Pfaffenhofen
Datum vergessen: Briefträger verurteilt

Verteidiger macht für Fehler auf Urkunde die Post verantwortlich: "Die gehört auf die Anklagebank"

21.02.2020 | Stand 02.12.2020, 11:54 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: Uli Deck/dpa-Archiv

Pfaffenhofen - Früher waren Briefträger Beamte und erfüllten als Staatsdiener auch hoheitliche Aufgaben, was jedem spätestens dann klar war, wenn er die Uniform anzog.

Heute gehört die Post Aktionären, die Briefträger heißen Zusteller, tragen lässige Anoraks - aber hoheitliche Aufgaben erfüllen sie immer noch. Das weiß nur nicht jeder, wie ein Prozess am Amtsgericht gegen einen Zusteller zeigte.

Auf der Anklagebank sitzt zerknirscht der 48-jährige Milan D. (Name geändert). Weil er schlecht deutsch spricht, übersetzt eine Dolmetscherin. Er hat einen Strafbefehl wegen "Falschbeurkundung im Amt" erhalten, das Amtsgericht hat ihn zur Zahlung von 90 Tagessätzen á 40 Euro verurteilt. Dagegen hat er Einspruch eingelegt. Denn er hat ein großes Problem: Vor acht Jahren ist er mit Frau und zwei Kindern aus Osteuropa nach Deutschland in den Landkreis gezogen, und da möchte er auch wohnen bleiben. Deshalb hat er einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Es sieht ganz gut für ihn aus, sagt sein Verteidiger Uwe Steffen, aber bei diesem Strafmaß bekommt er vermutlich ein Problem. Vor allem, so der Anwalt, sitzt auf der Anklagebank der Falsche. Da müsste die Post sitzen. Der Arbeitgeber aber fehlt, dafür verfolgt ein Arbeitnehmervertreter, ein Betriebsrat, vom Zuschauerraum aus die Verhandlung.

Was Milan D. angestellt hat, "das habe ich ihm in einem zweistündigen Gespräch erst erklären müssen", sagt sein Verteidiger. Sein Mandant hatte im vergangenen Juni eine förmliche Zustellung des Amtsgericht ausgetragen, aber auf der Postzustellungsurkunde vergessen, das Datum einzutragen. Darauf machten ihn ein paar Tage später Kollegen aufmerksam. Was er denn unternehmen solle, hat Milan D. sie gefragt. Zähl einfach zu dem Datum, das da steht, fünf Tage dazu, habe ihm ein Kollege geraten. Das hat Milan D. gemacht. Für den Empfänger hatte das üble Folgen: Das Amtsgericht hatte ihm einen Strafbefehl geschickt und ihm eine Einspruchsfrist gesetzt. Die war durch das falsche Datum abgelaufen. Dass er sich strafbar gemacht hat, weil er gegen Paragraph 348 verstoßen hat, sei ihm nicht bewusst gewesen, sagt der Angeklagte. Da heißt es: "Ein Amtsträger, der, zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt, innerhalb seiner Zuständigkeit eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet (. . . ) wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. " Er verliest eine Erklärung: Milan D. sei nur einen Tag im Briefzentrum ausgebildet worden, und damals habe man wenig Rücksicht darauf genommen, dass er noch viel schlechter deutsch sprach als heute. Anschließend habe ihn elf Tage lang ein Postler begleitet, aber da sei es eher darum gegangen, wie man Straßen und Hausnummern findet. Von einer hoheitlichen Aufgabe habe er nie gehört, auch nicht davon, welche Konsequenzen ein falsches Datum auf der Urkunde haben kann. Und erst recht nicht, dass er sich strafbar macht. "So viel Arbeit, so viel Stress", sagt Milan D. , "ich hatte einfach vergessen, das Datum einzutragen. Ich habe gar nicht gewusst, worum es geht. Es tut mir sehr leid, es passiert nie wieder. " Für ihn war die Urkunde einfach irgendein Formular.

Sein Verteidiger beantragt die Einstellung des Verfahrens, beißt aber bei Richterin Nicola Schwend und Staatsanwalt Gerhard Reichel auf Granit. "Ein klassischer Fall von vermeidbarem Verbortsirrtum", sagt Reichel, dem es zu simpel ist, den Schwarzen Peter der Post zuzuschieben. "Ob er es weiß oder nicht, spielt keine Rolle. " Denn Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Geregelt ist das im Strafrechts-Paragraphen 17: "Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe gemildert werden. " Sowohl Richterin als auch Anklagevertreter sind der Überzeugung, dass Milan D. den Irrtum vermeiden konnte. Er hätte statt zu einem Kollegen zu seinem Vorgesetzten gehen können. Oder hätte er damit seinen Job aufs Spiel gesetzt? Der Betriebsrat fühlt sich angesprochen: "Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, bei der Personalnot sind die froh über jeden Mitarbeiter. " Und Milan leiste sehr gute Arbeit. Der Staatsanwalt lässt Milde walten: Er beantragt 50 Tagessätze, damit hätte der Angeklagte wohl kein Problem bei der Einbürgerung. Die Richterin schließt sich an und reduziert die Tagessatzhöhe auf 30 Euro.

Ob die Post aus dem Vorfall Konsequenzen zieht? Das kann sich der Betriebsrat nicht vorstellen. Und auch nicht, dass in die Ausbildung intensiviert wird. "Die Qualität leidet mehr und mehr", klagt er.

ahh

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