"Sucht macht keine Corona-Quarantäne"

Ute Floet vom Suchthilfeverein Prop über den Einfluss der Pandemie auf ihre Hilfsangebote

15.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:37 Uhr
Glücksspiel, Drogen, Alkohol: Für Suchtkranke ist die Situation während der Coronakrise besonders belastend. Im Interview erklärt Ute Floet vom Suchthilfeverein Prop, was die Therapeuten machen, damit ihre Klienten nicht wieder abrutschen. −Foto: Warmuth/Berg/Heinl, dpa

Pfaffenhofen - Die Ausgangsbeschränkungen wegen der Coronaepidemie in Bayern sind ein besonderes Problem für Menschen mit Alkohol- oder anderen Suchterkrankungen. So können zum Beispiel keine Gruppentreffen stattfinden, in denen sich die Betroffenen gegenseitig in ihrem Verzicht auf Alkohol oder Drogen bestärken. Die Psychologin Ute Floet vom Suchthilfeverein Prop erklärt im Interview, wie ihre Klienten mit der Ausnahmesituation umgehen und welche Wege die Therapeuten gehen.

 

Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice, Zukunftssorgen: die Coronakrise hat einen großen Einfluss auf unser Leben. Leiden Suchtkranke ganz besonders unter der Situation?

Ute Floet: Sucht macht keine Corona-Quarantäne. Sucht ist immer noch vorhanden, ist immer noch da. Es sind jetzt nur ganz andere Umstände.

Melden sich jetzt mehr Menschen bei Ihnen, weil sie mit der Situation nicht umgehen können?

Floet: Natürlich merken wir, dass sich manche leichter und manche schwerer damit tun. Aber im Endeffekt ist es nicht anders als sonst auch.

Von welchen Problemen berichten Suchtkranke Ihnen in Zeiten der Coronakrise?

Floet: So unterschiedlich wie die Lebenswelten von uns sind, so unterschiedlich sind jetzt auch die Herausforderungen. Manche, deren Berufe als systemrelevant eingestuft sind, arbeiten extrem viel, die machen Überstunden. Manche sind im Homeoffice mit Kind und Kegel und sind da ganz anderen Herausforderungen ausgesetzt. Wieder andere sind in Kurzarbeit und warten auf das Go vom Arbeitgeber, dass sie wieder starten können. Und manche haben natürlich auch Existenzängste, weil sie arbeitslos geworden sind oder das Geschäft schließen musste. Die wissen nicht wie es weitergeht und wie es finanziell aussieht. Wie kann ich meine Raten zahlen? Es sind Herausforderungen mit denen Suchtkranke genauso umgehen müssen, wie alle anderen auch.

Können Sie Ihre Angebote noch normal anbieten?

Floet: Normalerweise ist es so, dass wir mit unseren Klienten persönlich in Kontakt stehen, das ist jetzt nur in veränderter Form möglich. Weil wir uns und andere schützen wollen. Deshalb haben wir auf Online- und Telefonberatung umgestellt. Das ist eine neue Herausforderung. Aber es klappt eigentlich ziemlich gut und wird gut angenommen. Man groovt sich so ein bisschen ein. Seit letzter Woche haben wir auch die Möglichkeit, eine Live-Videoberatung zu machen. Und das klappt auch gut. Wenn aber ein Klient sagt, er hat eine Krise und braucht einen persönlichen Kontakt, dann machen wir das nach Absprache in individuellen Fällen auch. Wir müssen natürlich die Hygienerichtlinien einhalten. Aber es ist in Ausnahmefällen möglich.

Aber alles in allem scheint es ganz vernünftig zu funktionieren...

Floet: Wir beweisen alle ein Stück Flexibilität und Durchhaltevermögen und es klappt auf beiden Seiten ziemlich gut.

Werden die Beratungsangebote genauso gut angenommen wie vor der Coronakrise? Oder merken Sie sogar einen Anstieg, jetzt wo viele Menschen mehr Zeit zu Hause verbringen?

Floet: Es ist so, dass wir Anrufer haben, die gar nicht auf dem Schirm hatten, dass wir überhaupt noch arbeiten. Die sind dann positiv überrascht, dass wir überhaupt arbeiten und dass wir auch noch einen persönlichen Kontakt wahrnehmen können. Zu den bestehenden Klienten versuchen wir wöchentlich Kontakt zu halten. Dass wir diejenigen auch stabilisieren. Die wurden ja auch in ganz andere Lebensrealitäten reingeschmissen. Wir versuchen unser Angebot anzupassen und dazu zu motivieren, durchzuhalten. Da müssen wir uns neue Strategien überlegen. Auch wie wir über die Onlineplattform Gruppen einrichten - echte Gruppenstunden haben wir ja jetzt nicht mehr. Aber wir haben uns ziemlich gut darauf eingestellt und unsere Klienten auch.

