Wolnzach
Sie lassen sich das Pilgern nicht verbieten

Nach Absage der Wallfahrt ziehen viele auf eigene Faust nach Altötting - zu Fuß oder mit dem Rad

06.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:35 Uhr
Eine "lieb gewonnene Tradition" ist die Wallfahrt für Jürgen Ostermeier, Michael Weichselbaumer, Josef Peter und Alois Escheu - weshalb die vier heuer zumindest eine kleine Teilstrecke absolvierten, hier auf dem Pilgerweg zwischen Pleiskirchen und Altötting. −Foto: Josef Peter

Wolnzach - "Wenn die Zeit kommt, dann steigt der Puls." Mit "die Zeit" meint Gerhard Petz aus Osseltshausen das erste Wochenende im Oktober, das bei ihm immer fest verplant ist - wie bei vielen anderen Pilgern auch, die dann ihren Rucksack schultern, die Wanderschuhe schnüren und sich auf den 115 Kilometer langen Fußmarsch von Wolnzach nach Altötting machen. "Das gehört zum Jahr einfach dazu", sagen sie. Mit dem Gedanken, dass das heuer anders sein soll - die Fußwallfahrt wurde im Juli wegen der Corona-Pandemie abgesagt - konnten sich deshalb viele nicht anfreunden.

 

Auch Gerhard Petz nicht, der sich mit sechs Gleichgesinnten deshalb am vergangenen Wochenende privat auf den Weg zur Gnadenmutter machte. Alternativen haben auch andere Pilger gefunden: Während die einen die komplette Strecke zu Fuß absolvierten, legten manche nur einzelne Etappen zurück oder machten aus der Fußwallfahrt eine Radwallfahrt.

Warum Gerhard Petz überhaupt ein leidenschaftlicher Fußwallfahrer geworden ist, hat einen sehr persönlichen Beweggrund: Sein heute 14-jähriger Sohn kam als Frühchen zur Welt, wog gerade mal 790 Gramm und schwebte zwischen Leben und Tod. Zur Gottesmutter habe er persönlich immer schon einen Bezug gehabt, sagt Petz. "Nachdem alles gut ausgegangen war, wollte ich deshalb unbedingt nach Altötting gehen." Das tat er dann auch - und seit 2007 jedes Jahr wieder. Als heuer im Juli die Absage kam, war er sich mit einem Freund, der Gruppenführer bei der Wallfahrt ist, schnell einig: "Wir gehen auf alle Fälle trotzdem." Fünf weitere langjährige Gefährten waren ebenfalls gleich dabei, so dass es letztlich sieben Pilger waren, die sich in der Nacht auf vergangenen Freitag auf den Weg machten, begleitet von einem Kleinbus, den sie abwechselnd lenkten. Lediglich die erste Etappe war aufgrund des Starts in Osseltshausen abgewandelt, ansonsten hielt man sich an den bewährten Strecken- und Zeitplan der Wallfahrt. "Etwas freier" gestaltete die Gruppe dagegen das Beten. "Wir haben zum Beispiel öfter gesungen", erzählt Petz. Zudem hat die Gruppe an jedem Wegkreuz oder Marterl am Rand Halt gemacht und ein stilles Gebet gesprochen.

Schnell beantwortet ist die Frage nach dem Vorteil einer kleinen Gruppe : "Entspanntere Klopausen", sagt Petz lachend. Auch nehme man die Umgebung und die Natur viel aufmerksamer wahr als beim Laufen in der großen Menge. "Da kennt man ja meist nur die Schuhe seines Vordermanns." Und der Nachteil? "Die Organisation", sagt Petz. "Die ist ein enormer Aufwand. Da merkt man wirklich, was die Verantwortlichen der Wallfahrt leisten."

Als Gerhard Petz und seine Begleiter am Sonntag um 13 Uhr auf den Kapellplatz in Altötting einzogen, das Lied der "Schwarzen Madonna" singend, war das für die sieben ein "Gänsehaut-Moment" und sehr berührend - und trotzdem nicht vergleichbar mit dem üblichen Einzug, bei dem Menschenmassen am Wegrand stehen und die Pilger empfangen. Kein Glockengeläut, kein Orgelspiel - das alle habe gefehlt, so Petz. Genauso die unterschiedlichen Begegnungen und Gespräche, die das Pilgern mit über 1000 Menschen mit sich bringt. "Manche Leute triffst du nur einmal im Jahr beim Wallfahren", so Petz.

