Neuburg
Interesse an muttergebundener Kälberhaltung nimmt zu

Online-Seminar des Netzwerks Fokus Tierwohl beschäftigt sich mit aktuellen landwirtschaftlichen Themen

20.01.2022 | Stand 22.09.2023, 23:23 Uhr
Mutterkuh und Kalb dürfen im Betrieb von Kathrin Hauser länger zusammen bleiben als in anderen Landwirtschaften. −Foto: Kathrin Hauser, Screenshot

Neuburg - Einmal im Jahr findet im Bereich des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ingolstadt-Pfaffenhofen (AELF) die Fachtagung für Milchviehhalter statt. Wegen Corona musste die Veranstaltung, die eigentlich im Landgasthof Vogelsang in Weichering geplant war, am Donnerstag online über die Bühne gehen - wie schon im Vorjahr. Thema war diesmal das Tierwohl, ein Schwerpunkt: die muttergebundene Kälberzucht.

Eingeladen hatten neben dem AELF der Verband für landwirtschaftliche Fachbildung in Bayern (vlf) Pfaffenhofen sowie das Netzwerk Fokus Tierwohl, dessen Arbeit in Bayern die Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) übernommen hat. "Wir hatten bis zuletzt gehofft, dass wir nach Weichering gehen können", sagte Pia Schurius vom vlf. Doch die aktuelle Lage habe das unmöglich gemacht. Immerhin wählten sich knapp 100 Teilnehmer bei der Online-Variante der Tagung ein.

Gerade revolutionär erscheine vielen Landwirten die muttergebundene Kälberaufzucht, erklärte Kerstin Barth, Expertin vom Thünen-Institut für ökologischen Landbau aus Schleswig-Holstein. Dabei sei das auch in Deutschland jahrhundertelang so praktiziert worden, in vielen Ländern sei es sogar heute noch üblich, die Kälber bei der Mutter aufzuziehen, anstatt sie früh voneinander zu trennen. Geringerer Milchertrag, die Störung der Milchabgabe, mehr Krankheiten, keine Kontrolle über die aufgenommene Milchmenge des Kalbs, unterschiedliche Milchqualität und eine geringere Gewichtszunahme - die Liste der Kritiker dieses Prinzips sei lang. Allerdings stammten diese Kritikpunkte nicht aus einer aktuellen Befragung, sondern aus einem mehr als 100 Jahre alten Handbuch der Landwirtschaft. Studien zeigen laut Barth, dass Verbraucher zunehmend auf solche Themen sensibel reagieren, dazu komme ein immer größeres Interesse von Landwirten an einer Umstellung. 104 Betriebe in Deutschland mit mutter- oder ammengebundener Kälberaufzucht listet die Organisation Welttierschutzgesellschaft. Doch nicht jeder Landwirt habe sich dort bereits registriert. "Die Dunkelziffer ist noch höher", schätzt Barth. Es gibt inzwischen auch schon Label. Dazu kommen seit einigen Jahren immer mehr wissenschaftliche Versuche, auch an ihrem Thünen-Institut.

Grundsätzlich geht es darum, dass das Kalb durch Lecken, Beriechen, Saugen und Spielen physischen Kontakt zu seiner Mutter oder einer fremden Mutterkuh hat. Das eine System gebe es nicht, erklärte Barth. Im Grunde habe jeder Betrieb sein eigenes, vom Initiator des Kontakts über die Anzahl und das Geschlecht der Kälber sowie die Dauer des täglichen Kontakts bis zur zusätzlichen Milchquelle und zum Zeitpunkt der Trennung - egal, ob in einem konventionellen oder in einem Biobetrieb. Was das Optimale sei, müsse erst noch die Forschung zeigen, sagte Barth. Klar sei aber schon jetzt, dass ein längerer Kontakt zwischen Kalb und Kuh die sozialen Kompetenzen fördert, gegenseitiges Besaugen sowie Stress reduziert und höhere Gewichtszunahmen bringt. Allerdings müsse man auch geringere Liefermengen in Kauf nehmen sowie mehr Stress bei der später erfolgenden Trennung. Mehr Arbeit bedeute die Umstellung nicht zwingend, sagte Barth. Der Inhalt verändere sich aber, hin zu mehr Tierbeobachtung. Natürlich müsse man aber mit höheren Kosten rechnen, ein Mehrerlös zwischen drei und 18 Cent pro Liter sei notwendig. Barth riet allen an einer Umstellung Interessierten, sich erst einmal Gedanken zu machen, warum sie etwas verändern wollen, an wen man die Produkte liefere, was man an den Ställen umbauen müsste und welche Arbeitsroutinen anzupassen wären. Ihr Rat: "Klein anfangen und den Rückweg nicht ausschließen".

Kathrin Hauser, Betreiberin eines Demeter-Betriebs im Pfarrdorf Bergen im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, hat mit ihrem Mann 2018 die konventionelle Landwirtschaft ihrer Schwiegereltern übernommen und dann umgekrempelt. Mit dem Gelben Frankenvieh schafften sie sich Vertreter einer fast ausgestorbenen Rasse an, die über gute Mutterinstinkte verfügt, dazu bauten sie einen großen Stall, in dem es genügend Bewegungs- und Begegnungsflächen für Mütter und Kälber gibt, außerdem gibt es große Weideflächen, "Wir sind sehr glücklich damit und man hat das Gefühl, dass auch die Kühe sehr glücklich sind, wenn sie ihre Kälber haben", sagte Hauser. "Immer mehr Verbraucher wollen das auch wieder so." Der virtuelle Applaus vieler Zuhörer war ihr sicher.

Großes Netzwerk

Das bundesweite Netzwerk Fokus Tierwohl wolle einen Wissensaustausch zwischen Praktikern und Wissenschaftlern schaffen, erklärte Katharina Burgmayr von der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) den Zuhörern der Online-Tagung, die am Donnerstag stattfand. Das Angebot reiche von kleinen Workshops bis zu großen Veranstaltungen, alles einzusehen unter der Internetadresse www.lfl.bayern.de/netzwerk-fokus-tierwohl. Das Netzwerk hat 17 Verbundpartner im Bundesgebiet, für Bayern hat die LfL die Koordination übernommen. Tierhalter in Deutschland sollen nachhaltig dabei unterstützt werden, Tier- und Umweltschutz, Qualität bei der Produktion sowie eine Marktorientierung in Einklang zu bringen.

Monika Kraemer-Schmid vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ingolstadt-Pfaffenhofen (AELF) verwies auf die Seite www.weiterbildung.bayern.de sowie auf www.aelf-ip.bayern.de. Unter letzterer Seite könne man sich auch noch für eine Online-Veranstaltung am 31. Januar zur Düngebedarfsermittlung anmelden. Beratung in der Tierhaltung und das Unterrichten an der Landwirtschaftsschule, an der gerade 24 Erstsemester und 29 Drittsemester studieren, gehören zu Kraemer-Schmids Kernaufgaben. Sie erwähnte eine Statistik, derzufolge in Bayern die Zahl der Milchviehhalter seit 1970 deutlich abnehme, während die Milchanlieferungsmenge, abgesehen von Dellen wie bei der Einführung der Milchquote, nach oben gegangen sei und sich inzwischen eingependelt habe. Kraemer-Schmid warb dafür, sich bei Fragen etwa zur Düngemittelverordnung, zur Umstellung des Betriebs oder vielem mehr an das AELF zu wenden. "Wir unterstützen Sie, wir brauchen Sie alle. Landwirtschaft hat Zukunft."

DK

Thorsten Stark