Er kannte ihn gut
Papst Benedikt XVI. war sein Doktorvater: Professor Wohlmuth aus Laibstadt erinnert sich

04.01.2023 | Stand 17.09.2023, 6:12 Uhr

Einst Student bei Professor Joseph Ratzinger, dann selbst Professor für Theologie und seit wenigen Tagen wieder zurück in seinem Heimatort Laibstadt: Josef Wohlmuth. Foto: De Geare

Den deutschen Papst Benedikt XVI., der an diesem Donnerstag im Petersdom in Rom beigesetzt wird, kannte kein anderer aus dem Landkreis Roth so gut wie Josef Wohlmuth. Denn der 84-Jährige aus Laibstadt hatte Joseph Ratzinger als Doktorvater.



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Nachdem er seit 1981 an den Universitäten Köln und Bonn gelehrt hatte, kehrte Wohlmuth kurz vor Weihnachten in seine Heimat zurück. Im Gespräch mit unserer Zeitung erinnert sich der emeritierte Theologie-Professor jetzt an den emeritierten Papst, der sich in seiner Zeit als Kardinal und Präfekt der Glaubenskongregation äußerst konservativ gezeigt hat – aber als Wohlmuths Doktorvater in der Zeit der großen Studenten-Unruhen und des gesellschaftlichen Aufruhrs 1968 noch als Kirchenreformer galt.

Josef Wohlmuth studierte nach dem Abitur am Eichstätter Gymnasium zunächst Philosophie an der Katholischen Universität in Eichstätt, ehe er sein Studium in Innsbruck bei Karl Rahner fortsetzte, der als einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts gilt. Denn Rahner wirkte neben seiner Arbeit als Professor auch an der Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils mit, das heute als ein großer Schritt der katholischen Kirche in Richtung Ökumene und Öffnung für die Moderne gilt.

Bei Studientagung kennengelernt



Dieses Konzil gilt auch als eine von Ratzingers Sternstunden als Reformer. In einer berühmt gewordenen Brandrede forderte er mehr Transparenz in der Kurie, also den Behörden und Einrichtungen des Vatikans. „Wir Studenten kannten Ratzinger natürlich alle von der Konzilsarbeit“, erzählt Josef Wohlmuth.

Persönlich kennengelernt haben sich der Laibstädter und der spätere Papst Benedikt XVI. aber erst später – bei einer Studententagung im oberbayerischen Traunstein. „Einer aus unserer Gruppe hat Ratzinger auf der Straße laufen sehen und dachte sich: ‚Den müssen wir einladen‘“, erzählt Wohlmuth. So kam es, dass Joseph Ratzinger vor der Gruppe von rund 20 Studenten über die Auferstehung sprach.

Es muss ein mitreißendes Erlebnis gewesen sein, Ratzinger, diesen damals knapp 40 Jahre alten Theologen zu hören, der so pointiert und scharf formulierte. „Er konnte schneller denken als wir Studenten alle zusammen. Während wir noch die Formulierung der Frage überlegten, hatte er schon die Antwort parat“, erzählt Wohlmuth.

„Dort wollte ich hin“



Dieses Erlebnis in Traunstein war es letztlich auch, das den Laibstädter zum Wintersemester 1968/69 nach Tübingen führte, wo Ratzinger lehrte. „Dort wollte ich hin.“ Als er ankam, erlebte er die turbulente Zeit der 1968er-Bewegung hautnah. „Tübingen war in Aufruhr“, erzählt Wohlmuth. Er erlebte dort aber auch einen Professor Ratzinger, der mit seinen Studenten stritt. „Er war schockiert darüber, dass die Theologen nicht mehr eine Messe feiern konnten, ohne zuvor eine Stunde lang darüber zu diskutieren, ob das Sinn hat oder nicht“, sagt Wohlmuth. „Ratzinger hatte den Eindruck, die Studierenden driften ab in den Marxismus.“ Diese Angst hält er aus heutiger Sicht nicht für ungerechtfertigt. „Er lehnte auch den Vietnamkrieg ab, war aber grundsätzlich gegen eine Politisierung der Kirche.“

Dieses aufgewühlte Umfeld in Tübingen ließ Ratzinger aber bald hinter sich und wechselte 1969 nach Regensburg. Wohlmuth folgte ihm erst einmal nicht. „Ich wollte nicht in diese bekannte Welt“, sagt der Laib-städter über das Umfeld in Regensburg, das weit weniger revolutionär als in Tübingen war und das er aus Eichstätt schon zu Genüge kannte.

