Die unbekannte Volkskrankheit
Jennifer Ketzler aus Weidorf leidet an Endometriose

19.02.2022 | Stand 22.09.2023, 23:50 Uhr
Jennifer Ketzler setzt große Hoffnung in die Petition "EndEndosilence" um die Krankheit an der sie und viele andere Frauen leiden, bekannter und besser behandelbar zu machen. −Foto: Renner/MIC-Zentrum-München

Weidorf - Jahrelang fühlte sich Jennifer Ketzler aus dem Ehekirchener Ortsteil Weidorf mit ihrer Krankheit allein gelassen. Es dauerte lange bis zur richtigen Diagnose: Die junge Frau leidet an Endometriose. Mittlerweile weiß sie, dass es vielen Frauen so geht wie ihr. Eine Onlinepetition will jetzt stärker auf das Thema aufmerksam machen und die weitestgehend unbekannte Krankheit in den Fokus rücken.

Die Chancen dafür stehen gut: Nach nur drei Wochen haben bereits mehr als 122000 Menschen unterschrieben. Und täglich werden es mehr. Endometriose ist ein weibliches Leiden. Bei Betroffenen, schätzungsweise zehn Prozent aller Frauen in Deutschland, äußert es sich in unterschiedlichen Formen, was die Diagnose so schwierig macht. "Schmerzen zu haben, aber nicht zu wissen, was dir fehlt, dieses Gefühl wünsch ich niemandem," sagt Jennifer Ketzler.

Seit sie im November 2019 mit ihrer Krankheit im DONAUKURIER an die Öffentlichkeit ging, haben sie viele Fragen von anderen Frauen erreicht, erzählt sie. Die meisten leiden an starken Regelblutungen, an Schmerzen beim Wasserlassen und beim Geschlechtsverkehr oder in schweren Fällen an chronischen Unterleibsschmerzen. "Wir haben eine Facebook-Gruppe für Betroffene mit über 8000 Mitgliedern. Im Netz gibt es die Endometriose-Vereinigung, die einem weiterhilft und Fachärzte vermittelt", so Ketzler.

Dass jetzt endlich Bewegung in die Sache kommt, freue sie außerordentlich. "Bei mir hat es fast zwölf Jahre gedauert, bis ich wusste, was mir fehlt." Das soll anderen Frauen nicht passieren, hofft die 26-Jährige. Mit der Onlinepetition "EndEndosilence" wollen die Initiatoren, darunter die Endometriose-Vereinigung Deutschland, einen direkten Impuls im Gesundheitsministerium setzen. 150000 Unterschriften müssen dafür erreicht werden.

Ein kleiner Sieg ist bereits vor Ende der Unterschriftenaktion erreicht: "Am 23. Februar findet eine Gesprächsrunde mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach statt. Dabei wird das Thema auch angesprochen", erzählt Ketzler. Dennoch: "Andere Länder sind da weiter", sagt sie. "In Frankreich ist Endometriose von Präsident Macron als chronische Erkrankung anerkannt worden." Denn heilbar sei Endometriose nach aktuellem wissenschaftlichen Stand nicht. Im schlimmsten Fall begleite sie die Frauen ein Leben lang und könne, neben den chronischen Schmerzen, zu Unfruchtbarkeit führen. Auch in die Forschung soll deshalb mehr investiert werden, fordert die Endometriose-Vereinigung, der auch Ketzler angehört.

Persönlich gehe es ihr nach zwei Operationen und einem Reha-Aufenthalt gut, sagt sie. Von den befürchteten Nebenwirkungen sei sie dank der Behandlung in einer Münchner Spezialklinik bislang verschont geblieben. Doch die Zweifel bleiben: "Im Oktober ist meine Tochter zur Welt gekommen. Während der Schwangerschaft lief alles glatt, aber da hatte ich auch keine Monatsblutungen. Jetzt habe ich schon ein bisschen Angst davor, wenn ich zum ersten Mal wieder meine Tage bekomme."

"Das Problem ist die Diagnose"

Bei Patientinnen mit Endometriose bilden und entzünden sich kleine Knötchen mit gebärmutterähnlichen Zellen am Bauchfell oder in angrenzenden Organen wie Darm und Lunge, erklärt Tobias Weißenbacher, Facharzt für Frauenheilkunde auf Anfrage unserer Zeitung. Am MIC-Zentrum-München behandeln er und seine Kollegen jährlich rund 2000 Patientinnen mit Endometriose. "Das Problem ist die Diagnose, da die Beschwerden der Krankheit so unterschiedlich ausfallen." Klarheit könne nur ein operativer Eingriff, eine Bauchspiegelung, geben.

Viele Kollegen reizen deshalb zuvor alle anderen Optionen aus. "Endometriose wird in Deutschland im Schnitt erst nach fast zehn Jahren erkannt." Bis heute sei nicht geklärt, wie die Krankheit entsteht, so Weißenbacher: "Die Forschung steht in dem Bereich noch am Anfang. Es gibt bis heute keine heilende Therapie oder Medikamente dagegen." Selbst bei einer Besserung treten die Beschwerden bei 85 Prozent der Patientinnen erneut auf. "Auch wenn die Erkrankung nicht tödlich verläuft, leiden die Frauen oft unter starken, chronischen Schmerzen im Unterleib, die bei entsprechendem Organbefall zu Darmverschluss oder Unfruchtbarkeit führen können", so der Experte.

DK

Andreas Renner