Straß
Das Unheil kam nach der Brotzeit

Vor 50 Jahren stürzte in Straß ein Düsenjäger ab – Klara Dreher überlebte im Kinderwagen

29.10.2013 | Stand 02.12.2020, 23:29 Uhr

In das Bauernhaus der Familie Göbel krachte am 30. Oktober 1963 ein Düsenjäger »F 86 K« (rechts). Die schwere Holzdecke klappte herunter (oben). Alfred Appel (links) erinnert sich an das Unglück - Fotos: Archiv/r

Straß (r) „Ich muss immer wieder daran denken.“ Für Klara Dreher (50) ist der 30. Oktober ein Unglückstag und der zweite Geburtstag zugleich. Vor genau 50 Jahren stürzte ein Düsenjäger in ihr Elternhaus in Straß. Vier Menschen verloren ihr Leben, darunter der zweijährige Bruder von Klara Dreher.

Die kleine Klara, damals sieben Monate alt, lag gerade im Kinderwagen, als das Flugzeug in das Gebäude krachte. Eine Haushälfte stürzte ein, die Holzdecke klappte herunter. Das Baby überlebte, der Kinderwagen blieb unversehrt auf einem Schutthaufen stehen.

„Das war wie ein Wunder“, das steht für Alfred Appel fest. Der heute 82-jährige Straßer hat die Bilder von der Unglücksstelle noch deutlich vor Augen. Bilder und Berichte hat er aufbewahrt. Es war seit der Kriegszeit das größte Unglück, das die kleine Gemeinde heimgesucht hatte. Und für die neue deutsche Luftwaffe war es die erste Katastrophe mit zivilen Opfern.

Der Düsenjäger vom Typ „F 86 K“ gehörte zum Neuburger Jagdgeschwader 74. Der 29-jährige Pilot hatte sich mit sieben Kollegen auf dem Heimflug vom französischen Dijon befunden. Während die anderen Maschinen problemlos landeten, verlor der Allwetterjäger plötzlich an Leistung und rapide an Höhe. Das Triebwerk soll noch gelaufen sein, als der Pilot etwa 250 Meter hoch im letzten Moment den Schleudersitz betätigte.

Der 29-Jährige landete mit dem Fallschirm unverletzt in einem Feld bei Burgheim. Ein Landwirt sah die Landung und kümmerte sich sofort um den jungen Mann.

Der Offizier überlebte, doch der führerlose Düsenjäger nahm Kurs auf die 700-Einwohner-Gemeinde Straß. Im Tiefflug bewegte sich die Maschine zuerst nach Osten Richtung Felsenspitz und Donau. Dann aber vollzog die „F 86 K“ plötzlich eine 90-Grad-Drehung nach rechts. „Der Düsenjäger flog dann fast im Zickzack direkt über Straß“, erinnert sich Alfred Appel an den Bericht seines Schwiegervaters. Der schaute damals aus dem Fenster seines Wohnhauses und sah den Flieger herannahen.

Vermutlich streifte die Maschine einen Baum und eine Telefonleitung, bevor sie sich in das Haus Nr. 17 von Landwirt Franz Göbel bohrte. Im Hof war gerade gedroschen worden, deshalb befanden sich viele Helfer im Anwesen. Die Männer hatten ihre Brotzeit bereits beendet und das Haus verlassen, als der Flieger gegen 17 Uhr einschlug.

Eine Nachbarin und die Tante von Klara Dreher, 40 und 30 Jahre alt, starben. Auch der neunjährige Bub der Tante und Klara Drehers Bruder überlebten den verheerenden Aufschlag nicht.

Zwölf Beteiligte kamen mit Verletzungen davon. „Die Bilder bleiben mir unvergessen“, sagte der mittlerweile verstorbene Karl Thaller. Als Feuerwehrkommandant half er mit fünf weiteren Männern damals den Verletzten, so gut es ging. 1964 überreichte ihnen der Innenminister Auszeichnungen. Von diesen Ersthelfern lebt heute keiner mehr.

Etliche alte Burgheimer und Neuburger erinnern sich an das Bild des Unfallortes, weil sie damals als Zuschauer dorthin gepilgert waren. Aus Richtung Neuburg staute sich eine Autokolonne.

Als Absturzursache ging die Bundeswehr von Vereisung aus, die den Düsenjäger manövrierunfähig gemacht haben könnte. Wegen der tiefliegenden Wolken habe der Pilot vor dem Ausstieg die Ortschaft wohl nicht erkennen können, hieß es. Es war auch darüber spekuliert worden, ob der Pilot zu früh ausgestiegen sein könnte.

Das zerstörte Bauernhaus ist nach dem Unfall abgerissen und der Platz neu bebaut worden. Vier Fotos vom Oktober 1963 finden sich im Album der Familie Dreher. Wenn Klara Dreher diese Seiten aufschlägt, erwachen die Erinnerungen an das Unglück und an die Opfer – nicht nur an Allerheiligen.