Pfaffenhofen
Die Willkommenskultur und ihre Grenzen

Flüchtlingshelfer stellen Fragen an Integrationsbeauftragte Wittmann und Landtagsabgeordneten Straub

26.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:34 Uhr
Christine Pietsch (von links), Leiterin des Sachgebiets Integration im Landratsamt, präsentiert die Fragen, die von Bayerns Integrationsbeauftragter Mechthilde Wittmann und dem Landtagsabgeordneten Karl Straub beantwortet werden. −Foto: Foto: Paul

Pfaffenhofen (PK) Unter dem Motto "Willkommen - Ankommen - Weiterkommen. Was bringt die Asyl- und Integrationspolitik Bayerns?" beantworteten die Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Mechthilde Wittmann, und der Landtagsabgeordnete Karl Straub (beide CSU) am Montagabend im Hofbergsaal Fragen von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern.

Die Aussage kam von den beiden Parlamentariern - und auch von Landrat Martin Wolf (CSU), dessen Haus die Veranstaltung vorbereitet und organisiert hatte - im Verlauf der Veranstaltung in verschiedenen Variationen auf: "Es werden nicht alle hierbleiben können, einige werden auch wieder heimgehen müssen." Wer sich in diesem Moment die zusammengepressten Lippen der zum größeren Teil weiblichen Ehrenamtler im Saal anschaute, bekam den Eindruck, dass sie jedoch genau diesen Satz am allerwenigsten hören mochten.

Dabei hat sich in ihren Reihen längst große Ernüchterung breit gemacht, was der Landrat in seiner Einführung thematisierte. Die Zahl von ehemals rund 700 Helfern seit der Flüchtlingskrise 2015 hat sich inzwischen "mehr als halbiert, die Euphorie ist verschwunden". Dabei machen Flüchtlinge inzwischen ein Prozent der Landkreisbevölkerung beziehungsweise der Einwohner Bayerns aus. Hinzu kommt eine große Zahl an Migranten aus anderen EU-Ländern - vor allem aus Bulgarien und Rumänien - die ebenfalls für Anstrengungen sorgen.

Den verbliebenen Helfern brennen wichtige Fragen auf den Nägeln. Diese durften sie vorab einreichen, rund 55 kamen dabei zusammen. Das Team um Christine Pietsch - sie ist Leiterin des neuen Sachgebiets Integration im Landratsamt - hatte sie zu fünf Themenblöcken zusammengefasst: Transitzentrum/Ankerzentrum, sozialer Wohnungsbau/staatliches Handeln, Integration an Schulen, Rechtliches und Europäische Asylpolitik. Zum Schluss sollten noch Einzelfragen verlesen werden. Vorgelesen wurde alles von Christine Pietsch, die beiden Abgeordneten übernahmen abwechselnd die Beantwortung.

Direkte Wortmeldungen aus dem Publikum waren bei der Veranstaltung nicht vorgesehen - diese dauerte dann doch knapp drei Stunden - und Nachfragen zu Einzelschicksalen sollten ebenfalls ausgeklammert werden. Durch diesen Schachzug der Veranstalter waren aber die sonst üblichen, berüchtigten Co-Referate ausgebremst. Gleichwohl fanden auch das nicht alle Anwesenden toll, einige hätten ihrem Unmut wohl gern in längeren persönlichen Wortmeldungen Luft gemacht. Immerhin: Karl Straub versprach, sich um Einzelschicksale zu kümmern, sofern diese ihm per E-Mail an sein Büro erläutert würden. Und auch die Vertreter des Sachgebiets sicherten zu, solchen Fällen nachzugehen.

Beim Thema Transit- beziehungsweise Ankerzentrum in Manching - genau genommen gibt es letzteres ja noch gar nicht, es ist lediglich geplant, wie Straub betonte -, interessierte die Fragesteller vor allem, ob und wie die persönliche Freiheit der Bewohner sich gestalten wird, welche Weiterbildungsprogramme und Qualifizierungen zur Verfügung stehen und wie streng die Devise "Sachleistungen vor Bargeld" umgesetzt wird. Zum Thema Wohnungsbau & Soziales wurde beispielsweise angefragt, welche Unterstützung anerkannte Flüchtlinge bei der Wohnungssuche erhalten. Im Teilbereich "Europäische Asylpolitik" drehte es sich im Wesentlichen um Fragen der Rückführung (siehe Kasten).

