Pfaffenhofen
Das Plastikmülldilemma

Wirtschaftlich unzumutbar: Duale Systeme ziehen gegen Umstellung auf Gelbe Tonne vor Gericht

16.04.2021 | Stand 23.09.2023, 18:00 Uhr
Haufenweise gelbe Säcke: Auf den Wertstoffhöfen im ganzen Landkreis türmt sich der Plastikmüll ähnlich wie hier in Ingolstadt. Gegen die geplante Umstellung auf das Holsystem zum 1. Januar 2022 ziehen die Dualen Systeme nun vor Gericht. −Foto: Richter

Pfaffenhofen - Eine unerwartete Hürde hat sich bei der Umstellung der Verpackungsmüll-Entsorgung im Landkreis Pfaffenhofen aufgetan: Die Dualen Systeme ziehen gegen den Umstieg vom Bringsystem mit Säcken auf ein Holsystem mit der Gelben Tonne vor Gericht. Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Vor allem könnte es Terminschwierigkeiten nach sich ziehen - und die Einführung der Gelben Tonne deutlich verzögern.

Der Kreistag fasste den Beschluss im Oktober vergangenen Jahres - vor dem Hintergrund, dass die im Verpackungsgesetz eingeforderte Recyclingquote bei der Sack-Variante nicht erfüllt wird. Seither hätte die Systemumstellung zum 1. Januar 2022 nur noch reine Formsache sein sollen. Eigentlich. Denn inzwischen haben - unter Federführung der Zentek GmbH - vier der insgesamt zehn zugelassenen Systeme für die Entsorgung von Leichtverpackungen juristische Schritte gegen die Umstellung eingeleitet. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie es in der Zentek-Begründung heißt. "Es geht vor Gericht", berichtet mit Elke Müller die Werkleiterin des Abfallwirtschaftsbetriebs (AWP) am Mittwoch im Werkausschuss. "Und wir Räte sind aus allen Wolken gefallen", ergänzt CSU-Kreisrat Manfred Russer. "Denn damit haben wir nun wirklich nicht mehr gerechnet."

Um das "Müll-Gate" im Landkreis einzuordnen, bietet sich eine gedankliche Exkursion in die Fußballwelt an. Als Kicker hat es Andi Brehme in die Geschichtsbücher geschafft. Im WM-Finale 1990 schoss der Linksverteidiger Deutschland per Elfmetertor gegen Argentinien zur Weltmeisterschaft. Und auch als Philosoph hat sich Brehme im kollektiven Gedächtnis verewigt. Zumindest wird ihm das Zitat "Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß" offiziell zugeschrieben, selbst wenn er es nie so gesagt haben sollte. Irgendwie passt Brehmes Aussage wie der sprichwörtliche Deckel auf die Mülltonne zum Plastikmülldilemma, das die Landkreisbürger seit Jahren umtreibt. Die schier unendliche Abfall-Geschichte wird nun um ein weiteres Kapitel fortgeschrieben, das Ende vergangenen Jahres kaum jemand für möglich gehalten hätte. Es ist fast so, als müsste Andi Brehme seinen Strafstoß zum 1:0-Sieg noch einmal verwandeln. Weil Sergio Goycochea, der ihm damals im argentinischen Tor gegenüberstand, Einspruch gegen die Wertung des Finals eingelegt hätte.

Irgendwie so muss sich Elke Müller inzwischen auch vorkommen. Seit Jahren zieht sich die Debatte hin. Im Mai 2014 gab es dazu einen Bürgerentscheid - parallel zur Europawahl. Eindeutig sprachen sich die Pfaffenhofener damals für die Säcke aus. Etwa 80 Prozent lehnten die zusätzliche Tonne ab. Die Recyclingquote war allerdings zu der Zeit noch überhaupt kein Argument. Im Grunde genommen ging es in der Debatte vorrangig darum, ob jemand sowieso regelmäßig zum Wertstoffhof fährt und die Säcke dann gleich mitnimmt - oder lieber die Bequemlichkeit einer weiteren Tonne bevorzugt.

Diese Faktengrundlage änderte sich Anfang 2019 mit dem neuen Verpackungsgesetz. Es warf die Problematik einer vorgeschriebenen Recyclingquote auf, die in Landkreisen mit Sack-Systemen meist vor sich hindümpelt, während Tonnen bei diesem ökologischen Aspekt viel besser abschneiden.

Also unternahm Elke Müller einen neuerlichen Vorstoß in Richtung Holsystem - und das neue, bunte Kreisbündnis unter Landrat Albert Gürtner (FW) rang sich Mitte vergangenen Jahres zur Müll-Revolution durch. Im September entschied der Kreistag, sich von den Säcken verabschieden zu wollen. Die CSU hätte zwar gerne noch einmal alle Landkreisbürger befragt - aber dagegen verwehrte sich das bunte Kreisbündnis. An der Notwendigkeit, den Sack in die Tonne treten zu müssen, zweifelt ohnehin kaum noch ein Kreisrat. "Wir haben die Einführung der Tonne beschlossen. Und wir stehen dazu - es gibt kein Zurück mehr", versichert sogar Manfred Russer als Sprecher der CSU-Räte im Werkausschuss.

