Neuer Verein gegründet
Warum Queer Pfaffenhofen im Müllerbräu Stammtisch hält

Zulauf aus der ganzen Region

02.05.2023 | Stand 16.09.2023, 22:47 Uhr

Die Stimmung ist gut beim Stammtisch von Queer Pfaffenhofen. Manchmal wird es unter den bis zu 30 Leuten, die sich einmal im Monat im traditionellen Gasthaus Müllerbräu im Stadtzentrum treffen, auch ernst, wenn etwa über Politik oder Diskriminierung diskutiert wird. Foto: Brenner

Statt sich im Szene-Viertel in der Großstadt zu treffen, hält der neue Verein Queer Pfaffenhofen regelmäßig Stammtisch im Traditionsgasthaus Müllerbräu am Hauptplatz mitten im Zentrum. Der Verein hat noch viel vor: Zum Beispiel einen Christopher Street Day und Filmabende. Aber vor allem geht es darum, sichtbar zu werden. Deshalb wollen die Mitglieder auch wieder beim Volksfestauszug dabei sein – auch wenn es beim letzten Mal zu Pöbeleien kam.



Bis in die Gläser der Fenster mit ihren Kunst-Darstellungen des Bauerntums vergangener Zeiten verkörpert das Pfaffenhofener Gasthaus Müllerbräu bayerische Tradition in Reinform. Ehepaare genießen im Zentrum der Stadt bayerische Hausmannskost, Schützenscheiben an den Wänden verkünden ihre Könige, auf einem Holzstreben prangt die Aufschrift „Bayrisch Land – Heimatland.“

Direkt daneben lachen am Stammtisch des Vereins Queer Pfaffenhofen rund 30 Leute. Sie trinken bayerisches Bier, essen Käsespätzle oder Schweinefilet und unterhalten sich ab und an auch über Politik. „Wir fühlen uns hier wohl“, sagt Norbert März, Vorsitzender des Vereins, der im Dezember vergangenes Jahr gegründet wurde und der hier seinen monatlichen Stammtisch abhält. Dazu ist jede Person willkommen, egal welcher Sexualität oder Identität sie sich zugehörig fühlt, „hier ist es wurscht“, so März. „Auch Heterosexuelle“, fügt er hinzu. Es gehe darum, Präsenz zu zeigen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Und das funktioniere hier gut. „Klar schaut mal einer vom Nachbartisch“, sagt März, „aber wir gucken ja auch mal“. Genau das ist es, was der Verein will: Überall da dabei sein, wo das Leben sich abspielt.

Pöbeleien beim Pfaffenhofener Volksfestauszug



Die Geschäftsführerin des Müllerbräu, Lisa Müller, hatte sich über ein soziales Netzwerk gemeldet, als der Verein für queer-freundliche Aufkleber warb. Ihr ist das Thema ein Anliegen: „Ich finde es schrecklich, wenn jemand falsch angeredet wird, nur weil er jemand anderen liebt.“ Gerade weil man bei ihrem Gasthaus eher an das Traditionelle, Konventionelle denke, „wollte ich das brechen“. Anfangs seien die Queer-Stammtischler noch schüchtern und leise reingekommen, „mittlerweile sind sie viel selbstbewusster“, sagt sie. „Das ist so schön anzusehen.“

Nicht immer ist in Pfaffenhofen alles schön. Das bekamen queere Menschen zum Beispiel beim vergangenen Volksfestauszug in Pfaffenhofen zu spüren. Die meisten Zuschauer hätten geklatscht, doch mehrere Mitglieder des Vereins berichten auch von verbalen Anfeindungen, besonders vonseiten alkoholisierter Gruppen. „Die haben dann teils gewartet, bis eine Person von uns allein war und diese dann zum Beispiel als Schwuchtel bezeichnet“, so März. Diese Erfahrung zeige unter anderem, warum es den Verein absolut brauche, was leider auch immer wieder von Einzelnen infrage gestellt werde. Beim kommenden Volksfest sei man auf jeden Fall wieder dabei, trotz der Pöbeleien: „Jetzt erst recht“, so März. „Sichtbarkeit schafft Sicherheit.“ Indem die queere Gruppe wie alle anderen auch durch die Stadt marschiere, zeige man: „Das, was als normal angesehen wird, das sind wir auch.“

