Geisenfeld
Mehr Anfälle seit Corona-Beschränkungen

Maxi Pfliegler ist Epileptiker - und seine Eltern durch die gegenwärtige Situation enorm belastet

20.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:31 Uhr
Die Familie Pfliegler aus Holzleiten - hier Vater Peter, der an Tetrasomie 15 leidende Maxi und Mutter Renate - hat aufgrund der herrschenden Corona-Beschränkungen momentan eine enorme Last zu tragen. −Foto: privat

Geisenfeld - Mit Blick auf die Infektionsgefahr und eine potenzielle Überlastung der Gesundheitssysteme ist die bis zum 11. Mai fortgeführte Schließung von Kitas und vieler sonstiger Betreuungseinrichtungen eine von den meisten Bürgern akzeptierte Einschränkung. Auch die Familie von Renate und Peter Pfliegler aus Holzleiten sieht die Notwendigkeit ein. Gleichzeitig aber steht sie - wie viele andere Eltern mit einem behinderten Kind - durch die Regelungen vor einer enormen Herausforderung.

 

Maxi ist 25 Jahre alt und wegen seiner Erkrankung - er leidet unter dem Gendefekt Tetrasomie 15 - geistig auf dem Stand eines Kleinkindes. Wegen vielfacher sonstiger Einschränkungen braucht er im Alltag rund um die Uhr eine intensive Betreuung. "Tagsüber ist er normalerweise in der Förderstätte in Hohenwart untergebracht, wo er halbtags in einer Arbeitsgruppe einfache Tätigkeiten verrichtet", erzählt seine Mutter Renate. Die Einrichtung ist nun aber wegen des Corona-Virus geschlossen, Maxi also daheim. "Das erste Problem für uns ist, dass er nicht versteht, warum er derzeit nicht nach Hohenwart darf", erklärt die Pflegehelferin, die ihren eigenen Job auf Eis gelegt hat, um für das Kind da sein zu können.

Dass er nicht einmal im Dorf bei den Nachbarn vorbeischauen kann, will dem freundlichen, kontaktfreudigen jungen Mann nicht eingehen. Vorschriften wie "zwei Meter Mindestabstand" kann er nicht erfassen. Und so fühlt er sich bei Ermahnungen persönlich zurückgewiesen, was ihn in Kombination mit der häuslichen Quarantäne zusätzlich stresst, ja emotional verletzt. "Als Epileptiker, der medikamentös nicht einstellbar ist und bei dem auch der Vagus-Stimulator, eine Art Hirnschrittmacher, nicht die erwünschte Wirkung gebracht hat, reagiert er auf veränderte Lebenssituationen sehr sensibel", meint seine Mutter, die beobachtet, dass ihr Sohn "seit Beginn der Regelung immer häufiger Anfälle bekommt - bis zu zwei Mal täglich und das mehrfach die Woche". Eine enorme psychische Belastung für die 56-Jährige, die im Haus auch noch die 87-Jährige Mutter betreut. Renate Pfliegler sieht sich in einer ähnlichen Situation wie jene, die zum Beispiel normalerweise ihre Angehörigen in einer Tagespflege-Einrichtung untergebracht haben. "Und nun neben der Berufstätigkeit auch noch pflegebedürftige, möglicherweise sogar demente Angehörige versorgen müssen", fügt sie an.

Um die Seniorin in ihrem eigenen Haushalt, die ja zur Risikogruppe zählt, macht sie sich besonders Sorgen. Der Grund: "Mein Mann und meine beiden anderen Kinder sind allesamt hauptamtlich im Rettungsdienst tätig, haben dadurch ja wesentlich mehr Kontakt zu möglicherweise Infizierten und damit auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, selber unerkannt das Virus mit nach Hause zu bringen", berichtet Renate Pfliegler. Deshalb würde sie, selbst ohne den behinderten Sohn, derzeit - auch wenn das Geld am Ende des Monats abgeht - nicht ihrem 450 Euro-Job in einer Altenpflegeeinrichtung nachgehen wollen. "Weil ich keinem älteren Menschen die Erkrankung einschleppen möchte."

Peter Pfliegler Mann ist Rettungsassistent, die Tochter Rettungssanitäterin, der zweite Sohn Rettungshelfer und damit im Wortsinn sehr viel "näher dran" am Thema Corona, als so manch anderer Bürger. Schon immer sei ihre Arbeit mit einem gewissen Risiko verbunden. "Weil man ja auch ohne das neue Virus nie genau weiß, ob ein Patient nicht möglicherweise eine infektiöse Krankheit hat", berichtet der Holzleitener, der für die Initiative Lebendiges Miteinander erst kürzlich zum zweiten Mal in den Stadtrat gewählt worden ist. Vielen Menschen sei diese Gefährdung aber erst jetzt so richtig bewusst geworden - und man spüre seitens der Bevölkerung schon eine gewisse Dankbarkeit, "dass wir an vorderster Front kämpfen".

Aber Pfliegler fürchtet, nach der Krise werde man schnell nicht mehr als "Helden des Alltags" bejubelt, so der 58-Jährige, der sich eine nachhaltigere Anerkennung wünschen würde. Und zwar eine, die sich "in einer positiven gesellschaftlichen Wahrnehmung des gesamten pflegerischen Berufsstands einerseits, aber andererseits auch in der gerechten Entlohnung" widerspiegle. Auf den ersten Blick sei der jüngst vom Staat beschlossene Sonderbonus von einmalig 500 Euro für ihn und seine Kollegen eine "nette Geste" gewesen. Bei genauerem Hinschauen empfinde er diese aber im Vergleich zu anderen Berufsgruppen "fast als Hohn". Mitarbeiter eines namhaften Autoherstellers dürfen derzeit bei 95-prozentigem Lohnausgleich in Kurzarbeit gehen - wovon seines Wissens 60 Prozent der Staat übernehme. Während das Gesundheitssystem unter der Belastung ächze, dürfe sich die Pkw-Industrie freuen, dass sie ihre schon vor Corona eingeläutete Umsatzflaute auf Kosten der Steuerzahler überstehe. "So viel Solidarität wäre auch für Rettungsdienste, Altenheime und Kliniken ein schönes Zeichen", denkt er mit Blick auf den in diesem Bereich seitens der Politik gefahrenen Sparkurs. Er wolle keinesfalls eine Neiddebatte vom Zaun brechen, betont Pfliegler, sondern wünsche sich schlicht, dass "in der öffentlichen Wahrnehmung vor Corona nicht hoch angesiedelte Berufe, auch außerhalb des Gesundheitsbereichs, die derzeit als "systemrelevant" gelten, auch in Zukunft mehr wertgeschätzt werden".

Zu Zeiten des Kalten Krieges sei man noch viel besser für Krisenfälle gerüstet gewesen, so Pfliegler, es wurden Lager mit notwendigem Material angelegt - um dann vieles davon in den Jahren danach einem falsch verstandenen "Turbokapitalismus" zu opfern. "Vielleicht", so hofft er, "setzt dank dieser bisher nie dagewesenen Situation wieder ein Umdenken ein." Auf dass Schutzkleidung für alle im Gesundheits- und Pflegesektor Tätige ganz selbstverständlich in ausreichender Menge bereit steht. Und auch ansonsten das Krisenmanagement nicht nur mit Blick auf Corona wieder neu betrachtet und belebt wird.

GZ