Wolnzach
"Dem Ziel ein Stück näher"

Grundstock für Delfintherapie: Wolnzacher Maskennäherinnen spenden für sechsjährige Sophia Kinhackl

25.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:07 Uhr
Mit jeweils 1000 Euro will die Nähgruppe um Manuela Menk (von links) und Judith Huber sowie der Frauenbund Wolnzach, vertreten durch Käthe Arndt und Ilse Fuchs, der sechsjährigen Sophia helfen. Beide Gruppen nähen in der Corona-Krise Gesichtsmasken, die sie gegen Spenden abgeben. −Foto: Rebl

Wolnzach/Pfaffenhofen - Was haben Corona-Masken mit einer Delfintherapie zu tun? Für die sechsjährige Sophia Kinhackl aus Pfaffenhofen sehr viel: Zwei Gruppen von ehrenamtlichen Maskennäherinnen haben spontan jeweils 1000 Euro aus ihrem Erlös für das schwer behinderte Mädchen gespendet - und damit einen großen Wunsch der Familie in greifbare Nähe gerückt, nämlich Sophia eine zweite Delfintherapie zu ermöglichen. Dass ausgerechnet aus der Corona-Krise heraus Hilfe entsteht - eine wertvolle Erfahrung für die Eltern Dorothee und Ralph Kinhackl: "Mit diesen Spenden sind wir unserem Ziel ein Stück näher gekommen."

 

Dieses "nächste Ziel" liegt konkret auf Curacao. Auf der niederländischen Karibikinsel machte Sophia bereits im März 2019 im Curacao Dolphin Therapy Center (CDTC) eine Therapie, auf die die junge Familie lange hingespart hatte - in ihren Augen nicht umsonst. Die Eltern haben bei ihrer Tochter seitdem deutliche und vor allem anhaltende Verbesserungen wahrgenommen: "Sie schreit viel weniger und hat eine bessere Kopfkontrolle", erzählt Mama Dorothee. Außerdem sei der Muskeltonus regulierter und Sophia habe angefangen, viel mehr zu lautieren. Besonders auffallend für die Eltern: "Sophia ist seitdem deutlich aufmerksamer." Diese verbesserte Aufmerksamkeit hätten sie schon am zweiten Therapietag, an dem Sophia mit dem Delfin im Wasser war, bemerkt. Obwohl diese Therapieform bekanntlich nicht unumstritten ist, wollten die Kinhackls sie ausprobieren - und haben es nicht bereut. Im Gegenteil: "Es war so positiv, dass wir das unbedingt wieder machen wollen."

Sophias Geschichte beginnt im November 2013: Sie kommt als scheinbar gesundes Kind zur Welt. Als sie etwa sechs Wochen alt ist, merken die Eltern, "dass etwas nicht stimmt". Das Baby lässt eine Hand hängen. Für die Kinhackls beginnt eine Odyssee. Sie fahren von einer Klinik zur nächsten. Als Sophia ein Jahr alt ist, stehen die erschütternden Diagnosen fest: Epilepsie, Zerebralparese, frühkindliche globale Entwicklungsstörung. Was die genaue Ursache ist, dazu tappt man laut Familie Kinhackl noch im Dunkeln: "Man geht von einem bisher unbekannten Gendefekt aus." Deshalb könne auch keiner sagen, welche Fortschritte Sophia machen kann und wird. "Es kann keiner sagen, ob sie jemals trocken wird oder reden und gehen lernt", so Dorothee Kinhackl. "Aber solange mir niemand etwas anderes bescheinigt, gehe ich immer vom Positiven aus", sagt die 28-Jährige voller Zuversicht.

Der Industriekauffrau und ihrem Mann Ralph (34) - er ist Fluggerätemechaniker am Flughafen München - sowie dem vierjährigen Sohn Timo wird im Familienalltag einiges abverlangt: Sophia ist mit ihren sechseinhalb Jahren in etwa auf dem Entwicklungsstand eines fünf Monate alten Kindes und rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Vor allem nachts leidet sie häufig unter Krampfanfällen und braucht Notfallmedikamente. Sie kann weder sitzen noch stehen. Sophia schafft es zwar, sich auf den Bauch zu drehen - zurück geht es allerdings nicht. Ernährt wird sie ausschließlich über eine Magensonde. Außerdem trägt sie ein Brille; wie viel sie sehen kann, sei schwer zu sagen, so die Eltern. Nach Aussagen der Ärzte verhält sie sich wie ein blindes Kind.

