Pfaffenhofen
Bewährung für illegales Flüchtlingspaar

Nigerianer sollten in Italien abgeschoben werden - Aus Sorge um Ungeborenes nach Deutschland abgesetzt

17.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:51 Uhr

Pfaffenhofen (PK) Zu drei Monaten Haft auf Bewährung hat das Pfaffenhofener Amtsgericht ein nigerianisches Ehepaar verurteilt, das in Italien abgeschoben werden sollte und unerlaubt über Frankreich nach Deutschland eingereist ist.

Es kommt nicht oft vor, dass auf der Anklagebank ein Baby sitzt. Es hat sich allerdings nicht strafbar gemacht, die Eltern haben das sechs Monate alte Mädchen mit in den Sitzungssaal gebracht, weil sie es nicht in der Flüchtlingsunterkunft zurücklassen wollten. In einem leuchtend gelben Kleidchen, um den Kopf ein weißes Band mit einer Schleife vor der Stirn, sitzt es auf dem Schoß seiner Mutter Adanna O., 28, (alle Namen geändert) und quengelt. Glaubt man den Eltern, ist das Kind der Grund, warum sie sich jetzt vor einem deutschen Gericht verantworten müssen.

Wie zehntausende Nigerianer haben sich auch Adanna und ihr Mann Osaro, 25, auf den Weg nach Europa gemacht. Sie kommen nicht aus dem Nordosten des Landes, wo die Terrormiliz Boko Haram wütet, sondern aus dem Süden. Die meisten Nigerianer haben kaum Chancen, legal in Europa bleiben zu können. Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit sind hier kein Asylgrund.

Adanna und Osaro hatten es bis nach Rom geschafft. Am 13. November vergangenen Jahres bekamen sie den Abschiebebescheid. "Ja", antwortet Osaro, der wie seine Frau fließend englisch spricht, auf die Frage des Amtsrichters Michael Herbert, "wir wussten, dass wir abgeschoben werden sollen." Aber seine Frau war damals hochschwanger, und es gab gesundheitliche Probleme. Und obwohl ihnen die italienischen Behörden, sagt Adanna, Unterstützung zugesagt hätten, habe man ihr in einem römischen Krankenhaus nicht helfen können. Die Beschwerden blieben. "Ich hatte kein Vertrauen mehr in die Ärzte, und wir hatten kein Dach über dem Kopf, wir lebten auf der Straße", übersetzt der Dolmetscher Adannas Rechtfertigung, warum sie nicht in Italien bleiben wollten.

Ein hochherziger Mann habe ihnen am Bahnhof in Rom Geld für eine Fahrkarte gegeben, damit sie nach Paris fahren konnten. Hier hoffte das junge Paar, eine feste Unterkunft zu finden. Vergeblich, sagt Osaro. Er habe dort Asylbewerber getroffen, die auch auf der Straße lebten. "Meine Frau war schwanger", sagt Osaro, "und sie brauchte Hilfe. Ich hatte Angst, dass sie das Kind verliert."

Also setzten sich die werdenden Eltern frühmorgens kurz vor sieben, erinnert sich Osaro, erneut in den Zug, diesmal nach Deutschland. Die Reise endete in Straßburg, wo Grenzbeamte sie aus der Bahn holten. Das Paar gab nicht auf: Mit dem nächsten Zug fuhren die beiden weiter nach Stuttgart, wo sie am 8. Dezember von der Polizei aufgegriffen und angezeigt wurden: Verstoß gegen Paragraf 11 des Aufenthaltsgesetzes. Dort heißt es: "Ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, darf weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten."

Das Baby auf Adannas Schoß wird zunehmend unruhiger und lauter. Die Mutter versucht geduldig, es mit einem Greifring abzulenken, was ihr aber nur schwer gelingt.

Osaro hat Papiere und ärztliche Dokumente mitgebracht als Beweis, dass es wirklich die Sorge um das Ungeborene war, die ihn zu der Europa-Odyssee veranlasst habe.

"Was erhofften Sie sich denn in Deutschland", will die Staatsanwältin wissen. "Dass man meiner Frau helfen kann", antwortet Osaro. Das Paar wurde nicht enttäuscht: Nach einem Aufenthalt im Ingolstädter Klinikum sei es Adanna "deutlich besser gegangen".

So nachvollziehbar das Motiv für die Staatsanwältin ist, "die bestmögliche medizinische Versorgung sicherzustellen", so wenig Verständnis hat sie für die Reise über Frankreich nach Deutschland. "Italien ist nicht Indien", sagt die Anklage-Vertreterin in ihrem Plädoyer und meint damit die medizinischen Standards in Europa. "Wir sprechen hier nicht über irgendein Land." In Frankreich hätte es Adanna noch nicht einmal versucht, eine Klinik aufzusuchen. Vielmehr sei es wohl so, "dass es Ihnen in Deutschland einfach am besten gefallen hat". Sie fordert eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die strafrechtlich nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sondern vollstreckt werden müsse.

Die Angeklagten haben das letzte Wort. Der Dolmetscher übersetzt Osaros Bitte: "Es tut uns sehr leid. Aber ich bitte Sie für unser Kind flehentlich, es möglich zu machen, von einer Freiheitsstrafe abzusehen. Sollte es irgendeinen anderen Weg der Bestrafung geben, werden wir das sofort akzeptieren." Das allerletzte Wort nimmt sich das Baby. Es schreit, zappelt und lässt sich kaum beruhigen.

Amtsrichter Herbert hat ein Einsehen. "Sie haben auf der Straße geschlafen", sagt er in seiner Urteilsbegründung, "und Sie wussten sich nicht anders zu helfen. Aber es geht nicht, dass man sich nicht ans Recht hält." Sein Urteil: Drei Monate Haft, die aber zur Bewährung auf drei Jahre ausgesetzt werden. So schnell, davon geht dieses Urteil offensichtlich aus, wird die Abschiebung wohl nicht vollstreckt. Denn als Bewährungsauflage muss Osaro dem Gericht jeden Wohnungswechsel unverzüglich mitteilen. Und da Italien sich weigert, illegale Flüchtlinge aus Deutschland zurückzunehmen und deshalb ein wichtiger Punkt in Horst Seehofers Masterplan noch nicht greift, wird die junge Familie wohl noch eine Weile im Landkreis leben dürfen.