Eine Erfolgsgeschichte zum Sondertarif

Die Neuburger Kammeroper geht am Wochenende in ihr 50. Jahr. Einfach war die wechselvolle Historie der ebenso ambitionierten wie hochkarätigen Aufführungsreihe allerdings nicht. Was die Kammeroper stets am Leben erhalten hat: das unermüdliche Engagement der Mitglieder. <DK-Autor> <?ZS> <?ZA> <?ZuVor "-9dp">Von Josef Heumann<?ZE></DK-Autor>

19.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:46 Uhr
Beim Bühnenbild wird gezimmert und improvisiert, hier ist es einmal grell und opulent ausgefallen. −Foto: Fotos: Heumann/DK-Archiv

Die Neuburger Kammeroper geht am Wochenende in ihr 50. Jahr. Einfach war die wechselvolle Historie der ebenso ambitionierten wie hochkarätigen Aufführungsreihe allerdings nicht. Was die Kammeroper stets am Leben erhalten hat: das unermüdliche Engagement der Mitglieder.

Neuburg (DK) Die Neuburger Kammeroper feiert heuer ihre 50. Produktion. Wobei "feiern" im speziellen Fall heißt, dass man sich besonders viel Arbeit aufgeladen hat. Seit 50 Jahren nun veranstaltet Neuburg sein ganz eigenes Sommerfestival. Raritätensuche und Schatzbergungen sind dabei zum ganz besonderen Idiom oder auch Markenzeichen dieses Liebhaber-Theaters geworden. Nach all den Jahren gleicht das Aufführungsverzeichnis von Neuburgs Kammeroper einem mittleren Komponistenlexikon, darunter aber auch eigene Initiativen der Stadt, die in der Folge auch für andere Bühnen interessant waren.

Immer wieder stand nach der jeweils fünften Vorstellung die bange Frage: Wie geht es weiter und geht es überhaupt weiter? Bange Jahre waren zu überstehen, Jahre ohne Spielstätte, als das Theater umgebaut wurde - und eigentlich ist die Zukunftsfrage heute aktueller denn je, nähern sich immer mehr Akteure der 80, manche haben die Marke auch schon hinter sich. Und zeigen dennoch keinerlei Ermüdungserscheinung.

Die VorgeschichteEs war Ende der 1950er-Jahre. Neuburg erlebte eine virulente Zeit. In verschiedene Richtungen tat sich eine künstlerische Aufbruchstimmung auf. Ein bisschen das Epizentrum war die katholische Jugend von St. Peter, von der eine Sogwirkung auch auf weniger religiös Ausgeprägte ausging. Es wurde eine kurze Zeit, da aber wie überorts beachtet Theater gespielt, und wenn dieser Tage der Birdland Jazzclub sein 60-jähriges begeht, gehen auch dessen Ursprünge auf genau diese bewegten wie bewegenden Jahre zurück. Eines der stärksten Porträts von dem in München Karriere machenden Fotografen Max Sayle zeigt den jungen Mimen Horst Vladar. Auch der machte woanders Karriere, blieb auf besondere Weise aber stets Neuburger. Es ist weder Übertreibung noch falsch verstandene Ovation: Die Neuburger Kammeroper ist das Lebenswerk von Horst Vladar.

Das Jahr 1966Ohne jenes Jahr 1966 gäbe es die Neuburger Kammeroper höchstwahrscheinlich nicht. Denn da regte sich nun politische Aufbruchstimmung. Sicherlich zu viel gesagt, auch nur von der provinziellen Variante der 68er-Generation zu sprechen, schaut man sich die Protagonisten von damals und erst recht deren weiteren Werdegang an. Leute wie Matthias Schieber, Wilfried Schleer, der spätere Bürgermeister Wolfgang Kunz, die Ärzte Hans Kopf und Fritz Then betraten nicht gerade leise die politische Bühne, mischten das Orts-Establishment gehörig auf. Auf einer tumultartig verlaufenen Wahlveranstaltung dieser Jungbürger trug ein bislang eher aus der katholischen Jugendbewegung bekannter Anton Sprenzel seine Ideen für eine fortan andere Kultur- und Jugendarbeit vor. Spontan wurde der Ruf laut: "Das ist unser neuer Kulturreferent."

