Pfaffenhofen
Eine Kalaschnikow am Richtertisch

Nach Schlägerei im Wald: Am zweiten Verhandlungstag geht es um die Waffensammlung des Angeklagten

13.12.2018 | Stand 25.10.2023, 10:23 Uhr
Das Griffstück eines solchen Kalaschnikow-Sturmgewehrs war bei dem Angeklagten sichergestellt worden. Der 41-Jährige will es legal auf einem Militaria-Flohmarkt gekauft haben. −Foto: Carsten Rehder/dpa

Pfaffenhofen (PK) Es kommt nicht oft vor, dass auf dem Richtertisch des Pfaffenhofener Amtsgerichts ein russisches Sturmgewehr liegt. Beim Fortsetzungstermin gegen Peter W., 41, (alle Namen geändert), der Jugendliche mit einer Axt verfolgt haben soll (PK berichtete), ging es jetzt vor allem um den zweiten Anklagepunkt, seine Waffensammlung.

Alle Prozessbeteiligten waren pünktlich zur Verhandlung erschienen: Richter, Protokollführerin, Staatsanwältin, der Angeklagte mit seinen beiden Verteidigern und als Sachverständiger ein Waffenexperte des bayerischen Landeskriminalamts. Nur einer fehlte: das Corpus Delicti, die Kalaschnikow, genauer: das Griffstück davon. Das hatten Polizisten bei einer Hausdurchsuchung bei Peter W. sichergestellt. Es wurde aus der Asservatenkammer der Ingolstädter Staatsanwaltschaft per Boten nachgeliefert.

Der Angeklagte macht keinen Hehl aus seiner Leidenschaft für Militaria: Er sammle militärische Ausrüstungsgegenstände, restauriere sie für Museen, verleihe sie zum Beispiel für Filmproduktionen und repariere Militärfahrzeuge. Das blieb auch den Beamten bei der Hausdurchsuchung nicht verborgen: Stahlhelme, Gasmasken und Repliken von Pistolen schmücken die Wände. Alles nicht verboten, wohl aber zwei Schlagringe, ein Butterfly-, ein Spring- und ein Fallmesser. Und zwölf Patronen. Das alles war in einem Raum entdeckt worden, den der verstorbene Vater des Angeklagten als Werkstatt benutzte. Peter W. will davon nichts gewusst haben. Der LKA-Waffenexperte inspiziert die Munition, die Amtsgerichtsdirektor Konrad Kliegl vor sich liegen hat. Gezündete Patronen zu besitzen ist nicht verboten, aber bei zweien ist der LKA-Mann unsicher. Das müsse er ausprobieren. Doch wohl nicht im Gerichtssaal? Mit einem der Verteidiger, einem Fachmann für Waffenrecht, fährt er während der Verhandlung nach Schweitenkirchen ins Schießkino. Ergebnis: Eine Patrone war tatsächlich scharf.

Das Griffstück der Kalaschnikow, sagt Peter W., habe er zusammen mit einer ganzen Kiste voller anderer Ersatzteile - leere Magazine, Verschlussträger - vor zwei oder drei Jahren für vielleicht 300 Euro ganz legal auf dem Militaria-Flohmarkt in Reichertshofen gekauft. Die Frage, die das Gericht zu klären hat: Lässt sich aus diesen ganzen Einzelteilen ein funktionsfähiges Sturmgewehr zusammensetzen? Deshalb hat der LKA-Mann in einem ausgepolsterten Hartschalenkoffer eine AK 74 SU, so die offizielle Bezeichnung der Waffe, mitgebracht. Mit blauen Gummihandschuhen nimmt er routiniert das Sturmgewehr vor Richter und Schöffen auseinander. Um den Lauf zu montieren (den Peter W. nicht besitzt) braucht es mehr als Schraubenzieher und Kombizange: Dazu sei eine Presse mit zehn Tonnen Druck notwendig. Letztlich geht darum: Sind die Ersatzteile, die der 41-Jährige gekauft hat, "wesentliche Waffenteile", die dann strafrechtlich wie Schusswaffen behandelt werden? Eine Frage, die niemand im Gerichtssaal mit Sicherheit beantworten kann. Denn das Griffstück passt wie der Verschlussträger auch zu einer "Langwaffe", und dann ist es kein "wesentlicher Waffenteil". Aber ganz davon abgesehen: Peter W. war damals auf dem Flohmarkt sicher, dass das Griffstück legal ist, weil darauf ein ganz offizieller "Deaktivierungsstempel" des Verteidigungsministeriums prangt. Das Dokument darüber kann er nicht vorlegen, das hat der LKA-Mann mitgebracht.