Wie ist es denn beim Thema Glücksspiel, jetzt wo alle Wettbüros geschlossen haben? Verschiebt sich das noch mehr in Richtung Internet?

Floet: So eine Verschiebung wäre möglich und auch wahrscheinlich, Zahlen gibt es da aber noch keine. Aber Fakt ist, sich die Zeit mit zocken und wetten zu vertreiben war schon immer eher für die Anbieter lukrativ.

Es wurden von Bund und Ländern milliardenschwere Hilfsprogramme beschlossen. Kommt da auch was bei den Suchtkranken an oder werden die vergessen?

Floet: Es ist so, dass unterschiedliche Rettungsschirme aufgespannt wurden, unter anderem auch für soziale Einrichtungen. Damit wir weiterhin das Suchthilfesystem aufrecht erhalten können, damit wir weiterarbeiten können und wir Suchtkranke unterstützen können. Da muss natürlich auch viel den aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Aber aktuell reagieren die Kostenträger flexibel und wohlwollend.

Das ist doch eine gute Nachricht.

Floet: Auf jeden Fall.

Wenn Sie mal in Ihren Gesprächserinnerungen kramen. Wie gehen die Suchtkranken selbst mit der Situation um? Sind sie sich einer Gefahr bewusst?

Floet: Die einen nehmen das auf eine etwas leichtere Schulter, aber ich würde nicht sagen, dass sie das verharmlosen. Sie sagen, ist halt so, ist schon immer gut gegangen, das wird schon wieder. Andere sind ängstlicher.

Schlägt es sich auf das Suchtverhalten nieder, wenn jemand ängstlich oder schlecht drauf ist? Geraten die dann in Versuchung, wieder mit dem Trinken anzufangen?

Floet: Es gibt welche, die sagen, wenn ich jetzt was trinke, ist es aus. Das kann ich mir jetzt nicht leisten. Ich muss für meinen Mann da sein, ich muss für meine Kinder da sein. Ich habe andere Probleme als jetzt auch noch zu trinken. Und es gibt andere, die sagen, jetzt ist's eh schon wurscht. Das sind die Extreme und dazwischen ist ganz viel. Aber viele, mit denen wir in Kontakt sind, sagen: "Boah, ich bin voll stolz, ich halt das hier echt gut aus. Auch wenn die ganze Familie aufeinander hockt. Ich halte es aus." Das ist echt schön.

Welche Gefahren birgt die gegenwärtige Situation für Suchtkranke, die nach einer stationären Therapie wieder zurück in ihrem gewohnten Umfeld sind - ein Umfeld, das momentan gar nicht so gewohnt ist? Dem Umfeld, in dem die Sucht oft begonnen hat.

Floet: Das ist eine schwierige Situation. Aber da unterstützen wir auch. Wir haben dafür Nachsorgeangebote. Wer aus einer stationären Therapie entlassen wird, kann sich an uns wenden. Dann begleiten, betreuen und behandeln wir die ganz normal weiter. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir erreichbar sind. Weil das Leben geht ja weiter.

Worauf müssen Suchtkranke denn besonders achten?

Floet: Wichtig ist eine Tagesstruktur. Bei einigen fällt die Arbeit weg, sie sind in Kurzarbeit oder im Homeoffice. Da schlafen viele aus und irgendwann wird's ihnen fad. Dann wird es gefährlich. Und deswegen ist es ganz wichtig, dass man eine Tagesstruktur etabliert. Das ist das A und O. Wenn die Arbeit wegfällt, sollte man sich anders strukturieren. Zu einer bestimmten Zeit spazieren gehen, zu einer bestimmten Zeit mit jemanden telefonieren. Im Homeoffice schon in der Früh an den Rechner setzen. Das ist vor allem für Leute wichtig, die von der stationären Reha kommen oder die eh ein bisschen wacklig sind. Die ein bisschen Halt brauchen. Lagerkoller kann natürlich mal eintreten, den haben wir alle gerne mal. Hier scheinen Spaziergänge und sportliche Aktivitäten im Moment gute Alternativen zu sein, um sich einen Tapetenwechsel zu gönnen.

Severin Straßer