Pfaffenhofen
Zwischen Euphorie und Existenzangst

Rekordumsätze auf dem Wochenmarkt, Schausteller vor dem Aus: Wie sich die Krise auf Kleinunternehmer und Fieranten auswirkt

08.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:34 Uhr
Obst- und Gemüsebauer Thomas Geistbeck freut sich über Rekordumsätze. −Foto: Herchenbach, privat

Pfaffenhofen - Zuerst die gute Nachricht, auch wenn sie nicht so klingt: "Wir sind am Ende", sagt Thomas Geistbeck, Obst- und Gemüsebauer aus Brunnen, wenn man ihn an seinem Stand auf dem Pfaffenhofener Wochenmarkt fragt, wie's denn so läuft.

 

"Ich weiß nicht, wie wir das schaffen sollen, es geht an die Substanz. " Droht etwa der finanzielle Ruin, weil die Kundschaft wegen Corona wegbleibt? Im Gegenteil, sagt Geistbeck. "Wir haben Rekordumsätze, 50 Prozent plus und mehr - ich habe zwei zusätzliche Verkäuferinnen eingestellt. "

Tatsächlich ist derzeit der Wochenmarkt bestens besucht. Kein Vergleich zum Samstag vor zwei Wochen, dem ersten Tag der Ausgangsbeschränkungen, als sich gerade mal ein paar Dutzend Käufer auf dem Hauptplatz verliefen. Alle Händler klagten damals, die Umsätze brachen dramatisch weg. Jetzt völlig unerwartet die Kehrtwende: Im Abstand von zwei, drei Metern warten die Pfaffenhofener in langen Warteschlangen geduldig vor den Marktständen.

 

Was ist da passiert? Geistbecks Vermutung: "Die Leute brauchen mehr Lebensmittel, sie sind mit den Kindern daheim, und die Mütter im Homeoffice entdecken den Wochenmarkt. " Der andere Grund: Hier kann man sehr viel besser die Sicherheitsdistanz zu anderen Kunden einhalten als im Supermarkt. "Und beim Obst und Gemüse", sagt eine Kundin, die sich gerade die Tasche mit Tomaten füllen lässt, "kann man davon ausgehen, dass es niemand anders als die Standverkäufer angefasst haben. "

"Es läuft prächtig", freut sich auch Rudi Goeritz aus Abensberg, der schon seit vielen Jahren mit seinem Verkaufswagen auf dem Wochenmarkt Käse anbietet. "Es kommen plötzlich Leute, die ich nie zuvor gesehen habe. Aber ich hab' gerade nicht viel Zeit zum Reden", sagt er mit Blick auf die Warteschlange. "Aber das will ich noch sagen: Die Politiker schüren Panik. " "Die Politik", ärgert sich Richard Fischer, ÖDP-Stadtrat und Referent für Volksfeste, Märkte und Dulten, "redet immer nur von Supermärkten, wenn es um die Grundversorgung der Bevölkerung geht. Von Märkten, Obst- und Gemüseläden ist nie die Rede. "

 

Nicht alle haben Grund zum Jubeln. Der Platz, wo sonst der Wurstimbiss steht, ist leer, "weil dort die Leute in Gruppen zusammenstehen", rechtfertigt eine Sprecherin der Stadtverwaltung die Entscheidung. Und auch die Gärtnereien fehlten in den ersten beiden Wochen: Erst seit Dienstag dürfen sie wieder auf den Wochenmärkten verkaufen. Für Peter Siegl wäre es eine Katastrophe gewesen, wenn der Verkaufsstopp nicht aufgehoben worden wäre. Seine Gewächshäuser in Pörnbach sind voll mit Primeln, Goldlack oder Stiefmütterchen. Die Frühblüher hätte er kompostieren müssen, "weil ich den Platz für die Sommerblumen brauche". Sehr bitter wäre das gewesen: "Im vergangenen August habe ich Ranunkel gepflanzt, sie getopft, über den Winter gebracht, gewässert und gehätschelt, Auslagen für Heizung, Töpfe und Erde gehabt - und jetzt war ich kurz davor, sie wegzuwerfen. Die Hälfte meines Umsatzes mache ich auf den Wochenmärkten. " Vor dem K. o. -Schlag sind die Gärtner gerade noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen: Fast 70 Prozent des Jahresumsatzes erwirtschaftet Siegl im April und Mai. Und deshalb ärgert es ihn, dass Supermärkte Blumen und Pflanzen verkaufen durften und es keine einheitliche Regelung für ganz Deutschland gibt. Denn in vielen Bundesländern, etwa Nordrhein-Westfalen, bleiben Gärtnereien geöffnet.

