Wolnzach
Kein Pieps ist mehr zu hören

Tierischer Räuber hat rund 50 Meisenjunge aus den Nistkästen der Waldkindergartenkinder geholt

04.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:16 Uhr
Kein Geräusch mehr zu hören: Die kleine Sarah inspiziert mit Mama Kim einen der Nistkästen, die nun leer sind. −Foto: Trouboukis

Wolnzach (WZ) Das Kreischen der Jungvögel die lautstark Futter fordern, ist verstummt. Ein Blick in die Nistkästen, die während der Brüt- und Aufzuchtphase in Ruhe gelassen wurden, gab Gewissheit: Die vielen Vogelbabys, die heuer die Nistkästen der Wolnzacher Waldkindergartenkinder bevölkerten, sind weg. Als Übeltäter sehen die Waldkindergartenkinder den mutmaßlichen Räuber, einen Specht, jedoch nicht - trotz aller Trauer über das Sterben der Vogelbabys. Denn die Waldkinder wissen: Auch andere Tiere wollen einfach nur leben.

Es ist ein morgendliches Ritual, gleich nach dem Ankommen am Bauwagen an der luftigen Lichtung im Wald bei Stadelhof. Nach dem Morgenkreis und dem Begrüßungslied werden die Kinder und ihre Betreuerinnen still, ganz still. "Dann lauschen wir den Geräuschen im Wald", erklärt Kindergartenleiterin Aysel Zorbek. Welche Vögel zwitschern, wo knacken Äste, wie rauscht der Wind? Vor wenigen Tagen aber fehlte ein Geräusch: das laute Kreischen der rund 50 Meisenkinder, die die Nistkästen der Waldkinder bevölkerten. "Wir hatten heuer zum ersten Mal so viele Vogelbabys - und die waren ganz schön laut", so Zorbek. Die Nistkästen hängen das zweite Jahr - und waren voll. Fünf, sechs, ja sogar neun Meisenkinder in einem Nest forderten Futter, doch an diesem Morgen fehlte das laute Kreischen, war kein Ton zu hören.

Die Nistkästen in Ruhe lassen, diese Regel brachen die Betreuerinnen erst, als der Verdacht überdeutlich war: Irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas muss vorgefallen sein. Ein Blick brachte Gewissheit: Alle Nistkästen waren leer, herumliegende Flaumfedern auf dem Boden um die Bäume herum und in den weich gepolsterten Nestern zeugten vom Raubzug eines anderen Tieres, das sich die Jungvögel offensichtlich einverleibt hatte.

Ein Marder? Eine Möglichkeit, die auch Max Weichenrieder nicht grundsätzlich ausschließt. Weichenrieder ist Landwirt auf dem Hof, der den Kindern immer wieder als Unterschlupf dient, Jäger und als Ehemann von Kindergarten-Teammitglied Regina in engem Kontakt mit dem Waldkindergarten. "Jungvögel gehören freilich zur Beute von Mardern", sagt er. Ein Marder könnte es also gewesen sein. Jedoch hält auch Weichenrieder - wie auch die Erzieherinnen und Pflegerinnen - eine andere Möglichkeit für wahrscheinlicher, auch aufgrund der Spurenlage: Ein Nistkasten weist nämlich deutlich erkennbare Hackspuren am Eingangsloch auf. Die These: Ein Specht könnte durch Klopfen die Vogelbabys zum Strecken ihrer Hälse veranlasst und mit seinem langen Schnabel die Vogelbabys dann herausgeholt haben.

"Die Kinder waren natürlich schon sehr traurig", beschreibt Aysel Zorbek die Stimmung danach. Aber wie mit allen Dingen, die in der Natur vorkommen, sei das Team auch mit dem offensichtlichen Tod der Vögel so umgegangen, wie es eben angebracht sei - ehrlich und natürlich. "Wir haben den Kindern erklärt, dass alle Tiere essen und vielleicht selbst auch Babys ernähren müssen." Das Fehlen der Vogelkinder sei zwar nach wie vor Thema, so aber ganz gut verarbeitet worden.

Trotzdem soll sich etwas ändern in Zukunft, damit der Specht oder wer auch immer sich nicht gerade diese Vogelbabys als Nahrung aussucht: Die Nistkästen sollen vor Räubern geschützt werden. Wie, das ist im Moment aber noch die ganz große Frage.

Karin Trouboukis