Trotzdem kommt Landrat Gürtner nicht umhin, eine neuerliche Verzögerung zumindest als "möglich" zu bezeichnen. Die Dualen Systeme wollen die Gelbe Tonne im Landkreis wohl verhindern - anscheinend aus Kostengründen, teilt er mit. Wie es dazu kam, gibt selbst Gürtner und Elke Müller Rätsel auf. Während der Entscheidungsphase im vergangenen Jahr habe sich die zuständige Firma zwar verändert: "von Belland weg, zu Zentek hin", wie Müller ausführt. "Aber die Gespräche verliefen positiv, es war alles geklärt, es gab keine Probleme", fasst die Werkleiterin die Verhandlungen zusammen.

Gürtner fügt an, dass mit Zentek sogar vereinbart wurde, dass der AWP eine Rahmenvorgabe gemäß Verpackungsgesetz erlassen soll. Dieser Ausarbeitung wurde nicht widersprochen. Vielmehr erhielt der Landkreis von der Zentek GmbH eine Musterrahmenvorgabe, die vor dem Erlass mit der Entsorgungsfirma abgestimmt wurde, ergänzt Müller. Diese Rahmenvorgabe regelt Anzahl und Größe der Abfallbehälter für die Sammlung von Leichtverpackungsmaterialien, Styropor und Dosen, den vierzehntägigen Abfuhrrhythmus und die Erfassung und Abholung bei Einöden.

Den Dualen Systemen wurde diese Vorgabe Ende Januar zur Anhörung übersandt. "Und erst zwei Tage vor Ablauf der Frist teilte die Zentek GmbH mit, dass sie nun doch Klage einreichen wird", ergänzt Müller. Die Kosten für die Umstellung seien zu hoch, lautet der Einwand. Schließlich müsste Zentek als Ausschreibungsführer etwa 54 Prozent davon übernehmen. Müller kann die Zahlen, um die es geht, präzisieren. Bislang kostet die Entsorgung des Verpackungsmülls jährlich 410000 Euro. Die Zentek GmBH spricht nun davon, dass diese Kosten durch die Umstellung auf das Vierfache steigen werden. "Zieht man den Einmaleffekt der Tonnen-Anschaffung ab, bleibt dauerhaft immer noch das Dreifache an Kosten übrig - und das ist realistisch", so Müller. Dieser Mehraufwand sei für die Firma wirtschaftlich unzumutbar, heißt es - und daher sieht Zentek die Verhandlungen zur Einführung der Gelben Tonne im Landkreis als gescheitert an.

Ende Februar wurde vom AWP die Rahmenvorgabe per Sofortvollzug dennoch erlassen. Aufgrund dieses Bescheids sind bislang vier Klagen der Dualen Systeme - neben der Zentek GmbH klagen auch die Interseroh Dienstleistungs GmbH, die Landbell AG für Rückhol-Systeme und die Noventiz Dual GmbH - beim Verwaltungsgericht München eingegangen. Alle Antragssteller werden von einer Kölner Kanzlei vertreten.

"Für mich und den AWP ist nicht nachvollziehbar, weshalb trotz intensiver Gespräche plötzlich diese Kehrtwende eingetreten ist", sagt Landrat Gürtner. Die Kostensteigerung dürfte keine Überraschung gewesen sein, weil viele andere Körperschaften in den vergangenen Jahren von einem Bring- auf ein Holsystem umgestellt haben, so Gürtner weiter, der vom Verhalten der Zentek GmbH "sehr enttäuscht" ist, wie er mitteilt. Es sei unverständlich, dass in Nachbarlandkreisen ein Holsystem angeboten, in Pfaffenhofen aber Klage eingereicht werde.

Das Verwaltungsgericht ist nun am Zug. Ob die Tonnen Anfang 2022 wirklich vor den Häusern stehen, selbst wenn der Landkreis vollumfänglich Recht bekommt, ist fraglich. "Die Ausschreibung läuft jetzt zwar zweigleisig. Aber das Ganze pressiert ziemlich", meint Elke Müller. "Falls sich die Entscheidung hinauszögert, ist der Termin wohl kaum zu halten." In dem Fall sieht es eher danach aus, als müssten die Landkreisbürger ihren Verpackungsmüll für weitere drei Jahre in gelben Säcken zum Wertstoffhof bringen. Erst 2025 könnte ein weiterer Anlauf unternommen werden. Sicher weiß man es bei dem Thema aber nie. Denn frei nach Andi Brehme: "Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß!"

PK

Patrick Ermert