Im Kartoffelkeller begann die Leidenschaft fürs Leben

10.01.2008 | Stand 03.12.2020, 6:13 Uhr

Hauptsache Kino! Als Zwölfjähriger trug Heinrich Weinkopf als Pendler die "Wochenschau"-Kopien in Augsburg von Lichtspielhaus zu Lichtspielhaus. Der Emelka-Palast bescheinigte ihm das anno 1942.

Burgheim (DK) Seine erste offizielle Arbeitsbescheinigung hielt er im zarten Alter von zwölf Jahren stolz in seinen Händen. "Kino war mein Leben", sagt der Wahl-Burgheimer Heinrich Weinkopf heute. Mit 77 Jahren. Vor kurzem hat er seine Memoiren niedergeschrieben – eine bewegte und bewegende Vita auf 211 Seiten.

Nicht für die breite Öffentlichkeit, "sondern für meine Familie und für mich", erzählt der Senior mit Blick auf das schlichte ? weiße Büchlein mit dem Titel "Heinrich Weinkopf – Erinnerungen eines Tüftlers und Erfinders".

Wäre die Kinolandschaft im Augsburg der ersten Jahre des Zweiten Weltkrieges nicht so blühend gewesen, so wäre der am 17. August 1930 im südrumänischen Örtchen Calarasi geborene Heinrich Weinkopf vielleicht ein fleißiger Maschinenbaumeister geworden. So wie sein Vater Josef. Oder ein virtuoser Geiger. Schließlich schicken ihn seine Eltern zum Violinunterricht. Doch anstatt den Saiten beflissen klassische Töne zu entlocken, üben die Klassiker der Stummfilmzeit eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Er schwänzt die Musikstunden. Mit dem Geld, das er dafür von der Mutter bekommt, erkauft er sich Einlass in einen Kartoffelkeller: Dort flimmern Filme mit dem dänischen Komikerduo "Pat und Patachon" über eine provisorische Leinwand. Für klein Heinrich der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft.

Jahrgangsbester

Wenig später jobbt der Schüler schon für den Emelka-Palast: Er trägt die begehrten "Wochenschau"-Kopien von einem Kino ins nächste. Die Bescheinigung, die ihm das Lichtspielhaus anno 1942 ausstellt, hat heute einen Ehrenplatz zwischen den unzähligen vergilbten Dokumenten und Zeitungsausschnitten, die Weinkopf im Laufe seiner Karriere akribisch abgelegt hat.

Als die Bomben der Alliierten Augsburg in Schutt und Asche legen, flieht die Familie zu Verwandten in die Tschechei. Nach der Rückkehr in die Fuggerstadt schließt Heinrich Weinkopf 17-jährig seine Filmvorführerlehre mit dem Notendurchschnitt von 1,7 ab. Und wird damit Jahrgangsbester.

Wenngleich er inbrünstig für Streifen mit Marika Rökk, dem blonden Tanzwirbelwind aus Ungarn, und dem unvergessenen Heinz Rühmann schwärmt, beschäftigt ihn schon bald die Situation in den Vorführräumen der Lichtspielhäuser. Heinrich Weinkopf hat Visionen und gelangt schnell zu der Erkenntnis, dass der cineastische status quo technisch optimierbar ist. Nur in Kinos zu arbeiten, ohne seine Ideen umsetzen zu können, genügt ihm nicht mehr. In der Küche der Mutter vollendet er die Ausrüstung für sein erstes eigenes Lichtspielhaus: Es eröffnet am 15. November 1957 mit dem Film "Drei Münzen im Brunnen" in Rain am Lech.

Dann geht alles Schlag auf Schlag. Weinkopf treibt mit seinen Erfindungen die Automatisierung in der deutschen Kinolandschaft mit großen Schritten voran. Geräte und Sonderanfertigungen aus seiner Werkstatt gehen in die halbe Welt. Sein erstes Patent erhält der Tüftler bereits in den 50er Jahren: ein kleines Stück Metallfolie mit Chiffriercode, der das "Licht aus – Film ab!" ohne menschliches Zutun auslöst. Doch nicht nur Kinos, auch Theater wie etwa die Münchener Kammerspiele, ordern die gefragte Ware aus dem Hause Weinkopf. Selbst in Norwegen und den Niederlanden widmet die Presse dem Kino-Pionier aus Bayern reich bebilderte Reportagen. "Ich arbeite mit Gefühl und Erkenntnis", antwortet er einmal auf die Frage nach seinem Erfolgsrezept.

Anfang der 70er Jahre, Weinkopf hat sein geschicktes Händchen für Apparate längst zu einem Unternehmen gemacht, die "Firma Weinkopf – Kinotechnik" mit vier Mitarbeitern, kauft er die ehemalige Klosterschule an der Burgheimer Georgistraße. Er modelt das altehrwürdige Gebäude total um, veredelt es mit Marmorfreitreppe und eröffnet das Roxy. Natürlich mit allerlei technischen Raffinessen: Polsterschwenkstühle an kleinen Bartischen, auf denen ein ominöser Schalter ruht: ein Knopfdruck genügt, dann kommt die Bedienung. Nach einem zähen Start "standen die Leute bald Schlange", erinnert sich Weinkopf. Er baute einen zweiten Saal. Bald wird das Fernsehen aufmerksam auf die 2000-Einwohner-Gemeinde, in der es zwei Kinos gibt.

Schicksalsjahre

Mit den 80ern brechen die Schicksalsjahre des Heinrich Weinkopf an: Nach 25 Jahren stirbt seine Lebensgefährtin Karoline. In Helga, der Witwe eines Bekannten, findet er die zweite große Liebe seines Lebens. Doch wenige Jahre später fordern 13-Stunden-Arbeitstage, der ständige Zeitdruck bei den Auslieferungen und die Rund-um-die-Uhr-Kreativität ihren Tribut. Der jahrzehntelang so wache Erfindergeist des Heinrich Weinkopf ist müde geworden. Der 57-Jährige leidet unter massiven Schlafstörungen und Schwindelanfällen. Er ist psychisch und physisch erschöpft, fühlt sich ausgebrannt. Da verkauft er die Werkstatt und das Kino, das es jetzt schon lange nicht mehr gibt, bleibt aber in Burgheim. Knapp zehn glückliche Jahre sind ihm noch mit Helga vergönnt, die am 18. November 2006 einem Krebsleiden erliegt. Sie fehlt ihm so sehr. Besonders dann, wenn er im Privatkino im Keller seines Hauses sitzt und alte Lieblingsfilme anschaut.

Nichts würde er anders machen, gar nichts, stünde er noch einmal ganz am Anfang. Noch einmal als Bub vor dem Kartoffelkellerkino in Augsburg: "Kino war immer mein Traum. Weil es damals ein Dutzend Berufe brauchte. Und ich konnte in jedem von ihnen zeigen, was ich kann."