„Superspreaderevent“?
Trotz steigender Zahlen: Pandemie-Experten sehen keinen „Rock-im-Park“-Effekt

Weder das Musikfestival noch das um eine Woche verlängerte Volksfest haben auf die Zahlen durchgeschlagen

01.07.2022 | Stand 01.07.2022, 6:11 Uhr

Erst feiern bei Rock im Park, dann Corona? Die Zuordnung von Fallzahlen zu einem bestimmten Großereignis ist laut den Experten vom LGL in Erlangen nicht ohne weiteres möglich. Foto: Karmann, dpa

Von Nikolas Pelke

Pandemie-Experten wie etwa vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) sehen kaum einen direkten Zusammenhang zwischen Volksfest, Festival und dem jüngsten Anstieg der Corona-Fallzahlen in der Region.



Feiern auf der Bergkirchweih in Erlangen, tanzen bei Rock im Park in Nürnberg: Nach den beiden Großveranstaltungen unter freiem Himmel hat das Wort vom „Superspreaderevent“ in Franken die Runde gemacht.

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Die Zuordnung von Fallzahlen zu einem bestimmten Ereignis sei nicht ohne weiteres möglich, sagt Martina Junk im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das liegt insbesondere daran, dass positiv getestete Personen, die von den Gesundheitsämtern befragt werden, den Ort der Ansteckung nicht immer benennen können.“ Den Gesundheitsämtern sei es dann nicht möglich, genaue Infektketten zu ermitteln.

Gesundheitsämter können Infektketten nicht ermitteln



So ist auch in Nürnberg aus den Zahlen kein „Rock-im-Park“-Effekt abzulesen. Die Inzidenz in Nürnberg sei nach dem Festivalwochenende lediglich dem bayernweit zu beobachtenden Anstieg gefolgt. Ein darüber hinausgehender Anstieg sei laut Birgit Broghammer vom Gesundheitsamt der Stadt Nürnberg nicht festgestellt worden. Auch rund um das immerhin sogar um eine Woche verlängerte Frühlingsvolksfest hätte in Nürnberg kein „Kirchweih-Effekt“ beobachtet werden können.

Selbst für Laien liegt es dagegen auf der Hand, dass die Gefahr einer Ansteckung auf einer Massenveranstaltung mit vielen Menschen auf engem Raum höher ist. Diese Binsenweisheit bestätigen freilich auch die Fachleute vom zuständigen Landesamt in Erlangen. Allerdings haben die Experten noch eine andere Erklärung für die zuletzt gestiegenen Infektionszahlen. „Was den derzeitigen Anstieg der Fallzahlen anbelangt, so dürfte dieser zu einem großen Teil auf die zunehmende Ausbreitung der Variante BA.5 zurückzuführen sein“, teilt die LGL-Sprecherin auf Anfrage weiter mit.

Experten wollen Situation in Krankenhäusern genau verfolgen

Dass die Corona-Entwicklung in diesem Sommer noch relativ glimpflich verläuft, hat laut den Fachleuten aus Franken wohl genau mit den charakteristischen Eigenschaften dieser aktuellen Virusvariante zu tun. Die „gute Nachricht“ laute demnach, dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine Anzeichen gebe, dass die Infektion mit den aktuellen Varianten zu schwereren Krankheitsverläufen führt als die Infektion mit anderen Omikron-Varianten. Ein Grund zum voreiligen Jubel besteht dennoch offensichtlich nicht. Vielmehr wollen die Experten besonders die Situation in den Krankenhäusern weiterhin genau verfolgen. „Dennoch müssen wir weiterhin wachsam bleiben und die Entwicklung genau beobachten, insbesondere im Hinblick darauf, wie sich die steigenden Infektionszahlen in unseren Krankenhäusern abbilden“, sagen die Pandemie-Experten aus Erlangen.

Die seit Ende März kontinuierlich rückläufige Tendenz der Belegung der Intensivstationen mit Corona-Patienten in bayerischen Krankenhäusern sei seit Anfang Juni leider vorerst gestoppt worden. In Anbetracht der derzeit leicht schwankenden Entwicklung sei aktuell noch kein klarer Trend nach oben erkennbar. „Allerdings bewegt sich die Belegung der Normalstationen mit Covid-19-Patienten in bayerischen Krankenhäuser weiterhin auf einem vergleichsweise hohen Level“, sagt Martina Junk vom LGL.

In Nürnberg derzeit zehn Corona-Patienten auf Intensivstationen



Ein Blick auf die aktuellen Corona-Zahlen in der „Rock-im-Park“-Stadt bestätigt diese Einschätzung offensichtlich. Derzeit befinden sich in Nürnberg nur knapp zehn Corona-Patienten auf Intensivstationen. Aber rund 150 Patienten, die auf einer Normalstation behandelt werden, haben sich mit Covid-19 infiziert. Dabei dürfte die bekannte Faustregel aus der Vergangenheit zum besseren Verständnis dieser Statistikzahlen gelten, wonach die Hälfte der Patienten wegen Corona im Krankenhaus ist, die andere Hälfte sich zusätzlich mit Corona infiziert hat.

Derweil raten die Experten besonders älteren Menschen weiter zu einer Schutzimpfung. „Menschen, die älter als 60 sind, haben ein deutlich erhöhtes Risiko, schwer zu erkranken. Wir müssen alles daransetzen, die Impflücken so gut es geht zu schließen“, betont Junk. Auch das Tragen einer Maske sei besonders für ältere Menschen auch im Sommer eine gute Schutzmaßnahme.

HK