Vor der Zuschauertribüne schlugen Granaten ein

02.10.2008 | Stand 03.12.2020, 5:32 Uhr

Schockiert von dem tödlichen Schießunglück stehen die Soldaten vor den Einschlagslöchern der Granaten. Oberst Eberhard Fuhr (rechts), der Kommandeur der Neuburger Heimatschutzbrigade, erläutert Journalisten den Ablauf des Unfalls. - Foto: Lenk

Münsingen/Neuburg (DK) Es war das schwerste Schießunglück, das die Bundeswehr auf einem Truppenübungsplatz verkraften musste. Vor 25 Jahren, am 3. Oktober 1983, wurden bei einem Übungsschießen in Münsingen auf der Schwäbischen Alb, südlich von Stuttgart, zwei Menschen getötet.

Verursacher der Katastrophe, bei der auch 15 Zuschauer schwer und neun leicht verletzt worden waren, war die damals in Neuburg in der dortigen Tillykaserne beheimatete Heimatschutzbrigade 56. Der Verband ist 1994 aufgelöst und die Tillykaserne mit einem letzten Appell geschlossen worden.

Die Neuburger Brigade hatte am 3. Oktober 1983 zu einem Schauschießen für 800 Soldaten und zivile Gäste auf den Truppenübungsplatz Münsingen eingeladen. Unter ihnen der Präsident des Bayerischen Landesarbeitsgerichts, der jugoslawische Botschafter und der Generalstaatsanwalt. ‚‚Es war beabsichtigt, auf der Schießbahn 8 das Zusammenspiel zwischen Luftwaffe, Panzern und Artillerie zu demonstrieren’’, erinnern sich ältere Soldaten. Um eine bessere Sicht zu haben, wurden die Zuschauer auf der Ladefläche von olivgrünen Transportern platziert.

Gegen 14.20 Uhr nahm dann das schlimme Schießunglück auf der Hartenberghöhe seinen Lauf. Ein Missverständnis zwischen der Feuerleitstelle und den Soldaten der drei in Linie stehenden Mörser M 113 war Schuld daran, dass anstatt mit Nebelgranaten mit scharfer Munition geschossen wurde. Das teilte die Staatsanwaltschaft Tübingen vier Tage später den Medien mit.

Ein Zwölf-Zentimeter-Geschoss schlug direkt neben einem der 20 Zehntonner ein, ein weiteres in 30 Meter Entfernung im Wald. Von herumfliegenden Splittern der Sprenggranate wurden der 45-jährige Oberstleutnant Siegfried Niklaus und der 51-jährige Oberst Wolfgang Pohl, Kommandeur des Nachschubkommandos 2, sofort getötet. Beide waren beim II. Korps in Ulm stationiert. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Fritz Wittmann verlor ein Bein.

"Wie ein Schlachtfeld"

Die scharfe Munition hätte erst nach der Gefechtspause gezündet werden dürfen und in dem zwischenzeitlich von den Zuschauern geräumten Gebiet niedergehen sollen, ist heute in alten Unterlagen der Bundeswehr nachzulesen. Major Volker Naundorf war einer der Verantwortlichen, der auf einem der Lastwagen stand. Er hatte den Gästen die Schießvorführungen erklärt. Bei der Generalprobe sei alles noch nach Plan gelaufen, erzählte er fünf Stunden später Verteidigungsminister Manfred Wörner, der sich mit dem Hubschrauber von Bonn nach Münsingen fliegen hat lassen.

Die Minuten nach der Detonation erlebte Naundorf ‚‚als ein totales Tohuwabohu’’. Planlos liefen Menschen durch die Gegend, andere gingen in Deckung. ‚‚Neben mir lagen Leute, die sich nicht mehr bewegen konnten. Wir haben nach den Sanitätskästen gegriffen und Verbände angelegt.’’ Ein anderer Augenzeuge: ‚‚Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld.’’ Die Schwerverletzten wurden wenig später mit Rettungswagen und Hubschraubern nach Ulm, Tübingen, Bad Urach und Reutlingen in die Krankenhäuser gebracht.

Zwei Stunden später standen vor den Telefonzellen in Münsingen viele Soldaten. Jeder wollte zu Hause anrufen und sagen: ‚‚Macht euch keine Sorgen, ich lebe, bin unverletzt.’’ Einen Tag später hatte die Bundesregierung während einer Sitzung in Bonn ‚‚mit Betroffenheit’’ auf das Unglück reagiert. Kanzler Helmut Kohl sprach den Hinterbliebenen der getöteten Offiziere und den Angehörigen der Verletzten seine Anteilnahme aus.

Münsingens Bürgermeister Rolf Keller war bestürzt darüber, dass so etwas überhaupt passieren konnte. ‚‚Auf Übungen zur reinen Demonstration sollte man in einer Zeit verzichten, in der es andere Möglichkeiten gibt, sich darzustellen’’, sagte er damals den Journalisten, die aus ganz Deutschland auf die Alb gereist waren.

Prozess beginnt 1984

Im September 1984 mussten sich zwei Soldaten für das Schießunglück vor der Dritten Großen Strafkammer des Landgerichts Tübingen verantworten. Die mehrtägige Verhandlung endete mit einem Freispruch für den angeklagten Kompaniechef. Dem Hauptmann war vorgeworfen worden, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Diese Anschuldigung wurde jedoch während des Prozesses entkräftet.

Der mitangeklagte Oberfeldwebel erhielt eine zehnmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung, außerdem musste er umgerechnet 1500 Euro Strafe bezahlen. Nach Ansicht des Gerichts hatte der 30-Jährige, der bei dem Schießen als Sicherheitsoffizier eingesetzt war, seine Aufgaben vernachlässigt und eigenmächtig das Kommando über den Feuerleitpanzer und die drei Panzermörser übernommen. Die Kammer wertete dieses Fehlverhalten als Ungehorsam und Befehlsanmaßung und hielt den Oberfeldwebel der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung für schuldig.

So hatte es auch die Staatsanwaltschaft gesehen. Der Vertreter der Anklage sagte damals: ‚‚Der Oberfeldwebel hat alles gemacht, nur nicht das, was er sollte.’’ Der Oberstaatsanwalt zitierte Zeugen, denen zufolge der 30-Jährige ständig als Sicherheitsoffizier entgegen den Vorschriften das Kommando übernommen hatte.

Das Buch "Letzter Appell in Schwäbisch Sibirien" beschreibt die wechselvolle Geschichte des Truppenübungsplatzes Münsingen von 1895 bis 2005. Es hat 160 Seiten mit über 500 Fotos. Es ist im Wiedemann-Verlag Münsingen erschienen (ISBN: 978-3-9805531-9-3) und kostet 24,90 Euro. Infos im Internet unter www.Garnisonsstadt.de.