Anton SprenzelSo kam es auch. Der junge Amtsrichter Sprenzel wurde in den Stadtrat gewählt und auch zum Kulturreferenten bestellt. Dazu muss gesagt sein, dass es auch davor schon eine eher bescheidene, doch kontinuierliche Kulturarbeit gab. Im Kolpinghaus traten verschiedene Mimen anderer Bühnen auf. Rechtsanwalt Arthur Tutzauer, damals Mitglied im Stadtrat, kümmerte sich hingebungsvoll um das zarte Pflänzchen Kultur. Unruhegeist Sprenzel wollte zum Hundertjährigen das in einen Dornröschenschlaf verfallene Stadttheater, in dem 20 Jahre zuvor Größen wie Curd Jürgens agierten, reaktivieren. 100000 Mark sollte die Theatersanierung kosten. Schließlich hatten sich die Ausgaben dann doch vervierfacht. Und vieles blieb dennoch Provisorium, aber: Neuburg hatte sein Stadttheater zurück.

Der Start1969 nun - genau zum Hundertjährigen - die Wiedereröffnung, des Theaters. Einige spektakuläre Gastspiele gab es. Aber das wirklich Besondere, Einmalige - die Eigenproduktion - sollte stets der Stolz eines Theaters, sein. Die Neuburger Kammeroper zeigt die beiden Einakter "Bastien und Bastienne" von Wolfgang Amadeus Mozart und "La serva padrona" von G.B. Pergolesi - in der damals noch unvorstellbaren Nachfolgegeschichte dieses tollkühnen Opernunterfangens beinahe schon die bekanntesten Komponisten-Namen.

Schon im zweiten Jahr gab es den "Barbier von Sevilla", freilich nicht den bekannten von Giacomo Rossini, sondern von dessen später vergessenem Vorgänger in der Publikumsgunst, Giovanni Paisiello. Über das "Opernvergnügen in Neuburg" schrieb 1974 der damalige Augsburger Theaterpapst Karl Ganzer: "Welch eine Summe von Idealismus, harter Arbeit und unbändiger Spielfreude in diesem Unterfangen steckt, vermag nur der zu ermessen, der die Schwierigkeiten der Stückwahl, der Materialbeschaffung und der Realisierung einer Oper kennt." Das Zitat des Jahres 1974 beschreibt exakt das jährliche Pensum des Theaterenthusiasten Horst Vladar, der zusammen mit seiner Frau Annette die ganze Arbeit mit Werken auf sich nimmt, für die selten auf fertiges Verlagsmaterial zurückgegriffen werden kann. Die Recherchen, dank heutiger Techniken einfacher, ehedem tagelang in Bibliotheken und Archiven, die Bearbeitung des Vorgefundenen und oft Lückenhaften, die Übersetzung, nicht selten nächtelanges Notenschreiben: All der Aufwand übertraf die eigentliche Probenarbeit oftmals um ein Vielfaches.

Von dem aufmüpfigen 60er-Häufchen kamen für das Theaterprojekt viele nach Neuburg zurück, wollten die alten Zeiten noch einmal lebendig werden lassen. Vorreiter wurde Horst Vladar, der am entschiedensten von allen eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen hatte, sich als Bass bis auf die größten Bühnen gesungen hatte. Ihm bestätigte ein von der "ansteckenden Spiellaune" in Domenico Cimarosas "Weiberlust" angetane Karl Ganzer: "Wieder war es der von echter Spiel- und Komödienlust beseelte Horst Vladar, der die Buffa Cimarosas in Szene setzte, ein um Einfälle nie verlegener Regisseur und bassgewaltiger Darsteller."
Der beispiellose Serienerfolg Die Ansprüche wurden von Erfolg zu Erfolg höher, die Wege weiter. Horst Vladar sang an der Oper Dortmund, später arbeiteten die Vladars beide am Theater Lüneburg. Immer genau so Urlaub kriegen, dass die Neuburger Probewochen raussprangen, all die Koordination aus hunderten Kilometer Distanz. Der Rückhalt im kommunalen Kulturleben war nicht alle Zeiten gleich, es gab Jahre mit hoch schlagenden Wogen, das Geld alle Zeit knapp. Jahre gar ohne "eigenes" Haus zu überstehen, die Kammeroper als Freilichtunterfangen freilich hätte wohl nicht lange Zukunft gehabt.