Dieses Gemeinschaftserlebnis vermissten auch Hans Lichtl und Margit Rudnitzky aus Wolnzach: Die beiden pilgerten am Wochenende ebenfalls auf eigene Faust nach Altötting - allerdings mit dem Fahrrad. Der coronabedingten Absage konnten sie damit sogar noch etwas Gutes abgewinnen. Zu Fuß wäre Margit Rudnitzky nämlich aufgrund von Knieproblemen nicht mitgegangen. Das "Altöttingwochenende" ist bei ihm im Kalender stets fest eingetragen, deshalb war Hans Lichtl schnell klar, dass heuer eine Alternative her musste. Noch dazu wäre er heuer das 40. Mal mitgelaufen. Nun ist er eben geradelt: Am Freitag ging es bis Langenvils zum Übernachten bei den langjährigen Quartiergebern. Am Samstag erreichten die Rad-Pilger dann am späten Mittag Altötting. Zurück ging es nach dem Gottesdienst wieder mit dem Rad bis Tegernbach zum zweiten Nachtquartier und dann am Sonntag mit Bahn und Rad über München und Rohrbach nach Wolnzach.

Auch auf dem Drahtesel war der Pilgerweg übrigens kein Zuckerschlecken: "Überraschenderweise war es genauso anstrengend wie zu Fuß", berichten Lichtl und Rudnitzky. Das lag zum einen an dem heftigen Wind am Freitag, zum anderen an der Tatsache, dass sie letztlich doch stolze 145 Kilometer zurücklegten, unter anderem weil sie die Bundesstraßen umfahren mussten. Mit positiven Gefühlen kamen beide dennoch nach Hause: "Es war schön, den Kontakt zu den Quartiergebern zu halten und die Tradition auch in der momentanen Situation weiterleben zu lassen", sagen sie.

Von einer "lieb gewonnenen Tradition" sprechen auch Jürgen Ostermeier aus Rohrbach, Josef Peter aus Au, Alois Escheu aus Geisenfeld und Michael Weichselbaumer aus St. Kastl. Die vier sind erfahrene Wallfahrer, haben die Strecke teils schon 20 Mal zurückgelegt. Auch sie suchten sich heuer eine Alternative, "weil sonst was abgeht", so Jürgen Ostermeier. Sie entschieden sich, am Samstag zumindest 15 Kilometer zu pilgern, nämlich die Etappe von Pleiskirchen bis Altötting. Ihre Erfahrung: "Es kommt nicht nur auf die Strecke oder die Dauer an, sondern, dass man gemeinsam unterwegs ist", so Ostermeier.

Weil die Füße nach der Mini-Wallfahrt nicht so schmerzten wie sonst, erkundeten die vier Pilger nach ihrer Ankunft und der Mitfeier eines Gottesdienstes in der Basilika noch Altötting - etwas, zu dem ansonsten nach einem dreitägigen Gewaltmarsch schlichtweg Zeit und Lust fehlen. Ungewohnt ruhig sei es in dem Wallfahrtsort gewesen, berichten sie. "Ganz anders als sonst." Trotz kleiner Gruppe und kurzer Strecke konnten die vier das spüren, was Wallfahren für sie so wertvoll macht. "Nach Altötting gehen, das heißt den Kopf frei kriegen und den Gedanken nachgehen", so Ostermeier. Und: "Es ist auch ein Glaubensbekenntnis", sagt Alois Escheu. Wie viele Pilger wollten sie ihre Sorgen und Bitten, aber auch ihren Dank vor Maria tragen - "gerade heuer".

Klaus Nöscher, Pilgerführer der Hallertauer Fußwallfahrer, kann das gut verstehen. Auch er wollte am ersten Oktober-Wochenende unbedingt in Altötting sein: "Für mich war klar, da muss ich hin." Deshalb legte er am Sonntag mit einer kleinen Gruppe wenigstens die allerletzte Etappe ab Engfurt zurück, die gut zweieinhalb Stunden dauert. Er habe auf diese Weise auch die Absage der Wallfahrt verarbeiten wollen, die nicht leicht gefallen sei. "Aber es war für alle klar, dass es einfach nicht geht heuer", so Nöscher. "Gut, dass wenigstens ein bisschen was machbar war", sagt er über die kleinen Gruppen, die sich in Eigeninitiative auf den Weg machten. Wie viele Leute es waren, könne er nicht genau beziffern. "Aber ich habe schon einiges mitbekommen." Das zeige ihm, wie wichtig den Menschen die Wallfahrt und das gemeinsame Unterwegssein ist. Schon deshalb hofft er, dass die Wallfahrt 2021 stattfinden kann. "Ob das in der gewohnten Form ist, muss man abwarten. Aber wir werden unser Möglichstes tun."

Dass sie nächstes Jahr wieder alle gemeinsam unterwegs sein können, wünschen sich auch die, die heuer auf eigene Faust pilgerten. Sie sind sich einig: Unter den momentanen Umständen war es eine gute Alternative und schöne Erfahrung, aber es ersetzt nicht die gewohnte Wallfahrt. "Die wollen wir nicht missen."

WZ

 

Katrin Rebl