Rennertshofen
Wette gegen Gott verloren und gewonnen

10.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:14 Uhr
Tison Pattarumadathil −Foto: Schanz

Rennertshofen (DK) Aus dem Süden Indiens in den Norden Rennertshofens: Wie es ihn ohne Deutschkenntnisse oder Winterjacke ins verschneite Oberbayern verschlagen hat, erzählt Tison Pattarumadathil, Pfarrer für Ammerfeld, Emskeim und Rohrbach.

Tison Pattarumadathil hat gegen Gott gewettet und verloren. Gewonnen hat er trotzdem - denn so ist er Pfarrer geworden. "Wenn ich meinen Schulabschluss mit einer guten Note mache, werde ich Priester", versprach er einem Geistlichen, den er als Jugendlicher sehr schätzte. Wohl wissend, dass er bis dato nie ein besonders guter Schüler gewesen war. Keine große Gefahr also. Doch die Noten fielen überraschend gut aus. "Gott hat gewonnen. Also musste ich mein Versprechen halten", erzählt der heute 50-Jährige und lacht.

Er grinst oft schelmisch, wenn er von seinem Werdegang erzählt. Denn einen großen Masterplan hat er für sich selbst und sein Leben nie aufgestellt. Den hat offenbar ein anderer für ihn: Gott. Und der führte ihn aus einem kleinen Dorf in Südindien in ein kleines Dorf in Oberbayern: Ammerfeld.

Tison Pattarumadathil stammt aus der Provinz Kerala. Als Sohn einer christlichen Bauernfamilie wuchs der Bub mit sieben Geschwistern auf. "Ich bin der vierte von oben und der fünfte von unten", sagt er. Hindus, Muslime und Christen drei verschiedener Riten hätten ein enges Miteinander gepflegt. "Wenn die Sternsinger bei einer Hindufamilie nicht den Segen gebracht haben, gab es Ärger", erzählt er grinsend. Bis heute habe sich das unverkrampfte Verhältnis jedoch verschlechtert. Die Menschen seien konservativer und teilweise fanatischer geworden.

"Obwohl ich aus einer tief religiösen Familie stamme, habe ich nie mit dem Gedanken gespielt, Priester zu werden", erinnert er sich. Ein Heimatpfarrer, den er sehr schätzte, hat das geändert. In Indien sei es üblich, dass die Ordensgemeinschaften Priesternachwuchs rekrutieren. "Er hat mich gefragt, ob ich nicht Missionar werden wolle", erzählt Tison Pattarumadathil. So kam es zu dem nicht ernst gemeinten "Versprechen", so kam alles anders, als gedacht. "Kurz vor dem Schulabschluss bin ich von einem hohen Gooseberry-Baum gestürzt, fiel bestimmt 20 Meter tief. Ich habe einen großen Ast festgehalten, der mich noch gebremst hat." Er überlebte, wenn auch verletzt, lag im Krankenhaus, musste das Jahr wiederholen, hatte danach gute Noten. Und wurde Pfarrer.

Zweifel? Rückzieher? Der Pater schüttelt den Kopf. Als er bei seiner Priesterweihe das große Glaubensbekenntnis nachsprechen musste, habe er "den Teufel, den Selbstzweifel", in sich aufblitzen gefühlt. Und überwunden. "Nach meiner Priesterweihe spürte ich eine tiefe Erleichterung, diesen Frieden, den Jesus versprochen hat, diese Freude." Das spüre er bis heute. "Ich habe es nie bereut. Ich bin dankbar und glücklich, dass Gott mich auf diesen Weg geführt hat."

Dieser Weg führte ihn ans andere Ende der Welt. Zunächst hieß es, er solle in Nordindien Missionarsdienst leisten. Schon das wäre für den jungen Mann aus Kerala ein Abenteuer gewesen. Doch plötzlich lautete die neue Adresse: Deutschland.

"Ich weiß noch, wie ich gerade in Bonn angekommen war und barfuß im Schnee stand. Meine Schwester hat mich geschimpft, dass man das nicht darf, weil man dann krank wird", erzählt er schmunzelnd. "Von Germany hatte ich gehört, aber ich wusste nichts darüber." Und deutsch sprach er auch nicht. Nach einem kurzen Aufenthalt im Eichstätter Seminar wurde er bereits in der kleinen Stadt Spalt als Pfarrer eingesetzt - mit kaum einem Wort Deutsch. "Später haben mir die Leute erzählt, dass sie dachten: Was soll dieser Fremde, dieser Schwarze für uns tun? Sie waren nicht gerade begeistert." Doch als er nach vier Jahren wieder ging, hätten sie ihn nicht gehenlassen wollen, pflegen bis heute den Kontakt. Die Sprache hat er sich größtenteils selbst beigebracht. Nach Stationen in der Oberpfalz spricht er heute fast akzentfrei.

2015 kam er nach Ammerfeld. "Ich habe hier einen ganz herrlichen Empfang gehabt und fühle mich sehr wohl. Die Menschen sind irgendwie wie in meiner Heimat, trotz der vielen Unterschiede. Aber die Freundlichkeit und die Zugänglichkeit kenne ich aus meinem Dorf." An manche Dinge kann er sich nur schwer gewöhnen: Sauerkraut zum Beispiel, oder Fasching. Und auch seine indischen Gemüse-Wurzeln wollen in der Ammerfelder Erde einfach nicht gescheit wachsen. Selbst drinnen in der Stube sprießen sie nicht richtig. Ist es ihnen zu kalt? Auch bei den Deutschen erkennt er manchmal vor lauter Disziplin eine gewisse "Eingefrorenheit". Dagegen setzt er seine indische Unbekümmertheit. Er empfindet das Miteinander mit rund 530 Menschen in Ammerfeld, Emskeim und Rohrbach als Bereicherung.

Wohin der Weg ihn noch führt? Da zuckt der 50-Jährige mit den Schultern. "Mit leerem Herzen komme ich", zitiert er. So hat er es immer gehalten, ob vor der Priesterweihe oder der großen Reise nach Deutschland: unvoreingenommen und offen an die Sache herangehen. Am Montag fliegt er in die alte Heimat - mit neuen Freunden aus Oberbayern.