Manches bleibt handgezimmert, auch wenn vieles doch professioneller wurde. Unvergessen sind Schreckmomente, wenn Anton Sprenzel, barfuß wie stets, über die schmalen Balken hoch oben im Schnürboden des Theaters hantierte, weil ein Scheinwerfer klemmte. Bühnenmeister gab es keinen. Ein Lehrer und ein Finanzbeamter waren Bühnenbildner, ein Schulleiter fungierte als Beleuchter. Aber was auf scheinbar so wackeligen Füßen stand, erwies sich als ausgesprochen zäh und vor allem ansteckend. Neuburgs Kammeroper schrieb eine wohl beispiellose Erfolgsgeschichte. Und der Erfolg beim Publikum blieb ihr ebenso all die Jahre treu. Seit 1969 ist Horst Vladar nun ihr künstlerischer Leiter, obliegt Anton Sprenzel auch im 50. Jahr die Gesamtleitung des voran von ganz viel Enthusiasmus getragenen Unterfangens.

Das KontinuumIm künstlerischen Personal herrschte naturbedingt ein Kommen und Gehen. Junge Solisten unternahmen hier ihre ersten Gehversuche. Mancher startete von Neuburg aus eine beachtliche Karriere. Wie etwa Dirigent Markus Poschner, heute ein international gefragter Orchesterleiter. Und doch gab es immer auch jene Kontinuität, ohne die die Geschichte der Kammeroper zumindest schwerer vorstellbar wäre. Schon die Besetzungsliste des Jahres 1974 nennt den Akademischen Orchesterverband München. Dessen langjähriger Leiter Georg Zettel prägte eine ganze Generation an Kammeroper-Aufführungen.

Die Zusammenarbeit ging nach der Zettel-Zeit unverändert weiter. Was bindet dieses ambitionierte Laienorchester, dem Ärzte, Apotheker und Wissenschaftler ihre Freizeit opfern, so sehr an Neuburg? Die Gage ist es gewiss nicht, "was wir bekommen, deckt kaum den Aufwand", weiß Sabine Hörlein, Apothekerin und dreifache Mutter, ehrenamtlich Orchestermanagerin und seit vier Jahrzehnten schon Mitglied der ersten Geige bei der Kammeroper. Der Klangkörper ist eigentlich ungefähr dreimal so stark, wie er im Neuburger Theater eher schon das halbe Parkett füllen würde. Aber längst hat sich da ein harter Kern herausgeschält, für den Kammeroper Pflicht ist. "Oper zu spielen, ist für uns immer etwas Besonderes, in München machen wir nur Konzerte."

Die besondere Herausforderung reizt auch den Dirigenten Alois Rottenaicher, im Hauptberuf Gymnasiallehrer mit einschlägiger Theatervergangenheit. "Die Stücke bei der Kammeroper, für die es keine Referenzaufnahmen gibt, ja oftmals kaum bearbeitetes Material, von Grund auf einzurichten und aufzubereiten, das macht echt Arbeit, aber eben auch riesig Spaß", sagt Rottenaicher. Seit 25 Jahren ist er nun der Dirigent der Kammeroper.

Aber es gibt auch noch ein zweites unverzichtbares Kontinuum. Es sind die dienstbaren Geister, die stets zur Stelle sind, wenn Aufgaben warten, wo Theaterbesessene wie Manfred Basel etwa nie Nein sagen. Oder eine Barbara Garmatter, die man wohl nie vor dem Vorhang zu Gesicht bekommen wird.

Josef Heumann