Bei der Lektüre der eingereichten Fragen - die nicht selten verklausulierte Forderungen oder Vorwürfe darstellten - verfestigte sich der Eindruck, dass viele Ehrenamtliche die finanziellen Möglichkeiten des Staats als nahezu unbegrenzt einschätzen und es ja wohl nur am notwendigen Willen zum Geldausgeben bei den Politikern fehlt. Dolmetscher für Schüler mit Sprachproblemen wurden da beispielsweise angemahnt, extra Unterbringungen für Traumatisierte, hauptamtliche Integrationsbegleiter in jeder Gemeinde, finanzielle Unterstützung der Asylhelfer und manch anderes teures.

Straub verwies hier mit Nachdruck auf die Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder, wonach Bayern im nächsten Haushalt 4,5 Milliarden Euro allein für die Bewältigung der Asylkrise ausgibt - mehr, als der Jahresetat sämtlicher Ministerien. Man dürfe die materielle Belastung der Bürger nicht aus dem Blick verlieren. Damit konfrontiert, werden manche Ehrenamtler ungehalten und meinen, "für anderes" (ohne es zu präzisieren) sei ja auch Geld da, ruckzuck steht dann gleich der Vorwurf der "Unmenschlichkeit", des "Ängste Schürens" und weiterer Schlagworte im Raum. Dass von den beiden Politikern auch immer wieder gewarnt wurde, es gelte die Anreizfaktoren zu reduzieren und das Hinauszögern der Abschiebung zu unterbinden ("Auch wenn ich rein menschlich für diese Strategie Verständnis habe", so Mechthilde Wittmann) machte die Kluft im Saal auch nicht kleiner.

Aufgrund der hohen Emotionalität des Themas birgt eine solche Veranstaltung auch ein gewisses Störpotenzial. Protagonisten waren sowohl einige eher fundamentalistisch eingestellte Helferinnen wie auch eine Gruppe von AfD-Sympathisanten, die ihre jeweiligen Standpunkte mit Zwischenrufen beziehungsweise mit demonstrativem Applaus kundtaten. Und natürlich wurde auch provokant und wiederholt ziemlich mittelleise getuschelt beziehungsweise empört der Kopf geschüttelt. Eine Teilnehmerin stapfte zwischendurch hinaus und ließ die Tür ins Schloss fallen.

Einmal gelang es einer Zuhörerin dann doch, ein Statement loszuwerden. Die Politiker hatten gerade den Ehrenamtlern für ihren Einsatz gedankt. Doch diese könnten sich derartiges Lob schenken, wenn gleichzeitig von CSU-Vertretern der "Asyl-Tourismus" kritisiert werde und sie und ihre Mit-Helferinnen als "Gutmenschen" verspottet würden, schimpfte die Zuhörerin. Doch da platzte Mechthilde Wittmann der Kragen: "Ich fordere sie auf, die Dinge so zu verstehen, wie sie gemeint sind", so die Politikerin. Wenn ein Asylantrag von einem Gericht abschlägig beschieden und jemand ordnungsgemäß ausgewiesen wurde, dann aber trotzdem versuche, wieder nach Deutschland hinein zu kommen, "dann muss man dieses rechtswidrige Verhalten auch bestrafen dürfen!"

Außer den Helfern und den übrigen Zuhörern hatte sich auch eine Gruppe von Kommunalpolitikern eingefunden. Ludwig Wayand (CSU), der Bürgermeister von Baar-Ebenhausen, wollte wissen, ob anerkannte Flüchtlinge, die eine schon gefundene Wohnung wieder verlieren - etwa durch Kündigung des Mietvertrags - auch wieder in die Asylheime zurückkehren können. Das passiert wohl nicht selten. Antwort von Mechthilde Wittmann: Nein, das sei definitiv nicht vorgesehen. Nachfrage Wayand: Aber dann würden sie doch als Obdachlose der Fürsorge der Kommune anheimfallen und er wisse schon jetzt aufgrund der Wohnungsknappheit, der fehlenden Grundstücke und ausgebuchten Baufirmen nicht wohin mit diesen. Außer einer in Falten gelegten Stirn wusste die Abgeordnete ihm daraufhin auch keine Antwort mehr zu bieten. Dieses Beispiel stand an diesem Abend exemplarisch dafür, wie das hohe Ethos der Willkommenskultur irgendwann an ganz profane Begrenzungen stößt.
 

Andre Paul