allgäu fahren. Bei Oberstimm habe er um 13.05 Uhr eine kurze Pause eingelegt, wollte sich auf der Beifahrerseite aus einem Kasten seine Brotzeit holen. Dabei habe er bemerkt, wie erst sein Anwalt Claus Dolinski in einer Erklärung verliest und später auf Befragen auch G. bestätigt, Rauch hinten an seinem Fahrzeug bemerkt. Er habe versucht in der Werkstatt seiner Spedition, für die er schon seit fast 20 Jahren arbeitet, jemanden zu erreichen. Der Versuch scheiterte wegen der Mittagspause im Betrieb. G. wartete ab, glaubte nach eigenen Worten an eine festsitzende Bremse. Der Rauch verzog sich, nach etwa zwölf Minuten setzte er sich wieder ans Steuer, startete den Motor, fuhr kurz an, bremste. Alles schien in Ordnung. G. fuhr weiter.

Die Angaben des "routinierten Berufskraftfahrers" (Kliegl) bestätigt auch die Schrobenhausener Polizei nach der Auswertung der digital aufgezeichneten Fahrdaten des Lastwagens. Mehrere Zeugen erzählen dem Gericht, dass sie den Tankwagen in der Bushaltestelle gegenüber des Barthelmarktgeländes bei Oberstimm an der B13 stehen sahen. Auch weiß-bläulicher Rauch sei zu sehen gewesen.

Die Ursache des Qualms erklärt der Ulmer Gutachter Karl Geßler. Er hat bei der Untersuchung des Tankaufliegers festgestellt, dass an der letzten der drei Achsen des Anhängers auf der Fahrerseite ein Radlager defekt gewesen war. "Das Radlager ist ein Verschleißteil", so Geßler. Ein solcher Schaden trete plötzlich auf, kündige sich nicht an und sei für den Fahrer von außen schwer zu erkennen. Der Wagen sei erst zwei Monate vor dem Unglück gewartet und ohne Beanstandungen geprüft worden. Für Geßler steht fest, dass G. mit seinem 428 PS starken Lastwagen mit Automatikgetriebe beim Fahren vom Radlagerschaden nicht bemerkt haben muss. Die Zugmaschine überwinde heute den Widerstand des defekten Radlagers locker, das Rad drehe sich, heize sich auf, der Reifen brenne irgendwann. Warnsysteme für solche Schäden gebe es noch nicht in den Fahrzeugen. Aber der Sachverständige sagt auch: "Wenn man nicht weiß, was da geraucht hat, hätte das Fahrzeug in die Werkstatt gegeben werden müssen."

Bei Waidhofen auf der B300 zeichnet sich später die drohende Beinahkatastrophe ab. Ein Zeuge erklärt, er sei ab Waidhofen hinter dem Tankwagen hergefahren, habe bei Mühlried Rauch und Flammen bemerkt, habe gehupt und Lichtsignale gegeben. Der Trucker in seinem Fahrerhaus mit laufender Klimaanlage und eingeschaltetem Radio habe nichts bemerkt. Der Zeuge wählte den Notruf und wurde aufgefordert, dem Tankwagen zu folgen. Der sei bei der Ausfahrt Schrobenhausen-West abgefahren und habe bei einem Autohaus kurz an der Augsburger Straße angehalten. Der Fahrer sei ausgestiegen, habe hinten am Lastwagen geschaut, was los ist, sei wieder eingestiegen und losgebraust. Knapp 20 Sekunden hat das gedauert, ergibt die Auswertung der Polizei. Für den Trucker war nach eigenen Worten klar, dass er mit seinem Bordfeuerlöscher die rund zwei hohen Flammen nicht löschen könne. Von der Polizei habe er sich via Notruf aus der Stadt leiten lassen, in der er sich nicht auskenne. Wie prekär die Lage war, hatte G. erst bemerkt, als kurz vor der B300-Abfahrt Schrobenhausen-West der linke Reifen der letzten Hinterachse des Anhängers geplatzt war. Zeugen bestätigten, einen lauten Knall gehört zu haben.

Verteidiger Claus Dolinski versucht, das Verfahren gegen seinen Mandanten gegen Zahlung einer Geldbuße einzustellen. Staatsanwältin Julia Eser hält dagegen, die Gefahr durch den brennenden Tankwagen sei viel zu groß gewesen, um das Verfahren einzustellen. In ihrem Plädoyer rückt die Anklägerin vom Vorwurf der vorsätzlichen Brandstiftung ab. Das habe G. nicht nachgewiesen werden können. Sie fordert als Strafe 120 Tagessätze zu je 35 Euro und einen Monat Fahrverbot für G.

Dolinski ist enttäuscht von der Staatsanwaltschaft, bittet das Gericht darum, mit der Geldstrafe unter 90 Tagessätzen zu bleiben, damit sein bisher vollkommen unbescholtener Mandant nicht als vorbestraft gelte. G. habe an der Aufklärung mitgewirkt und alles eingestanden. In Schrobenhausen, als der Tankwagen brannte, habe er alles richtig gemacht.

Das ist für Kliegl und seine beiden Schöffen mit ein Grund, G. lediglich zu 80 Tagessätzen à 40 Euro zu verurteilen. "Das Weiterfahren in Oberstimm beinhaltet die Pflichtverletzung", so Kliegl. "Wenn man einen Gefahrguttransport fährt, muss man einen Werkstattwagen kommen lassen", sagt er dem Trucker. Der Fall sei aber nicht so gestrickt, dass G. die Fahrerlaubnis zu entziehen sei. Doch ein Monat Fahrverbot müsse als "Denkzettel für die Pflichtverletzung" schon sein.

Jürgen Spindler