Für Hans Peter Lindner, einen der beiden Verteidiger, ist völlig klar: Sein Mandant ist vom Vorwurf des unerlaubten Waffenbesitzes freizusprechen. Das sei doch wie bei der Diesel-Schummelei: Der Besitzer bekommt eine Zulassungsbescheinigung, auf die er sich verlassen muss. Ginge es dagegen nach der Staatsanwältin, dann müsse er sich beim Hersteller erkundigen, ob das denn alles rechtens sei.

Auch Franz Kobinger, der Peter W. in der Sache um die Schlägerei und die Verfolgungsjagd im Wald vertritt, plädiert auf Freispruch. Wie berichtet, hatten die beiden Söhne des Angeklagten in dessen Waldhütte bei Pfaffenhofen Party gefeiert, als nach Mitternacht eine Gruppe ungeladener Gäste auftauchte. Als die sich nicht wegschicken ließen, rief einer der Söhne seinen Vater an. Der fing sich - so seine Darstellung - gleich einen Faustschlag ins Gesicht ein. Fünf gegen einen: Peter W. ging mit gebrochenem Nasenbein, blauem Auge und Schürfwunden ohnmächtig zu Boden. Die Zeugen der Gegenseite, gegen die ein Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist, wollen das ganz anders erlebt haben: Peter W. habe spontan zugehauen, aber eine anschließende Schlägerei will niemand beobachtet haben, auch nicht die vier Begleiterinnen der Jungs. Wohl aber, dass der Vater sie verfolgte und mit einer Axt auf ihr Auto, in das sie sich geflüchtet hatten, eingeschlagen habe. Obwohl: Dass es tatsächlich Peter W. war, hat niemand so genau gesehen.

Diese Version hatten die Zeugen am ersten Verhandlungstag fast wortgleich vor Gericht geschildert, auch wenn Richter Kliegl aus seiner Skepsis, dass die Aussagen möglicherweise abgesprochen sein könnten, keinen Hehl machte.

Jetzt hat er eine weitere Zeugin vorgeladen, eine der beteiligten jungen Frauen. Die 20-Jährige, die sich nach dem Vorfall in psychiatrische Behandlung begeben musste, hat einen Ingolstädter Anwalt als Rechtsbeistand mitgebracht. Sie ist erkennbar nicht so tough wie die bisherigen Zeugen. Auch sie habe von einer Schlägerei nichts mitbekommen, glaubt aber, eine Axt gesehen und ein Zischen wie von einem vorbeisausenden Speer gehört zu haben. Franz Kobinger, der Verteidiger, nimmt sie in die Mangel: Ob sie sich mit den bisherigen Zeugen abgesprochen habe und warum sie jetzt etwas anderes aussage als damals bei der Polizei. Der Rechtsbeistand flüstert ihr ins Ohr, antwortet für sie. Kobinger reagiert gereizt, umso mehr, als sich der Rechtsbeistand auf seinem Stuhl ins Blickfeld des Verteidigers schiebt, der die Zeugin jetzt nicht mehr sehen kann. Der Richter weist die beiden Anwälte zurecht, die 20-Jährige heult los ("Als ob ich lügen würde!"), Kobinger beantragt, sie zu vereidigen, was den Tränenfluss noch mehr anheizt. Das Gericht lehnt den Antrag ab, die Zeugin verlässt im Sturmschritt erregt den Sitzungssaal und knallt die Tür zu.

Im Gegensatz zur Verteidigung ist Staatsanwältin Verena März von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Es gebe keinen Grund, der Gruppe nicht zu glauben. Für beide Delikte fordert sie elf Monate Haft auf Bewährung, zusätzlich eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen von je 40 Euro und eine Geldauflage von 2000 Euro. Peter W. hat das letzte Wort: Auch wenn er eine Leidenschaft für Militaria habe, "ich bin ein friedliebender Mensch". Das Urteil wird am Dienstag gesprochen.
 

Albert Herchenbach