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Mit dem Coronavirus ist auch die Welt der Bahn-Pendler nicht mehr dieselbe - ein Erfahrungsbericht

25.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:40 Uhr

München - Wer als Berufspendler wochentags zwischen 6 und 9 Uhr von Pfaffenhofen nach München fährt, der weiß: Ein Sitzplatz in der Bahn ist zu dieser Zeit Glückssache.

Dichtgedrängt stehen - oder besser: standen - noch vor wenigen Tagen die Menschen früh am Bahnsteig in der Kreisstadt, man kam nur mühsam durch. Kaum fuhr die Regionalbahn aus Ingolstadt ein, begann ein Drängeln an den Gleisen beziehungsweise vor den Türen. Jeder wollte einen der wenigen, seit dem vorherigen Halt in Rohrbach verbliebenen, Sitzplätze ergattern.

Doch seit Beginn der Corona-Krise ist auch für Bahnfahrer in Bayern alles anders. Nur eine Handvoll Menschen wartet an Bahnsteig 1 in Richtung München; auf der anderen Seite in Richtung Ingolstadt steht sogar niemand. Die Fahrgäste warten auch weit voneinander entfernt. Home-Office scheint intensiv genutzt zu werden. Wer die vorher geschilderte Praxis seit zehn Jahren fast täglich erlebte, dem mutet das neue, unbekannte Bild irgendwie surreal an. Angeblich, so war im Radio zu hören, soll der Zugverkehr auf Bayerns meistgenutzter Bahnstrecke nur noch im Notfall-Modus laufen, orientiert am Sonntagsbetrieb. Aber an diesem Morgen kommen die Züge alle noch nach altem Fahrplan.

Das auch bei der Deutschen Bahn die Welt seit Corona nicht mehr dieselbe ist, war kurz vorher schon am Ticketschalter zu erleben. Das dort früher immer ganz geöffnete Klappfenster vom Warte- zum Serviceraum ist nur noch einen schmalen Spalt gekippt. "Einmal München - Pfaffenhofen und zurück bitte mit der Bahncard 50", sage ich zu der netten Dame hinter dem Schalter. "Sammeln Sie Punkte? ", will sie von mir wissen, ich nicke. Wir kennen uns seit Jahren und ich schiebe die Bahncard, die ich erst seit kurzem nutze, auf Ihre Bitte über den Tresen und mache einen - vermeintlichen - Witz: "Die müssen Sie jetzt aber anfassen. " Die Mitarbeiterin reißt erschrocken die Augen auf: "Ist Ihnen das unangenehm, möchten Sie das nicht? "

Später in der Regionalbahn sind die von den Behörden offiziell angeratenen 1,50 bis 2 Meter Abstand zwischen Personen problemlos einzuhalten, jeder bekommt einen Sitzplatz in einer Doppelreihe für sich allein - ein nie erlebter Zustand zu dieser Zeit in den zwölf Jahren, die ich diese Verbindung nutze. Sonst ratscht auch immer wer miteinander, doch an diesem Morgen nicht. Als ein junger Mann mit Kopfhörern, der zuvor die ganze Zeit auf sein Smartphone geschaut hat, plötzlich mehrmals husten muss, blicken die anderen Passagiere erstarrt und erschrocken auf wie Rehe beim Hundegebell.

Die Regionalbahn hält im Landkreis auch in Reichertshausen und Paindorf - und üblicherweise steigen auch dort noch mal zahlreiche Passagiere zu. Doch an diesem Morgen: gähnende Leere an beiden Bahnhöfen. Selbst in Dachau, wo sich früher immer eine wahre Horde an Fahrgästen hineingedrängt und den Zug in eine enge menschliche Ölsardinenbüchse verwandelt hat, steigen nur eine Handvoll Leute ein.

Auch wenn der Hintergrund kein schöner ist: Natürlich lässt es sich in einem fast leeren Zug entspannter reisen, man kann die Beine ausstrecken und sich in den Sitz lümmeln. Müsste die Leute eigentlich sanftmütiger machen. Müsste eigentlich. Doch dann, beim Aussteigen am Münchner Hauptbahnhof, kommt es noch zu einer ziemlich unschönen Szene, die zeigt, wie angespannt viele Mitmenschen derzeit wohl sind: Ein Mann telefoniert und schaut in sein Handy, bemerkt einen anderen nicht, der bereits an der sich ziemlich langsam öffnenden Schiebtür wartet - und rennt voll in diesen hinein.

Ziemlich enger Körperkontakt - und dieser Umstand scheint die beiden wohl ruckzuck auf die Palme zubringen. Ein böses Wort gibt das andere, Beleidigungen, plötzlich werden sogar Fäuste gehoben. Wir anderen drängen uns zwischen die beiden Streithähne, die nur mühsam voneinander ablassen wollen. Irgendwie verstörend. Dann doch lieber ein proppenvoller, aber mit freundlichen und gut gelaunten Pendlern besetzter Zug.

PK