Riedensheim
Millioneninvestitionen gegen Milliardenschäden

Kette an Flutpoldern entlang der Donau soll vor Hochwasserkatastrophen schützen

19.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr

Am Fuße des Finkensteins entsteht gerade mit aufwendigen Betonarbeiten der Entwässerungsgraben für den Flutpolder Riedensheim - der erste bayerische Donaupolder, der gebaut wird. Links im Bild ist die Wand des Stausees Bittenbrunn zu sehen. 2019 soll der Polder fertiggestellt und einsatzbereit sein, um extreme Hochwasserwellen zu kappen. - Foto: Schnabel

Riedensheim (DK) Bayern nimmt Millionensummen in die Hand, um Milliardenschäden durch Hochwasserkatastrophen zu verhindern. Das erste Glied einer Kette an Donau-Flutpoldern entsteht gerade bei Riedensheim. Neun weitere sollen kommen, darunter Bertoldsheim, Katzau und Großmehring.

Die bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf muss nicht weit in die Vergangenheit schweifen, um die Dringlichkeit des Hochwasserschutzes greifbar zu machen. "2013 haben die Überflutungen allein in Bayern materielle Schäden in Höhe von 1,3 Milliarden Euro und großes menschliches Leid verursacht", schreibt sie in ihrem Programm zum Hochwasserschutz. Das Mittel der Wahl hatte bereits ihr Vorgänger Marcel Huber vorgegeben: Flutpolder. "Anders als beim natürlichen Rückhalt kann dort das Retentionsvolumen auch bei extremen Hochwasserereignissen bis zum Erreichen der Hochwasserspitze freigehalten werden", so die Ministerin.

Doch wie dieses "Extreme" messbar machen? Hier gilt die magische Grenze von 100 Jahren. Ein Hochwasser von so katastrophalem Ausmaß, dass es statistisch nur alle hundert Jahre vorkommt, müssen die Deiche, Spundwände, Ausuferungen und anderen Schutzeinrichtungen von den Siedlungen fernhalten. Übersteigt die Flut auch noch diese Grenze, helfen nur noch Polder.

Sie bleiben trocken, bis die Welle ihre Spitze erreicht, um auf Knopfdruck geflutet zu werden. "Um ein sehr großes Hochwasser um zehn Prozent auf ein hundertjährliches Hochwasser zu reduzieren, werden in den Abschnitten unterschiedliche Flutpoldervolumina benötigt", so das Umweltministerium. Ein einziges dieser Rückhaltebecken bringt nicht viel: Ein Polder bei Riedensheim hilft Deggendorf nicht. Also sind mehrere Anlagen geplant, entlang des gesamten Flusslaufs in Bayern (siehe Grafik).

Die Technische Universität München hat mögliche Standorte sondiert. Allein acht zwischen Iller- und Lechzufluss. "Von diesen acht werden die besten drei Favoriten nun weiter untersucht", erklärt Holger Pharion, Abteilungsleiter am Wasserwirtschaftsamt Ingolstadt. Fünf werden deshalb erst mal nicht weiter verfolgt: Schwenningen-Tapfheim, Höchstädt-Blindheim, Lauingen-Dillingen, Steinheim und Bischofswörth-Christianswörth. Weiter im Rennen sind Leipheim und Helmeringen mit insgesamt 19 Millionen Kubikmetern Fassungsvermögen - sowie der größte aller geplanten Donaupolder: Neugeschüttwörth, ein Becken, das auf 1800 Hektar Fläche rund 32 Millionen Kubikmeter Wasser zurückhalten soll.

Braucht es angesichts dieser enormen Größe noch den direkt flussabwärtsliegenden Polder Bertoldsheim/Burgheim? Ja, antwortet Pharion. "Unterhalb von Neugeschüttwörth fließt der Lech in die Donau, deshalb ist der Polder Bertoldsheim nicht überflüssig", so die Begründung. Doch hier spielt noch ein anderer Riese eine Rolle: Maßgeblich für den Zufluss aus dem Lech ist laut dem Hydrologen der insgesamt 168 Millionen Kubikmeter fassende Forggensee am Fuße des Schlosses Neuschwanstein im Allgäu, der vorher abgesenkt werden kann und dadurch Hochwasserwellen des Donauzuflusses abhalten kann.