Daniela Weiß (Name von der Redaktion geändert) hat einen langen Weg hinter sich, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. „Ich habe mit 14 Jahren schon gewusst, dass ich eigentlich eine Frau bin.“ Aber damals habe sie nicht gewagt, das Leben zu führen, das sie wollte, auch, weil es nicht als normal galt. „Ich habe ein Leben als Mann geführt, Ehe, Familie, die eigenen Wünsche blockiert.“ Ihrer Frau habe sie sich schließlich anvertraut. „Dann habe ich angefangen, es teilweise auszuleben.“ Die Nachbarn wissen heute noch nicht, wer sie wirklich ist. Beim Stammtisch trifft Weiß auf Menschen mit ähnlichen Geschichten.

Als Transsexueller im falschen Körper geboren



Nina Haupt (Name von der Redaktion geändert) aus München beispielsweise. Haupt ist heterosexuell und hat sich in einen Mann verliebt. Als er ihr dann anvertraut habe, dass er sich auch als Frau fühle, „da habe ich erst einmal geschluckt“. Aber sie liebe letztendlich den Menschen. „Jeder ist so wie er ist.“ Haupt weiß das aus allernächster Erfahrung. Denn, „so verrückt der Zufall es will“, ist ihr eigenes Kind ein Junge, der im Körper eines Mädchens geboren wurde. „Er war so unglücklich“, sagt sie. Zuerst habe sie sich als Mutter gefragt, ob sie etwas falsch gemacht, ein falsches Frauenbild vermittelt habe. „Aber darum ging es natürlich nicht“, so Haupt. „Er war und ist einfach ein Junge.“ Vor der Geschlechtsumwandlung sei es ihrem Kind schlecht gegangen, „er war depressiv, magersüchtig“, auch, weil der Vater ihn lange nicht als Junge akzeptieren konnte. Haupt hingegen unterstützte ihren Sohn, auch bei der Operation. „Das war das Beste, was ich tun konnte. Es hat ihm viel bedeutet.“

Wie es mit ihrer Partnerschaft weitergeht, weiß Haupt noch nicht. Wichtig sei es, offen und ehrlich zu sein, „und sich auch zu fragen: Wie weit kann ich gehen?“ Über solche Dinge tauscht sie sich auch am Stammtisch aus. Für Teresa Zeitler aus Pfaffenhofen war das ebenfalls ein Grund, zu kommen. „Ich habe viel über mich erfahren.“ Aber auch allgemeine Themen wie Gender-Politik oder Toleranz würden diskutiert. Matthias Pfaff ist extra aus Weilheim zum Stammtisch angereist. „In München, wo ich arbeite, gibt es keine solche Gemeinschaft wie hier“, sagt er. Außerdem sei es gerade im ländlichen Raum wichtig, „sichtbar“ zu sein. „Besonders in einem Bundesland wie Bayern, das noch keinen Aktionsplan zum Schutz queerer Menschen hat“.

Christopher Street Day in Pfaffenhofen geplant



Der Pfaffenhofener Verein will umso mehr vorantreiben. Eine Kunstausstellung, weitere Queer-Filmnächte und ein Christopher Street Day in Pfaffenhofen stehen auf der Agenda, so März. Auch die Vermittlung von Vorträgen für Schulen im Landkreis oder Hilfe für junge queere Menschen, die gemobbt werden oder Probleme mit dem Outing haben, gehören zu den Aufgaben. Hier könne man zum Beispiel aufklärende Vorträge in Schulen organisieren, sagt März.

Für den Vorsitzenden sind letzteres Dinge, die er am liebsten gar nicht machen müssen würde. Sein Traum: „Wenn wir irgendwann nur noch ein Freizeitverein wären.“

PK