Ein literarisches Wiedersehen nach 20 Jahren

16.09.2008 | Stand 03.12.2020, 5:36 Uhr

Literaten unter sich: Der türkische Flüchtling Cengiz Dogu (links) zusammen mit dem Rennertshofener Herbert Kugler, der heute Drehbuchautor ist, 1988 im Jazzkeller "Coccodrillo".? Arch - foto: r

Neuburg (pes) Sein Schicksal und sein unermüdlicher Kampf für Menschenrechte bewegten vor 20 Jahren die Menschen in Neuburg so sehr, dass sie für ihn auf die Straße gingen und Unterschriften gegen seine drohende Abschiebung sammelten. Das ist lange her.

Lange her auch die Zeit, als Cengiz Dogu, der nach dem Militärputsch 1981 aus der Türkei vor politischer Verfolgung in die Bundesrepublik Deutschland flüchtete. Bis 1988 lebte der Schriftsteller in der Asylbewerberunterkunft an der Donauwörther Straße. Er verliebte sich in Lili Schlumberger, die damalige Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrates. Nach der Hochzeit 1988 verloren sich seine Spuren in Neuburg. Jetzt meldet sich der Autor mit einem Gedichtband zurück. Die meisten Werke ersann er während seines siebenjährigen Aufenthalts in Neuburg. "Das Lager gleicht nicht den Kerkern Anatoliens" heißt der Titel des Buches, das bereits 1988 in Erstauflage erschien. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse vom 15. bis 19. Oktober, deren Schwerpunktland in diesem Jahr die Türkei ist, veröffentlichte Dogu jetzt eine erweiterte Fassung im Berliner Frieling-Verlag, wie seine Frau Lili Schlumberger-Dogu erklärte. Das Paar wohnt seit 1989 in Dachau. Cengiz Dogu, heute 63 Jahre alt, erlangte 1997 die deutsche Staatsangehörigkeit und engagiert sich mit Lesungen und anderen Beiträgen bei Solidaritätsaktionen für Menschenrechte, Flüchtlinge und im Kampf gegen Rassismus. Seit 19 Jahren ist er Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller. Seine Gedichte, die damals in jener Zeit bangen Wartens in der Neuburger Asylbewerberunterkunft entstanden und in denen er laut Klappentext "das traurige Lied des Asyls singt, aber auch kraftvolle Verse von Liebe, Leben und Tod", sieht er auch heute noch von inhaltlich hoher Aktualität: Menschen, die vor politischer Verfolgung und Kriegen auf der Flucht seien. Viele von ihnen würden an den Grenzen der Europäischen Union abgewiesen. Nur wenige erhielten ein Bleiberecht.

Den langen Neuburger Lagernächten stellt er lyrisch "die kleinen, erbärmlichen Zellen der anatolischen Kerker, in denen die Menschheit blutet", gegenüber. Und beschreibt in anrührenden Versen seine Sehnsucht nach der Heimat. Die jetzt erschienene zweisprachige Gedichtesammlung, in Deutsch und Türkisch, gewährt intime Einblicke in ein Asylbewerberschicksal und in den schmerzhaften Zwiespalt zwischen Kulturen und Ideologien, Individuum und Gesellschaft.

Cengiz Dogu wurde 1945 im türkischen Bergama (Pergamon) geboren. Von 1965 bis 1974 studierte er in Istanbul die türkische Sprache und Literatur, doch nationalistisch gesinnte Professoren verhinderten den Studienabschluss; 1977 wurde das Studium gar annulliert. Seit 1966 ist der Autor politisch aktiv, zunächst im Rahmen der Hochschule, später näherte er sich ideologisch der Türkischen Arbeiterpartei an. 1968 war er Mitbegründer des "Studentenvereins der Turkologie". Nach dem Militärputsch 1971 wurden alle Vereine verboten. Er kam für 20 Tage in Haft. Nach Tätigkeiten als Zeitungskorrektor reiste er 1978 in die BRD aus. Nach fünf Monaten kehrte er in die Türkei zurück, um im "Verein fortschrittlicher Jugend" in Izmir mitzuarbeiten. 1981 flüchtete er wieder in die BRD.