Umso mehr reagiert die Sechsjährige mit den langen braunen Haaren und dem freundlichen Gesicht auf Stimmen: "Daran erkennt sie Leute gut wieder", erzählt Dorothee Kinhackl. Berührungsängste mit anderen Menschen hat das Mädchen nicht, im Gegenteil hat es sichtlich Freude allem, was man mit ihr unternimmt. "Je mehr Action, umso besser", meint die Mama lachend. Für diese Action sorgt auch Bruder Timo, der sich rührend um "seine Sophia" kümmert. Sie liebt es im Gegenzug, mit ihm zu kuscheln - hält es aber genauso gut aus, wenn der kleine Bruder mal etwas wilder ist. "Sie ist ja nicht aus Zucker", meint die Mama. Sophia fordert viel Aufmerksamkeit, die bekommt sie auch in den Therapien: Seit sie drei Jahre alt ist, besucht sie mit einer Individualbegleitung an ihrer Seite die schulvorbereitende Einrichtung der Adolf-Rebl-Schule, erhält dort unter anderem Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Daneben fahren die Eltern mit ihr regelmäßig zur ambulanten Behandlung nach Starnberg und zur stationären Behandlung nach Vogtareuth. Dort wird sie ein bis bis zwei Mal im Jahr "durchgecheckt" und es werden die Hilfsmittel wie Korsett und Daumenschiene angepasst.

 

Um das Leben mit einem schwer behinderten Kind so gut wie möglich gestalten zu können, haben die Kinhackls einen großen Schritt gemacht: Sie haben ihr Haus verkauft und ein neues, behindertengerechtes gebaut, in das sie vor einem Jahr eingezogen sind. Darin stehen Therapiestühle, Lagerungssessel, behindertengerechter Buggy, Walker, Bewegungstrainer - "Sophias Zimmer ist voll", so Dorothee Kinhackl. Nicht immer ist es selbstverständlich und einfach, die Kosten für Geräte und Hilfsmittel erstattet zu bekommen, berichten die Eltern vom stundenlangen Verfassen von Anträgen und Widersprüchen. Ein regelmäßiger Kampf sei auch die Kostenübernahme für die Reha, die die Kasse im Normalfall nur alle vier Jahre übernimmt. Sophia bräuchte aber eigentlich jedes Jahr mindestens eine solche Intensivtherapie, so die Familie, die deshalb vieles aus der eigenen Tasche zahlt.

Umso mehr freut sie sich über die unverhoffte finanzielle Unterstützung, die sie jetzt von den Näherinnen des katholischen Frauenbundes Wolnzach und der ehrenamtlichen Nähgruppe um die beiden Wolnzacherinnen Manuela Menk und Judith Huber bekommt. Zu Letzteren gehört auch Dorothee Kinhackl selbst, die in ihrer knapp bemessenen Freizeit gerne näht - als Ausgleich zum anstrengenden Alltag. Per Zufall ist sie zu der Truppe gestoßen, deren Mitglieder sich bis dahin untereinander teilweise gar nicht kannten. Beim Besprechen von organisatorischen Dingen per Telefon ist Judith Huber dann mit Dorothee Kinhackl ins Gespräch gekommen. "Sie sagte mir, dass sie nicht genau weiß, wie viele Masken sie schafft, weil sie ein behindertes Kind hat, das viel Aufmerksamkeit braucht", erzählt Judith Huber. "Da war mir sofort klar, wohin unsere nächste Spende gehen soll."

Der Grundstock für die rund 15000 Euro, die die zweiwöchige Delfintherapie samt Flug und Aufenthalt für die vierköpfige Familie kostet, ist damit gelegt. Und die Hoffnung gewachsen, dass es vielleicht schon 2021 ein Wiedersehen mit "Nubia" gibt, dem Delfin, der Sophia 2019 durch ihre Therapie begleitete. Denn die kleinen Patienten sollen bei einer Wiederkehr möglichst wieder mit demselben Delfin arbeiten. "Sobald Sophia bei ihm im Wasser war, war sie total ruhig und einfach nur entspannt", erinnert sich Ralph Kinhackl. "Ich habe keine Ahnung, was dieses große Tier macht, aber irgendetwas muss da wohl passieren." Er und seine Frau hoffen, dass ihre Tochter durch eine weitere delfingestützte Therapie Fortschritte zum Beispiel beim Sprechen macht. "Wir wissen, sie wird nicht das Laufen anfangen, aber bezüglich Sprache, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung könnte sie viel profitieren."

WZ

 

Katrin Rebl