Existenzbedrohend ist die Situation für die Fieranten. "Es wird immer weniger, wir geraten immer mehr an den Rand des Abgrunds", erklärt Siegfried Schön, "Steckerlfischkönig" und Schaustellersprecher des Pfaffenhofener Volksfestes. Im Januar/Februar war Fangsaison für Makrelen, 15 Tonnen hat Schön geordert und bezahlt. Jetzt sind nicht nur die Fische auf dem Trockenen: Die traditionellen Fischessen der Vereine an Karfreitag, der Freiwilligen Feuerwehren, der Sportvereine sind alle abgesagt, die kommenden Volksfeste etwa in Markt Indersdorf oder Ingolstadt gestrichen. Und ob das Pfaffenhofener Volksfest im September stattfindet, kann auch Richard Fischer nicht sagen. Es werde ja ganz sicher nicht so sein, glaubt er, dass nach dem Ende der Ausgangsbeschränkungen das gesellschaftliche Leben sofort wieder von Null auf Hundert hochgefahren werde.

 

Der größte Teil seines Umsatzes, sagt Schön, bricht für ihn weg. 15 000 Euro Soforthilfe bekomme er, doch das reiche bei weitem nicht aus. "Aber ich bin froh über jeden Euro. " An seinem Grillmobil bietet er am Karfreitag Makrelen, Forellen und Saiblinge in Pörnbach, Pfaffenhofen und Reichertshausen an den bekannten Plätzen an - wenigstens etwas.

Schön allerdings sorgt sich um die gesamte Branche. 5300 Schausteller-Unternehmen mit 32000 Beschäftigten gibt es in Deutschland. "Nach meiner vorsichtigen Schätzung werden 60 Prozent die Krise nicht überleben. " Halbleere Volksfestplätze - ein Albtraum. "Eine 1200 Jahre alte Tradition, ein Weltkulturerbe, steht vor dem Aus. "

 

Schlaflose Nächte hat Mike Dräger, der mit seinem Bruder Joey auf dem Pfaffenhofener Volksfest neben der Schiffschaukel und der Kindereisenbahn auch einen Schieß- und Spickerwagen betreibt. "15 Fahrzeuge", so Dräger, "müssen unterhalten werden: Die Versicherungen, die TÜV-Termine, all das läuft ja weiter. Das ist ein Rattenschwanz, und der zieht sich durch. " Die Einnahmen aus den Weihnachtsmärkten seien aufgebraucht, und jetzt ist das Oster- und Pfingstgeschäft geplatzt. "Unsere Kindereisenbahn", so der Schausteller, "ist von 1924, die fährt jetzt in der vierten Generation, da hängt mein Herzblut dran. " Ob sie eine fünfte Generation erlebt, steht in den Sternen. 9000 Euro, sagt Dräger, bekomme er als Soforthilfe, "das reicht für einen Monat".

Seit über 30 Jahren ist Fritz Thalkofer auf dem Pfaffenhofener Volksfest mit seinem Kettenkarussell vertreten. Die Feste an Ostern sind nun abgesagt, aber Thalkofers Frau Barbara hofft auf das Pfingstvolksfest in Ingolstadt, auch wenn es wohl eher ein Wunschdenken ist. "Wenn jetzt draußen die Sonne scheint, da werde ich ganz kribbelig. " Vielleicht wird's ja noch was. "Die Hoffnung", sagt sie, "stirbt zuletzt. "

PK