Recherchen in Bologna



Josef Wohlmuth schienen die revolutionären Zeiten zu faszinieren, wie sich auch am Thema seiner Doktorarbeit zeigte. So widmete er sich dem Konzil von Trient, das im 16. Jahrhundert stattfand und das als Antwort auf die Reformation gilt. Die Recherchen dazu führten Wohlmuth unter anderem nach Bologna und Nijm-wegen – und später doch zu seinem Doktorvater Ratzinger nach Regensburg.

Auch wenn Wohlmuth bis zuletzt in den meisten theologischen Grundfragen mit Ratzinger übereinstimmte, so hat sich seiner Meinung nach schon damals eine Entwicklung bei ihm abgezeichnet, die der Laibstädter nicht verstehen konnte. So zum Beispiel sein Umgang mit der „Katholischen Integrierten Gemeinde“ (KIG), die einst als reformatorische Gruppe innerhalb der katholischen Kirche startete, aber laut Wohlmuth schnell sektenartige Züge zeigte. So wurde den Mitgliedern beispielsweise vorgeschrieben, wie sie zu leben und wen sie zu heiraten hatten. „Ratzinger war eigentlich gegen diese Entwicklungen. Aber ein Jahr später, als ich wieder in einem Kolloquium zu Gast war, saß einer der führenden Leute der KIG ganz vorne mit drin“, berichtet Wohlmuth und wundert sich noch heute darüber. „Ich habe Ratzinger in einer Weise kennengelernt, dass er manchmal nicht bemerkt hat, mit wem er es zu tun hatte. Er wollte stets wohlwollend sein“, sagt er.

Als zu lasch kritisiert Wohlmuth den Umgang Ratzingers als Papst mit dem den Holocaust leugnenden Pius-Bruder Richard Williamson, dessen Exkommunikation von Ratzinger 2009 aufgehoben wurde. Wohlmuth schrieb dem Papst damals einen kritischen Brief und erinnerte darin an die Erklärung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die anerkennt, dass es auch in anderen Religionen – insbesondere im Judentum – ein Heil geben kann. Diese Erklärung dürfe nicht rückgängig gemacht werden. Papst Benedikt XVI. antwortete auf Wohlmuths Brief und stimmte seinem einstigen Schützling grundsätzlich zu, dass es keinen Streit darüber geben dürfe – der lasche Umgang mit den Pius-Brüdern aber blieb. Für Wohlmuth ein Schritt zu viel, um die Einheit der Kirche zu retten.

„Amt nicht auf den Leib geschnitten“



Insgesamt sei Ratzinger das Amt des Papstes „nicht auf den Leib geschnitten“ gewesen. Er habe sich schwer getan, die Massen auf dem Petersplatz zu begeistern und auf die Leute zuzugehen, beobachtete Wohlmuth. Bei einer Generalaudienz traf er Papst Benedikt XVI. das letzte Mal persönlich, als er mit einer Gruppe von Professoren kurz nach der Wahl Ratzingers in Rom war. Ein privates Treffen scheiterte. „Wir fielen damals unter den Bann“, sagt Wohlmuth heute. „Johannes Paul II. hatte bei jedem Frühstück einen anderen Besucher. Das wollte Ratzinger nicht mehr und schob konsequent einen Riegel vor.“ Erkannt habe Ratzinger ihn bei der Generalaudienz aber freilich: „Er hatte ein phänomenales Personengedächtnis.“

Dass sich Benedikt XVI. auch nach seinem Rücktritt als Papst in theologische Fragen eingemischt hat, hält Wohlmuth für unglücklich. „Dass er im Vatikan geblieben ist, war nicht gut. Er hätte größtmögliche Distanz suchen sollen zu dem Amt, aus dem er sich zurückgezogen hat, und hätte in seine Heimat zurückkehren sollen“, findet Wohlmuth.

Den letzten Brief von Benedikt XVI. hat er 2018 erhalten. „Wir hatten immer wieder einen Austausch über theologische Fragen. Es spitzte sich immer wieder zu. Grundsätzlich stimmten wir überein, aber es gab auch Differenzen“, sagt Wohlmuth. So auch 2018, als es wieder einmal um die Heilsfrage der Juden ging – Wohlmuths eigenes großes Thema, der Dialog mit dem Judentum und anderen Konfessionen.

Bestimmte Ideen von Ratzinger werden aber bleiben, zeigt sich Wohlmuth überzeugt. Etwa, dass Glaube nicht im Gegensatz zur Vernunft bestehen kann. Sie bedingen sich – und das vertrat Joseph Ratzinger stets mit scharfen Verstand. „Er war ein sehr begabter Mensch, bemerkenswert begabt.“

HK