Die Existenz dieses Riesenspeichers ist ein Grund dafür, dass in Bertoldsheim viele Bürger die Notwendigkeit eines Polders vor ihrer Haustüre bezweifeln. Hier ist der Widerstand in der gesamten Region Ingolstadt am größten. Ein Bürgerdialog soll die Wogen glätten. Momentan werden auf Drängen der nördlichen Anwohner auch zwei südliche Varianten bei Burgheim untersucht. Die Ausschreibungsunterlagen für ein Grundwassermodell werden derzeit erarbeitet. Damit ist das Verfahren von allen bayerischen Poldern laut Wasserwirtschaftsamt am wenigsten weit fortgeschritten.

Das liegt auch daran, dass nur sechs Kilometer östlich, ebenfalls im Gemeindegebiet Rennertshofen, der Flutpolder Riedensheim entsteht. Keine einzige Klage ist gegen das Mammutprojekt eingegangen. Die Rennertshofener sehen damit ihr Soll erfüllt. Die Bauarbeiten sind weit fortgeschritten. Das Einlassbauwerk bei Stepperg ist bereits fertiggestellt. Derzeit errichten die Arbeiter mit viel Beton den Entwässerungsgraben, der die Wassermassen nach der Flutung innerhalb weniger Tage zurück in die Donau befördern soll. Die Fertigstellung des ersten bayerischen Donaupolders ist im Jahr 2019 vorgesehen.

Flussabwärts hinter Ingolstadt ist der elf Millionen Kubikmeter große Polder Großmehring in der Standortanalyse. "Derzeit wird das Grundwassermodell aufgestellt, und es laufen Berechnungen für verschiedene Polderausführungen. Diese sollen den beteiligten Gemeinden voraussichtlich Ende November bei einem runden Tisch vorgestellt werden", berichtet Pharion. Katzau mit 7,2 Millionen Kubikmetern Volumen ist schon einen Schritt weiter: Hier prüft die Regierung derzeit, ob das Projekt für den Raum verträglich ist, danach könnte das Vorhaben bürokratisch in Form eines Planfeststellungsverfahrens festgezurrt werden - für den letzten steuerbaren Donaurückhalt vor Regensburg.

Und weiter stromabwärts? Ein Blick auf die Karte zeigt noch drei Polderpunkte vor dem hochwassergeplagten Deggendorf: Eltheim, Wörthhof, Öberauer Schleife. Auch hier gibt es teilweise heftigen Widerstand. Die Öberauer Schleife hat die Hürde des Raumordnungsverfahrens bereits genommen.

Noch ein Rückhalt wird vor Deggendorf bei Steinkirchen errichtet. Er gilt als Sonderfall: Weil im Bereich Straubing/Vilshofen ein Hochwasserschutz mit Deichen und Mauern errichtet wird, geht Rückhalteraum an der Donau verloren. "Grundsätzlich darf durch die Errichtung von Hochwasserschutzanlagen die Situation für die anderen Donau-Anlieger nicht negativ beeinflusst werden", erklärt Pharion. "Um die Auswirkungen des verlorengehenden Rückhalteraums ausgleichen zu können, wird der gesteuerte Rückhalteraum Steinkirchen errichtet" - der aber bereits bei kleineren Hochwassern geöffnet werden soll und somit etwas aus der Reihe fällt.

Danach kommt lange nichts. Ausgerechnet vor Passau. Jedem Bayern sind die dramatischen Bilder von Hochwassern noch im Gedächtnis. "Das Donautal unterhalb von Deggendorf ist sehr schmal, hier gibt es kaum Möglichkeiten", erklärt Pharion.

Erst speist die Isar, dann die Vils die Donau und dann vereinigen sich auch noch direkt vor Ort der von der Rott gestärkte Inn sowie die Ilz zu einem großen Strom. Passau wird also eine Hochwasserstadt bleiben. Mit oder ohne Polder.